TEXT: ANDREAS WILINK
Er ist, obgleich muslimischer Palästinenser, ein Hiob – der Fischer Jafaar aus dem Gazastreifen. Fische fängt er kaum, seit die Israelis ihm und seinen Kollegen untersagt haben, weiter als vier Kilometer hinaus auf See zu fahren. Was er an der Küste aus dem Wasser holt, ist mehr altes Schuhwerk, Abfall und Zivilisationsmüll als Essbares. Neidisch guckt er auf die, die mal einen dicken Thunfisch oder ein Bündel Tintenfisch im Netz mitbringen. 300 Schekel Schulden hat er zudem beim Händler. Und auf dem Dach seines Hauses, ohnehin eine halbe Ruine, vor dessen wandgroßes Einschussloch er einen Vorhang gezogen hat, haben zwei israelische Wachtposten Stellung bezogen. Jafaar und seine Fatima (Baya Belal) leben wie im Gefängnis und unter Aufsicht, auch wenn die einquartierten Soldaten nachbarschaftlich ihre Toilette mitbenutzen oder sich mit der Hausfrau über eine brasilianische Telenovela austauschen.
Jafaar hätte Grund, mit seinem Gott zu hadern, der in der Gegend zwischen Jordan, Mittelmeer und Rotem Meer schließlich daheim ist. Dann aber hat er, die Pointe bietet sich nun mal an: Schwein. Er zieht eben dieses Tier aus dem Wasser und muss entsetzt sehen, wie es auf seinem Kutter umherschnüffelt. Ausgerechnet ein Schwein, also ein unreines Tier laut Koran und Bibel. Aber Jafaar ist auch ein Schwejk und Schlemihl. Das Schwein muss er loswerden. Sein erster Gang führt ihn zum UN-Posten und dem deutschen Scheuerland (Ulrich Tukur), dem er das »pig« (er spricht es aus wie »big«) offeriert, worauf der Beamte, der es in Gaza schlimmer als in Mogadischu findet, ausrastet: »Pig wie Paranoia«.
Erschießen mag er das Schwein auch nicht, obschon ihm dazu ein Glaubensbruder rät, zumal er das letzte Mal eine Kalaschnikow im Sechs-Tage-Krieg benutzt hatte. Solche kleinen verbalen Attacken unternimmt Sylvain Estibal immer wieder und unterminiert damit das Komödienhafte und Kuriose seiner Geschichte, die hintergründig einen ewigen, fast unlösbaren Konflikt kommentiert und massiv Konterbande einschmuggelt. Als Jafaar endlich mal Geld hat, sich fein macht und seiner Frau ein Kleid und Parfum schenkt, sagt die bloß stoisch: »Was ist? Haben sie Palästina befreit?« Oder man liest auf der von Israel errichteten Grenzmauer ein Graffito, das die Kamera kurz mal streift: »Ich bin ein Berliner« steht da.
Die Realität ist mitunter überhaupt nicht witzig, wenn man Fatima etwa den ererbten alten Olivenbaum absägt oder ihr das Haus niederwalzt, als Jafaar für einen Selbstmordattentäter gehalten wird. Zuvor aber hat Jafaar Glück mit dem Schwein und macht mit dem ideologischen Gegner ein Geschäft. Er geht zu den schwer bewachten strenggläubigen Siedlern, deren Camp bald vom Militär geräumt werden soll. Hier züchtet die russische Immigrantin Yelena (Myriam Tekaia), den Hygienegesetzen zum Trotz, Schweine, die sich freilich auch zum Aufspüren versteckter Sprengkörper eignen. Perversion des Trüffelschweins, das hier auch noch Schafspelz tragen muss! Die orthodoxe Jüdin kann Jafaars Schwein gebrauchen, vor allem dessen Sperma, das ihm sein unfreiwilliger Besitzer mittels Viagra und anderer stimulierender Sauereien (Pin-up-Fotos von Miss Piggy) abzapft.
Im Heiligen Land hat alles wenigstens zwei Seiten und ist mindestens so kompliziert wie die Lebensläufe der Menschen hier, etwa des Hauptdarstellers Sasson Gabay, einem Israeli mit irakischen Wurzeln.
Als Jafaar von islamischen Extremisten als lebende Bombe ausgerüstet wird und als Märtyrer für die gerechte Sache sterben soll, bleibt nur der Ausweg durch den Tunnel im Schutzwall. Ein anderer Exodus. In einer Arche machen sich vier Flüchtlinge plus Schwein davon und landen doch wieder im Gewohnten statt an einem friedlicheren Gestade. Ein Trost bleibt: Den Himmel auf Erden findet man im Gelobten Land nicht, aber ein interkultureller HipHop ist immerhin ein Anfang. Das Licht des Kinos schenkt den utopischen Vorschein.
»Das Schwein von Gaza«; Regie und Drehbuch: Sylvain Estibal; Darsteller: Sasson Gabay, Baya Belal, Myriam Tekai, Ulrich Tukur; F/D/Belgien 2011; 98 Min.; Start 2. August 2012.