TEXT: GUIDO FISCHER
In den 1980er Jahre war Christoph Eschenbach als Pianist an einer Mozart-Aufnahme beteiligt, die man nicht unbedingt zu den Kostbarkeiten des Genres rechnet. Dafür schaffte er es mit dieser Einspielung einmal auf die Seiten »Vermischtes«. Gemeinsam mit seinem langjährigen Duo-Partner Justus Frantz hatte Eschenbach in Mozarts Konzert für drei Klaviere einen prominenten Amateurpianisten hinzugewonnen. Es war Helmut Schmidt, der sich wacker in der dritten (auch leichtesten) Klavierstimme schlug. Vom Resultat waren zumindest der eiserne Bundeskanzler und Weltpolitiker sowie der auch von seinem Naturell her blonde Frantz begeistert. Eschenbach hingegen schien eher amüsiert vom medialen Hype um eine Schallplatte, der kein Überleben als Klassiker gesichert war.
In Eschenbachs beinahe ein halbes Jahrhundert währenden Karriere besitzt diese Kuriosität dennoch besonderen Stellenwert: als Abschiedsdokument des Konzertpianisten Eschenbach. Hatte er 20 Jahre zuvor seine Studio-Laufbahn bei der Deutschen Grammophon mit Mozart begonnen, schloss sich so nun der Kreis.
STÄNDIGE LEISTUNGSSTEIGERUNG
Die Entscheidung schien Eschenbach 1983 nicht schwergefallen zu sein. Es hatte seit längerem Hinweise gegeben, dass der hochbegabte Künstler das solitäre Leben am Klavier nicht fortzusetzen gedachte. In den letzten Veröffentlichungen war er einzig als Klavierpartner von Justus Frantz im vierhändigen Spiel und als Liedbegleiter von Dietrich Fischer-Dieskau zu hören. Das Dirigieren beanspruchte ihn damals schon mehr und mehr. 1978 war Eschenbach zum GMD der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz ernannt worden. 1981 kam die Position als Erster Gastdirigent beim London Philharmonic Orchestra hinzu. Im Jahr darauf wurde er zum musikalischen Leiter ans Tonhalle-Orchester Zürich berufen.
Eschenbach hat dieses Tempo beibehalten. In seinen Engagements als Musikdirektor formte er aus gelegentlich etwas verschlafenen Traditionsorchestern international konkurrenzfähige Spitzenklangkörper. Das gilt für das Orchestre de Paris, das er zehn Jahre leitete. Vor allem in den USA sind ihm kleine Wunder geglückt, in Houston und in Philadelphia. Und seit er 2010 das National Symphony Orchestra Washington übernahm, treten die Hauptstädter peu à peu aus dem Schatten der Top-Orchester von New York und Chicago.
Die Leistungssteigerung hat der nunmehr 72-Jährige nicht mit konventionellen Zuchtmeister-Methoden erreicht. Eschenbach geht mit höchstem Respekt und großer Offenheit auf die Musiker zu und lädt sie ein, nicht nur musikalisch aufeinander zu hören, sondern auch menschlich. So entsteht unter seiner Hand aus häufig genug komplizierten Individuen ein klangprächtiger, fein abgestimmter Gesamtorganismus.
IN DEN PROBEN GEHT ES NIE LAUT ZU
In den Proben des Menschenfreundes und Menschenfängers Eschenbach geht es nie laut zu, sondern gesammelt und mit nahezu buddhistisch wirkender Ruh. So erarbeitet er sich mit seinen Orchestern die Schwergewichte der Musikgeschichte, aber auch Werke, die er bei zeitgenössischen Komponisten wie Pascal Dusapin und Peter Lieberson in Auftrag gegeben hat.
Die Begabung, den Musikern seinen Geist und seine musikalische Vision zu vermitteln, hat Eschenbach vor allem von zwei gegensätzlichen Dirigenten gelernt: bei Herbert von Karajan in Berlin und George Szell in Cleveland, deren Proben er bereits in seiner Zeit als weltweit gastierender Pianist besuchte. Nachdem Eschenbach und Karajan 1966 das 1. Klavierkonzert von Beethoven aufgenommen hatten, begann ihre intensive Zusammenarbeit – und Freundschaft. Noch vor seinem US-Debüt 1969 mit dem Cleveland Orchestra nahm Eschenbach Dirigierunterricht bei Szell, der ihn auf Phrasierung und Transparenz achtgeben ließ. Karajan lenkte seine Aufmerksamkeit vor allem auf Klangfarben, Nuancen und atmosphärische Übergänge. »Szell war der Zeichner, Karajan der Maler«, bringt es Eschenbach auf den Begriff.
Als er 1972 erstmals in Hamburg vor einem Orchester stand und Bruckners 3. Symphonie dirigierte, erfüllte sich sein Berufswunsch, dem der 1940 in Breslau geborene, als Waisenkind aufgewachsene Eschenbach von früh auf nachhing. Initiiert, wie er sich erinnert, durch den Besuch eines Konzerts der Berliner Philharmoniker unter Wilhelm Furtwängler, der »ein Kollektiv von Musikern in Ekstase, ja in Raserei zu bringen« wusste.
Christoph Eschenbach begnügt sich nicht damit, Taumel mit Beethoven, Bruckner, Tschaikowsky oder Mahler auszulösen. Bei seiner Nachwuchsförderung hat er außerdem Talente aufgespürt und sie bis zur Weltspitze begleitet. Der berühmteste Eschenbach-Zögling ist der chinesische Tasten-Akrobat Lang Lang.
Trotz seines ohnehin immensen Arbeitspensums reizt es Eschenbach, im Team Play als Kammermusiker und Liedbegleiter aufzutreten. Auch dieser Aspekt kommt während der Essener Konzertsaison zur Ansicht bzw. zu Gehör. Der »Residence«-Künstler gastiert als Dirigent des London Philharmonic Orchestra sowie in einer nobel besetzten, mehrstündigen Kammermusik-Nacht. Zu Beginn der kleinen Eschenbach-Festspiele gibt er mit dem Bariton Matthias Goerne einen Meisterkurs im Liedgesang und präsentiert einen reinen Schubert-Abend. Mit Goerne verbindet Eschenbach eine seeelenverwandte Auffassung darin, zur Tiefe und Essenz der Musik vorzudringen. Es lässt sich auch mit einem Wort Rainer Maria Rilkes sagen, das sich Eschenbach zum künstlerischen Motto genommen hat: »Nirgends wird Welt sein als Innen«.
20. und 21. Oktober 2012, Matthias Goerne (Bariton) & Christoph Eschenbach (Klavier), Philharmonie Essen; 22. Dezember, Eschenbach und das London Philharmonic Orchestra, ebenfalls Philharmonie Essen. www.philharmonie-essen.de