// Die letzten Tage der Menschheit sind angebrochen, im Osten wie im Süden und tief im Westen sowieso. Manchmal hilft Musik gegen das wehe Gefühl, oft aber verstärkt sie noch den Weltschmerz, auch das kann sehr schön sein. Und möge nur ja nicht aufhören. Jürgen Kruses Inszenierungen können kein Ende finden, selbst wenn alles gesagt und vergebens ist, stehen die Schauspieler herum, bleiben bei ihren Verrichtungen, haben sich lieb oder räumen die Bühne auf. Das ist der Lauf der Dinge: Durchstreichen und stehen bleiben. In alle Ewigkeit, bis einige im Zuschauerraum gehen, andere buhen, viele klatschen. Die Pop-Balladen verklingen. Die normale Zeitrechnung nimmt ihren Takt auf. Aber wer kommt mit Vernunft schon groß weiter?
Ganz gleich, was der cherubinische Wandersmann Kruse inszeniert, es ist ein Tanz der einsamen Herzen, ein Requiem für die verlorenen Seelen, die ein gnädiges Halbdunkel umhüllt. Immer gibt es diese Frauen, Nymphen, Schneewittchen, Loreleien, Magdalenen; immer diese Kruse-Jünglinge, Underground-Heroes mit Sonnenbrille im Haar, rauchend, abwesend, Rebellen mit und ohne Grund. Die Sprache stammelt und strauchelt, kalauert und jandlt, reimt »Olga« auf »Wolga«, verrückt »Gluck« zu »Glück« und haspelt durch den kostbaren oder billigen Zitatenschatz allgemeiner Welt-Theater-Geschichte. Es tun sich schwarze Löcher auf, von denen nicht klar zu sagen ist, ob sie seicht, hohl oder tiefgründig sind.
Im Theater Oberhausen lagert die Kruse-Crew, zehn an der Zahl, in einem Nachtasyl »Auf der großen Straße«, wo Anton Tschechow seine Trinker, Intellektuellen, Querschädel und die üblichen Verdächtigen der sozialen Randlage hat stranden lassen: Untote, weiße Lemuren, gefangen in ihrem Kadaver-Ungehorsam. Unterwegs nach Moskau, Jerusalem, zum Kaukasus, wo ein gewisser Prometheus verendete, oder zum Ätna, dessen Krater im Hintergrund der mit Trümmern der Akropolis und Golgathas übersäten Bühne (Volker Hintermeier/Tobias Schunck) spielzeugartig lodert und speit, ist auch Hölderlins Elementar-Philosoph Empedokles. Der die Menschheit fliehende Menschenfreund und Weltentrückte – bei Jürgen Sarkiss ein heilig-nüchterner Fakir – und Björn Gabriel als sein Gefährte Pausanias sprechen in eigenwilliger Betonung und begleitet vom Simultan-Treiben der russischen Wahlverwandten Hölderlins Verse auf den Ruinen des Idealismus – was tut es schon, ob sie aus Marmor sind oder aus Gips? // AWI