Als im Jahr 1866 die Maler Camille Corot und Charles-François Daubigny die Jury-Sitzung zur Auswahl der Gemälde für die jährliche Pariser »Salonausstellung« verlassen, sind sie beide sehr ärgerlich. Vergeblich hatten sie versucht, ihre Jury-Kollegen davon zu überzeugen, auch einmal progressiven Malern die Chance zur Ausstellung zu geben. Der »Salon« ist etwa von 1830 an die weltweit wichtigste Verkaufsveranstaltung für zeitgenössische Kunst. »Ein vollgestopftes Warenhaus, in dem das Geschäft die Kunst verdrängt«, so der Maler J.A.D. Ingres. Wie diese Kunst auszusehen hat, bestimmt eine Kommission aus Malern, Kunstprofessoren, Kunstkritikern, die allem Neuen verschlossen ist. Während die beiden enttäuschten Juroren noch reden, tritt ein junger Mann auf sie zu. Er nennt sich einen Freund des Malers Auguste Renoir, fragt, ob dessen eingereichtes Bild für den Salon angenommen worden sei. Corot und Daubigny bedauern, das Bild sei abgewiesen. Aber: »Sagen Sie ihrem Freund, er soll den Mut nicht sinken lassen, sein Bild hat große Qualitäten.«
Der junge Mann entfernt sich – es ist Renoir selbst, der die offizielle Entscheidung der Jury nicht abwarten konnte. Später klagt er (in seinem einzigen veröffentlichten Interview): »Meine Bilder wurden ein Dutzend Mal unerbittlich zurückgewiesen. Die Jury empfing sie gewöhnlich – ›empfangen‹ ist wohl nicht das richtige Wort – mit Gelächter. Und wenn sie dann doch einmal ganz durch Zufall bei diesen Herren keine Heiterkeit auslösten, und sie sich entschließen konnten, eins meiner Werke zu akzeptieren, so wurde mein armes Bild unter einem Mauervorsprung oder versteckt hinter einem Vorhang gezeigt, damit es so wenig wie möglich gesehen wurde.«
Das ist längst anders: Renoir wird viel gesehen, ist Teil des kollektiven Bildgedächtnisses geworden. Und ist doch immer noch zu entdecken – wie die Ausstellung »Renoir und die Landschaft des Impressionismus« mit mehr als 60 Gemälden aus aller Welt, darunter wichtigen Hauptwerken, im Wuppertaler Von der Heydt-Museum jetzt zeigt.
Pierre-Auguste Renoir – 1841 wird er in Limoges geboren. Er macht eine Lehre als Porzellanmaler, nimmt Zeichenunterricht, bekommt die Erlaubnis, im Louvre kopieren zu dürfen, nimmt Unterricht im Maler-Atelier von Charles Gleyre, wo er Claude Monet, Alfred Sisley und Frédéric Bazille (die Kerngruppe der späteren Impressionisten) kennen lernt, bevor er 1862 an einer Kunsthochschule studieren kann. Im gleichen Sommer beginnt Renoir zusammen mit Monet und Sisley im Wald von Fontainebleau zu malen.
Dorthin, in den kleinen Ort Barbizon, waren Künstler aus Paris aufgebrochen, um der Hektik, dem Lärm und dem Schmutz der Großstadt zu entkommen. Das neue Lebensgefühl auf dem Land, der naturbelassene Zauberwald von Fontainebleau gaben auch der künstlerischen Arbeit neue Impulse. Die Maler verließen das Atelier, gingen mit Farbe, Pinsel und Staffelei hinaus in die freie Natur, zeichneten und malten »sur le motif«, vor dem Motiv, direkt auf Blatt und Leinwand und ließen alles hinter sich, was die Salonmalerei jener Zeit ausmachte: die historisierende, mythologisierende Landschaft, die Glorifizierung von Macht, Größe, Jugend und Schönheit – eine Malerei, die immer oberflächlicher, greller und kitschiger geworden war. Schnell wurde die Künstlerkolonie in Barbizon zu einem Zentrum mit besonderer Anziehungskraft. So auch für Renoir und seinen Freund Monet. Denn die Maler von Barbizon wagten Neues: sie wurden zu Vordenkern und Vorläufern der Impressionisten.
