TEXT: GUIDO FISCHER
Es passiert nicht oft, dass sich heutige Musiker am Spiel längst verstorbener Kollegen messen lassen müssen. Im Fall von Mozarts Lieblingsklarinettisten liegt die Messlatte sogar extrem hoch. Glaubt man Zeitzeugenberichten, konnte Anton Stadler auf der Klarinette »die menschliche Stimme täuschend nachahmen«. Sein Ton sei »so weich, so lieblich, dass ihm niemand widerstehen kann, der ein Herz hat!« Dem Klarinetten-Orpheus hatte Mozart seine schönsten Werke für das Blasinstrument komponiert. Dazu gehören das Klarinettenquintett und nicht zuletzt das Klarinettenkonzert, bei dem man nah an Stadlers herzerweichenden Klang herankommen muss, um diesem Musikweltwunder gerecht zu werden.
Bei Sabine Meyer darf man sich sicher sein, dass sie mit Stadler mithalten kann. Denn was den schwerelos dahinströmenden Atem, die erlesenen Kantilenen und die Momente tiefempfundener Tragik angeht, bewegt sich Meyer auf das pure Mozart-Glück zu. Was wohl auch Anne-Sophie Mutter so sieht. Obwohl kein Mangel an Spitzen-Aufnahmen auch jüngeren Datums von Mozarts Klarinettenkonzert herrscht (u.a. von Martin Fröst und Sharon Kam), ist für die deutsche Star-Geigerin die über zehn Jahre alte Einspielung von Meyer mit Claudio Abbado und den Berliner Philharmonikern weiterhin unerreicht.
Als das »beste und bedeutendste Bläserkonzert« bezeichnete die im württembergischen Crailsheim geborene, in Lübeck lebende Klarinettistin das Mozart-Konzert. Die 55-Jährige hat sich mit keinem anderen so intensiv beschäftigt und es wie kein zweites so oft gespielt. Trotzdem empfindet Meyer es jedes Mal als Prüfstein. Für sie nutzt sich das Stück nie ab, sondern besitzt immer einen rätselhaften Kern, einen Magnetismus. Besonders gilt das für die Originalfassung für die tenorale Bassettklarinette, bei der das Leidenschaftliche der Musik noch intensiver hervorklingt. Wenn Meyer auf die von Mozart bevorzugte Bassettklarinette beharrt, hat das nichts mit dem Denken einer Originalklang-Bewegten zu tun. Ihr geht es hier wie überhaupt bei allem, was sie spielt, um den bestmöglichen Ausdruck in Klang und Gestaltung.
Mit diesem Anspruch hat sich Meyer vor drei Jahrzehnten in die Elite gespielt, wobei sie zunächst in einen Skandal und zwischen die Fronten von Herbert von Karajan und den Berliner Philharmonikern geraten war. Karajan wollte die junge Klarinettistin zum festen Mitglied des Orchesters machen, ohne es in die Entscheidung einzubinden. Es kam zum öffentlich ausgetragenen Machtkampf, den Meyer unbeschadet überstand. Seither haben Dutzende zeitgenössischer Komponisten wie Toshio Hosokawa Konzerte und Kammermusikwerke für sie und ihr Bläserensemble geschrieben.
Mit einer Aufnahme von Klarinettenkonzerten des Mozart-Zeitgenossen Carl Stamitz brach sie bei fast 200.000 verkauften Tonträgern in dieser musikalischen Nische Erwartungen und Rekorde. Mit ihrem Trio di Clarone widmet sie sich auch dem Jazz und Blues. Bei aller Offenheit und Vielseitigkeit steht bei ihr am Ende aller musikalischen Ausflüge dann doch wieder nur einer: Mozart, dem sie jüngst ein Album mit für Klarinette arrangierten Konzert- und Opernarien widmete. Womöglich gibt es daraus bei dem Konzert, das sie in Münster beim »Summerwinds«-Festival gibt, ein oder zwei Zugaben – im Anschluss an Mozarts (Bassett-)Klarinettenkonzert.
Sabine Meyer, Sinfonieorchester Münster, Fabrizio Ventura: 1., 2. & 6. Juli 2014, Theater Münster; www.summerwinds.de