TEXT: INGO JUKNAT
»Willst du mein bestes Stück sehen?«, fragt das Playmobil-Männchen mit dem Feigenblatt und dem italienischen Akzent. Das Angebot ist ernst gemeint. Es stammt aus einer »Skype«-Unterhaltung im Internet. Tagelang hat die Künstlerin Frances Stark mit einem italienischen Regisseur gechattet. Es ist eine Zufallsbegegnung. Mal tippen sie bloß, mal schalten sie die Kameras ein. Am Anfang geht es um Sex, später entwickelt sich eine intelligente, oft lustige Unterhaltung über Film, Politik und Geschichte.
Das Gespräch ist inzwischen zur Kunst geworden. Stark hat den Dialog protokolliert und auf Video gebannt. »My Best Thing« heißt die Arbeit, mit der Stark unter anderem bei der Biennale in Venedig vertreten war. Die Komik entsteht vor allem durch die Visualisierung. Die Männchen stammen aus einem digitalen Werkzeugkasten namens »Xtranormal«. Damit lassen sich einfache 3D-Filme zusammenstellen. Man kann die Figuren individualisieren, ihnen Make-up und Kleidung verpassen. Oder eben ein Feigenblatt. Computergenierte Stimmern stehen ebenfalls zur Auswahl, Akzent inklusive. »My Best Thing« stellt die Frage, inwieweit moderne Kommunikationskanäle wie Skype Anonymität und Nähe gleichermaßen zulassen. Die kindliche Anmutung der Playmobil-Männchen bildet außerdem einen humorvollen Kontrast zum erwachsenen Sex-Talk der beiden Protagonisten.
SHOW FÜR ZWEI
Die Arbeit der Kalifornierin gehört zu den Hauptexponaten von »Number Seven«. Die neue Ausstellung in der Julia Stoschek Collection ist ausnahmsweise nur zwei Künstlern gewidmet: Frances Stark und Ed Atkins, einem jungen britischen Künstler, der auch schon zur Biennale eingeladen war. Anders als seine amerikanische Kollegin, für die Filme nur ein Medium von vielen sind, arbeitet Atkins primär im Videobereich. Trotzdem ergeben sich interessante Parallelen und Unterschiede, wenn man die Werke der beiden Künstler nacheinander betrachtet.
Wer sich die niedlichen Figuren in Starks »My Best Thing« anschaut und dann zu Atkins’ Video »Warm, Warm, Warm Spring Mouths« wechselt, versteht z.B., was Wissenschaftler mit dem uncanny valley meinen. Das »unheimliche Tal« ist ein Effekt, der beim Betrachten menschenähnlicher Figuren entsteht. Das Phänomen tritt bei realistischen Puppen auf und besonders bei digitalen Modellen. Es beschreibt eine nachweisbare, scheinbar paradoxe Reaktion. Zeigt man Probanden eine Reihe immer realistischer werdender Gesichtsmodelle, fällt die Akzeptanz an einem bestimmten Punkt abrupt ab. Die Betrachter nehmen die Simulation als unheimlich wahr. Die verbliebenen Unterschiede zum Original werden plötzlich nicht als Kleinigkeiten, sondern als besonders (ver-)störend wahrgenommen. Diese Erkenntnis hat sich bis nach Hollywood herumgesprochen. So verzichten die Oscar-gekrönten Animateure von Disney trotz High-Tech-Software bewusst auf realistisch gezeichnete Menschen.
HAARE AUF HINTERKOPF
Atkins’ »Warm, Warm, Warm Spring Mouths« ist archetypisches uncanny valley. Das Video von 2013 zeigt einen hyperrealistisch modellierten Menschen, der in einem Aquarium schwimmt. Währenddessen zitiert er mehrfach »The Morning Roundup«, ein Gedicht des amerikanischen Schriftstellers und Poeten Gilbert Sorrentino, das den Tod von Freunden beklagt. Die Verbindung von Text und Video bleibt bestenfalls assoziativ. Interessanter ist Atkins’ Beschäftigung mit dem Medium selbst. Seit ein paar Jahren dreht er nur noch Videos in HD-Auflösung. Viele davon kreisen um die Unzulänglichkeit des Körpers, aber auch um die der Medien, die ihn abbilden sollen. Ein gutes Beispiel ist das in der Stoschek Collection gezeigte »A Primer for Cadavers« (»Eine Fibel für Kadaver«). Der Clip zeigt nichts anderes als die Haare auf einem menschlichen Hinterkopf. Diese werden mit verschiedenen Linsen verfremdet, als wollte Atkins die hochauflösenden Bilder brechen und ihre Künstlichkeit entlarven. Eine gewisse Faszination für Haare kann man dem Briten ohnehin nicht absprechen. Zwei weitere Werke in der Ausstellung drehen sich um dieses Thema. Vermutlich auch deshalb, weil menschliche Haare digital besonders schwer nachzubilden sind.
Anders als bei Atkins, geht es bei Frances Stark deutlich weniger abstrakt und ernst zu. Dass ein humorvoller Ansatz – anderslautenden Klischees zum Trotz – nicht auf Kosten der Komplexität gehen muss, sieht man an Starks Arbeit »Osservate, leggete con me« (»Betrachtet, lest mit mir«). Der Titel zitiert eine Zeile aus Mozarts »Don Giovanni«. In der betreffenden Szene zählt der Diener Leporello alle Frauen auf, mit denen der Don geschlafen hat. Stark transportiert diesen Inhalt in die Gegenwart, indem sie Mozarts Musik über einen weiteren Chat-Dialog legt. Anders als bei »My Best Thing« kommt »Osservate« nur mit Text aus. Starks Beitrag zum Gespräch wird rechts eingeblendet, ihre männlichen Gesprächspartner kommen auf der linken Seite der Leinwand zu Wort. Mozarts Arie wird mehrfach wiederholt, Rhythmus und Drastik passen sich dem Inhalt des Chats an. Oder umgekehrt, je nach Sichtweise. So entsteht eine Fülle von Referenzen zwischen dem Thema der Oper, ihrer Musik und dem Text auf der Leinwand. Derart eingerahmt, wirkt der oft derbe Chat plötzlich beinahe poetisch.
Die Stoschek Collection zeigt auch »statische« Arbeiten von Frances Stark. Da ist, zum Beispiel, »Detumescence and/or its Opposite« (»Erschlaffung und/oder ihr Gegenteil«). Das Wandbild im Eingangsbereich zeigt eine abstrakt gezeichnete Frau, die sich erschöpft nach vorne lehnt, um sich dann Bild für Bild aufzurichten wie in einem Daumenkino. Sie hält einen Hörer in der Hand, der mit einem altmodischen Wählscheibentelefon verbunden ist. Es taucht noch zwei Mal in der Ausstellung auf: als Ganzkörperkostüm und in der Collage »Backside of the Performance«. Letztere zeigt Starks Auftritt bei der Performa 11 in New York im Jahr 2011. Dort trug sie jenes Telefonkostüm, das nun Teil von »Number Seven« bildet. Bei der Performance trat auch Skerrit Bwoy auf, ein für seinen sexuell expliziten Tanzstil bekannter Künstler und DJ aus New York. Starks Motiv der erotisch aufgeladenen Kommunikation zieht sich somit durch alle in der Schau gezeigten Arbeiten.
Number Seven, Julia Stoschek Collection, Düsseldorf, bis Februar 2014. Tel. 0211/5 85 88 40. www.julia-stoschek-collection.net