Den Weg zum impressionistischen Bild gehen die Künstler mit unterschiedlichem Temperament, aber gemeinsam: Camille Pissarro, Sisley, Monet und Renoir. Sie entdecken in der Landschaft, aber auch im Gewimmel der Großstadt, auf den Boulevards, in den Parks, auf den Alleen, am Seine-Ufer oder auf der Seine bei den Badenden, Seglern und Ruderern mit ihren Booten oder an der Kanalküste den Zauber von Licht und Schatten, die Reflexe des Wassers. Sie malen das Licht und die flirrende, vibrierende Luft, die Spiegelungen im Wasser, die wechselnden Stimmungen des (flüchtigen) Augenblicks – Bildflächen, zerlegt in kleinste Farbflecken. Das Licht wird zur Farbe.
Vor allem die Freunde Monet und Renoir arbeiten längere Zeit so intensiv zusammen, wie es selten in der jüngeren Kunstgeschichte zwei Künstler getan haben. Ob es von einem oberen Fenster des Louvre aus ist, wo beide eine Serie von Stadtlandschaften malen, oder im kleinen Seine-Örtchen Saint-Michel, wo Monet zeitweise wohnt, ganz in der Nähe von Renoir, der dort im Sommer bei seinen Eltern lebt. Von deren Esstisch, so wird berichtet, versorgt Renoir Monet mit Lebensmitteln. Denn arm sind beide zu jener Zeit. Später besucht Renoir seinen Freund oft in dessen Haus in Argenteuil. Sie malen zusammen, oft vor demselben Motiv, in der Landschaft oder im blumenbunten Garten. Zusammen unternehmen sie längere Reisen nach Italien.
Nach den vielen Zurückweisungen durch den Pariser Salon entschließen sich die jungen Maler zur Gründung einer unabhängigen Künstlervereinigung. 1874 stellen sie zum ersten Mal gemeinsam in den Geschäftsräumen des befreundeten Fotografen Nadar aus. »Impressionisten« werden sie spöttisch von einem Kritiker genannt. Monet erzählt später dazu: »Ich hatte eine in Le Havre von meinem Fenster aus gemachte Sache geschickt, Sonne im Nebel und ein paar Bootsmasten im Vordergrund. Sie baten mich um einen Titel im Katalog. Da man es nicht wirklich als eine Ansicht von Le Havre ansehen konnte, sagte ich: schreibt ›Impression‹. Daher kam ›Impressionismus‹, und es wurden viele Witze darüber gemacht. Was mich angeht, erntete ich so viel Erfolg, wie ich mir nur wünschen konnte, das heißt, ich wurde damals von allen Kritikern kräftig ausgebuht.« Und Renoir erinnert sich: »Das war ein schöner Erfolg! Die Leute kamen, aber nach dem Rundgang durch die Ausstellung forderten sie mit lautem Geschrei ihre 25 Sous zurück.«
Um 1880 ändert sich Renoirs Malweise. Auf einer Italienreise entdeckt er Raffael und die Werke der Renaissance. Für ihn bedeutet das: Abkehr von impressionistischer Farbharmonie und Flächenauflösung hin (oder zurück) zu scharf umrissenen Figuren (Akten), zu Details und dreidimensionalen Formen. Intensiv studiert er die Maltechnik der Renaissance, um sie für sich umzusetzen.
