TEXT: REGINE MÜLLER
Richard Wagner wollte eigentlich ein »Werk kleineren Umfangs liefern«, als er die Arbeit am »Siegfried« unterbrach, um sich mit dem »Tristan« zu beschäftigen. Die Sache mit dem Umfang lief dann ziemlich aus dem Ruder, denn aus dem Liebesdrama wurde ein in jeder Hinsicht maßloses, formsprengendes Werk. Obwohl oder gerade weil das Personal verglichen mit Wagners anderen Musiktheater-Schöpfungen überschaubar und die Konstellation als Kammerspiel angelegt ist.
Am Bonner Opernhaus wagt sich Regisseurin Vera Nemirova an Wagners »Handlung«, in deren Zentrum, dem zweiten Akt, das längste Liebesduett der Operngeschichte steht. Für Nemirova schließt sich mit dem »Tristan« ein Kreis: Vor zehn Jahre eröffnete ihre Verdi-»Macbeth«-Inszenierung die Ära von Klaus Weises, nun beendet die Kollegin seine Intendanz. Mehrfach hat die nicht unumstrittene Konwitschny- und Berghaus-Schülerin während der zehn Jahre in der Bundesstadt inszeniert: »Macbeth« spielte im Politiker-Milieu und richtete einen kritischen Blick auf die Macht der Medien; in Gounods »Faust« entsorgte eine Prekariats-Margarethe ihr getötetes Kind in einer Kühltruhe; Donizettis »Liebestrank« wurde auf einer Wellness-Farm gemixt.
Die Inszenierung von 2010 wird Nemirova mit einem gewitzten Detail im »Tristan« zitieren, so wie Donizetti in seiner Partitur tatsächlich den »Tristan«-Akkord zitiert: Der Liebestrank ist für Nemirova sowohl bei Donizetti als auch bei Wagner pures klares Wasser: »der ominöse Trank nur ein Katalysator für etwas, das längst im Gange ist zwischen den beiden. Deshalb auch die gleiche banale Wasserflasche wie damals«. Für Nemirova geht es um das »Zeichnen einer Seelenlandschaft und das Erzeugen von Vibrationen«. Der Zuschauer müsse erleben, dass da etwas ist, das sich nicht steuern lasse.
Formal ordnet Nemirova das Werk noch dem frühen Wagner zu, der ihrer Auffassung nach noch in der Tradition der Grand Opéra stehe und noch nicht im Zeichen des Gesamtkunstwerks. »Es beginnt als große Oper, aber je später der Abend, desto mehr wird es bei uns zum psychologischen Kammerspiel.« Bereits im Studium hatte Nemirova sich intensiv mit den Wesendonck-Liedern beschäftigt, daraus »Im Treibhaus« und »Träume« Vorstudien zum »Tristan« waren. Die Fabrikantengattin Mathilde Wesendonck, die mit Wagner eine innige, nie ganz geklärte Beziehung unterhielt – und die übrigens auf dem alten Friedhof in Bonn begraben liegt –, lieferte die Texte für den Liederzyklus; der aus dieser Keimzelle hervorgegangene »Tristan« gilt als Bewältigungsstück der unerfüllten Liebesbeziehung zwischen dem Paar.
Als Künstlerpaar nach diesem Vorbild deutet Nemirova auch das hohe Paar im »Tristan« und als »kreativen Rausch« sein endloses Umeinanderkreisen. Das »unaufhörliche Sehnen« (Wagner) kann sich für die Regisseurin der Logik nach nur im gemeinsam angestrebten Tod lösen: »ganz ähnlich wie bei Heinrich von Kleist und Henriette Vogel«.
Mit Wagner, hat Nemirova nie gefremdelt, war er doch sogar ihr erster Deutschlehrer. Als sie neun Jahre alt war, zog die Familie aus Bulgarien in die DDR. »Meine Mutter trat als dramatischer Sopran ein Engagement als Senta in Rostock an. Das war meine erste Begegnung mit Wagner und es zündete sofort. Auch die Sprache habe ich aufgesogen, nur als ich anfing, von einem ›minnigen Weib‹ zu reden und alles lachte, merkte ich, dass ich wohl noch einen anderen Deutschlehrer brauchen würde.«
2007 inszenierte sie mit »Tannhäuser« ihren ersten Wagner; der Frankfurter »Ring« hat sie fünf Jahre lang innerlich beschäftigt. »Mein ganzer Lebensrhythmus war davon bestimmt. Dagegen war der ›Tristan‹ ein Kinderspiel. Schon vor Ostern war ich szenisch eigentlich fertig.« Nemirovas »Tristan« wird in einem zeitlos abstrakten Raum spielen, der viel Platz lässt für große Gefühle in gedehnter Zeitrechnung. Hier und da gibt es wohl Anklänge an die Gegenwart; ein veritables Gewächshaus erinnert an die Inspiration durch das »Treibhaus«-Lied aus dem Wesendonck-Zyklus.
Vom bedingungslosen Einsatz ihrer beiden Protagonisten ist Nemirova begeistert: »Die ziehen wirklich mit. Anders ginge es auch nicht. Schließlich tragen sie den ganzen langen Abend.« Auch stimmlich gibt die Besetzung der Hauptrollen Anlass zu höchsten Erwartungen. Die amerikanische Sopranistin Dara Hobbs war als fulminante Isolde die Entdeckung der vergangenen Spielzeit beim Wagnerfestival in Minden; Robert Gambill ist ein Tristan von internationalem Format. Am Pult des Beethovenorchesters steht mit GMD Stefan Blunier ein mit dem romantischen Repertoire bestens vertrauter Dirigent. Der Bonner »Tristan« könnte ein herausragendes Ereignis im Wagner-Jahr werden.
»Tristan und Isolde« in der Oper Bonn. Aufführungen: 5., 9., 19. Mai, 2. Juni und 13. Juli 2013. www.theater-bonn.de