TEXT: ANDREAS WILINK
Und dann ist da noch die Sache mit dem Kater Odysseus. Einmal entwischt er Llewyn Davis durch die Wohnungstür seiner Freunde und Besitzer, den Gorfeins; später flitzt das getigerte Tier durchs Fenster einer seiner Übernachtungs-Adressen. Dann verwechselt er den mythisch benannten Kater mit einer streunenden Straßenkatze, die er den Gorfeins zurückbringen will, was diese schon unter geschlechtsspezifischen Aspekten verweigern, so dass er das Bastard-Biest mit nach Chicago nimmt, um es irgendwann im Auto neben einem dicken, grimmigen, in Sekundenschlaf fallenden Mann (John Goodman) zu lassen.
Auch Llewyn, der behelfsmäßig lebt, ist ein Irrfahrer, ein zweiter Odysseus – sogar eine Art griechischen Chor gibt es bei den Coen-Brüdern. Zudem ist Llewyn ein Liebhaber ohne festen Wohnsitz, ein Mann auf der Couch, der en passant eine Freundin (Carey Mulligan) geschwängert hat, was sie ihm sehr verübelt und ihn neben anderem wenig Schmeichelhaften den »blöden Bruder von König Midas« schimpft. Seine Schwester wirft seine untergestellten Sachen auf den Müll, darunter Papiere, die er braucht, um wieder als Matrose anheuern zu können (Odysseus muss ein Seefahrer sein), nachdem die Karriere stagniert. Sein alter Vater verdämmert im Heim und weiß mit dem Künstler-Sohn wenig anzufangen, der ihm einen Lebewohl-Song singt. Was soll er tun mit seinem Leben? Doch für Llewyn stellt sich die Frage nach der Zukunft nur insofern, ob es in ihr vielleicht fliegende Autos und Reisen zum Mond geben werde.
Pechvogel und Looser: Llewyn (Oscar Isaac) kam sein Duett-Partner Mike abhanden, als der sich von der Washington Bridge stürzte (es gibt Leute, die meinen, er hätte wenigstens die Brooklyn Bridge nehmen sollen). Jetzt ist er Solist, zieht mit Gitarre und seiner Debüt-LP durch Studios und Läden des Village und dem von der damaligen Kulturindustrie nicht sehr begünstigten Biotop um den Washington Square Park. Er gehört zur Folkszene, die um 1960 in New York wenig Renommee hat und auf ihre Beatnik-Weise La Bohème nachspielt. Gegen Ende des Films, der in einem skurrilen Kreisschluss zum Anfang zurückkehrt, sehen wir im berühmten Gaslight Café den Schemen eines Sängers mit Wuschelkopf auf der Bühne sitzen. Es soll Bob Dylan sein. Paul Simon, Joni Mitchell, Leonard Cohen und Peter, Paul and Mary werden folgen und die Nische ins Zentrum versetzen.
Die Coen-Brüder Joel und Ethan erzählen, indem sie authentische Namen und Orte camouflieren, historisch recherchieren und Folk-Kennern kombinatorische Finesse abfordern, die unmögliche, melancholisch-komische Geschichte eines »Serious Man«. Der schaut mit nicht enden wollendem Erstaunen auf die Welt und ihre Erscheinungen und besonders auf die graugesichtigen, beängstigend eigenartigen, in ihren Absonderlichkeiten verfangenen Bewohner, die unter seinem Blick absurde Gestalt annehmen. Was Woody Allen seine Verbeugung vor dem rührigen Impresario »Broadway Danny Rose« war, ist nun den Coens ihr »Llewyn Davis«: schützenswertes Exemplar einer aussterbenden Gattung.
»Inside Llewyn Davis«; Regie: Joel & Ethan Coen; Darsteller: Oscar Isaac, Carey Mulligan, John Goodman, Garrett Hedlund, Justin Timberlake; USA 2013; 104 Min.; Start: 5. Dezember 2013.