Dann aber, etwa zehn Jahre später, ändert sich seine Malweise erneut. Er beginnt, sich wieder mehr vom Gegenstand zu befreien. Es ist der Beginn seines Spätwerkes, in dem sich die Landschaft mit Häusern, Bäumen, Büschen und Bergen in reine Farbe aufzulösen scheint, und das ihn an die Grenzen der Abstraktion führt.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts leidet Auguste Renoir an schweren, schmerzhaften Rheuma- und Gichtanfällen. Er verbringt immer mehr Zeit in Frankreichs Süden, im milden, warmen Mittelmeer-Klima. Bis er sich ganz in Cagnes niederlässt, ein Haus kauft auf einem Hügel über dem Meer mit Blick auf Olivenhaine. Sie vor allem sind es, die ihn faszinieren: »Sehen Sie doch das Licht auf den Olivenbäumen. Das leuchtet wie ein Diamant. Es ist rosafarben, es ist blau. Und der Himmel, der durchscheint. Es ist zum Verrücktwerden. Und die Berge dort mit den ziehenden Wolken. Das sieht aus wie Hintergründe von Watteau.«
Sein erster Biograf, der deutsche Kunstschriftsteller Julius Meier-Graefe, schreibt 1911: »Er liebte die unpathetische Art der Oliven, die versteckte Gedrungenheit der knorrigen Stämme mit den gastlichen Ästen. Es gab nicht viel andere Bäume für ihn – mit dem leichten Blattwerk der Oliven konnte man alles machen. Im Schatten der Koniferen bekommen sie das Blau. – Stehen sie auf dem Mohnfeld, bedacht ihr Silber den türkischen Teppich – nun braucht nur ein Stückchen Steinmauer dazu zu kommen, ein Dach im Schatten, ein wehendes Kleid unter den Oliven. Alles das immer nur Farbe, vegetativ, lose und ganz unverkennbar: der Süden Frankreichs.«
In diesen südlichen Landschaften aus »immer nur Farbe« spielen auch die weibliche Figur, das »wehende Kleid«, und der weibliche Akt eine große Rolle. Die Olivenbäume, die Hügel und die weichen Formen des weiblichen Körpers »ergaben in den späten Werken Renoirs eine Bild-Textur, in der sich Flächigkeit und eine Tiefenräumlichkeit, die bis in ungewisse Fernen reicht, auf das Innigste verbinden – Im Gegensatz zu einer Vielzahl kleiner Pinselstriche, die die landschaftlichen Gegebenheiten im Licht zum Flirren bringen, sind die weiblichen Akte sehr viel dichter und glatter gemalt, die rosige Haut bekommt durch eine kleine Menge sehr stark vertriebenen Weiß’ ihren wundervollen Perlmuttschimmer und -glanz.« (so Kurator Gerhard Finckh im Wuppertaler Katalog).
Seit 1911 sitzt Auguste Rodin im Rollstuhl. Ein Jahr später sind auch seine Arme gelähmt. Seine verkrümmten Hände können nichts mehr greifen. So lässt er sich den Malpinsel an die Hand binden. Und während in Frankreich die »Fauves« sich formieren, der Kubismus entdeckt wird, in Deutschland die Expressionisten »Die Brücke« und den »Blauen Reiter« gründen, in Italien der Futurismus entsteht, Kandinsky 1910 sein erstes abstraktes Bild malt, arbeitet Renoir unbeirrt und konsequent weiter an seinen Landschaften und Figuren. Mit Ingres hätte er auf die Frage, warum er nicht mit der Zeit gehe, antworten können: »Aber wenn die Zeit Unrecht hat?«. Während draußen der Erste Weltkrieg tobt und er selbst körperlich immer mehr verfällt, feiert der Maler mit seinen farbenprächtigen und glühend-kühnen Bildern das Leben. Dass dieses späte Werk seiner Zeit voraus und mit Tendenzen zur Abstraktion und zum Informel von großer Modernität war, zeigt die Wuppertaler Schau aufs beste.
Von der Heydt-Museum Wuupertal, 28.10.2007–27.1.2008. Katalog 25 €. Tel.: 0202-563 6231. www.von-der-heydt-museum.de