Florian Meimberg ist ein international hoch dekorierter Werbe- und Musikvideo-Regisseur, ausgezeichnet unter anderem mit dem Oscar der Werbebranche, einem »Cannes Lion«. Eine Auszeichnung jedoch ist dem Bonner die wichtigste, er erwähnt sie in jedem Lebenslauf an erster Stelle – und das, obwohl sie nicht einmal dotiert ist: 2011 erhielt Meimberg einen Grimme Online Award für seine »Tiny Tales« auf Twitter, Kürzest-Geschichten in nur 140-Zeichen. »Da erst ging es richtig los«, erinnert sich der 48-Jährige, »die Feuilletons wurden aufmerksam, ich bekam einen Buchvertrag und schrieb einen Bestseller.« Der Grimme Online-Award, kurz GOA, gab seiner Karriere eine neue Wendung, er verdankt ihm viel.
Damals, 2011, war der GOA bereits zehn Jahre alt. Es war eine ebenso weitsichtige wie wegweisende Entscheidung im Jahr 2001, den altehrwürdigen Grimme-Preis, der seit 60 Jahren qualitätvolle Fernsehproduktionen unabhängig auszeichnet, aufs Web zu erweitern. Noch war nicht abzusehen, dass das »Neuland« dem klassischen Fernsehen einmal den Rang ablaufen könnte. Insofern mutet es absurd an, dass ausgerechnet der Grimme Online Award aktuell zur Disposition steht. »Ich habe mich sehr gewundert, als ich davon gelesen habe«, sagt der ehemalige Preisträger Florian Meimberg, »das halte ich für rückwärtsgewandt. Der Online-Award ist doch der innovativere Preis, und er wird immer wichtiger!«
An dieser Ansicht besteht in der Medienbranche kein Zweifel. Der GOA ist Qualitätssiegel und Seismograph für Trends. Die Satire-Webzeitung »Der Postillon« wurde ebenso ausgezeichnet wie der BILD-Blog oder die Online-Sendung »Jung & Naiv«, 2013 der Hashtag zur Sexismus-Debatte: #aufschrei.
Aufschrei in der Medienwelt
Nun geht ein Aufschrei durch die Medienwelt. »Betrachtet man mediale Effekte, die die Gesellschaft bis ins Mark erschüttern – Fake News, Hassrede, die brutale Verstärkung extremer Positionen, das Schweigen der Mitte, die Monopole der Social-Media-Oligarchen – ist der GOA heute besser zu begründen als ein klassischer Fernsehpreis. Der Preis ist wichtig für alle: für die Macher als Orientierung, fürs Publikum als Empfehlung, und nicht zuletzt für die Relevanz des Grimme-Instituts selbst.« Sagt eine Stimme, die Gewicht hat: Der Journalist und Produzent Friedrich Küppersbusch ist dem Grimme-Institut als Mitglied im Beirat seit Jahren verbunden.
Noch dazu ist der Grimme Online Award einzigartig. »Bezogen auf publizistische, journalistische Angebote im Netz gibt es nichts Vergleichbares«, sagt Dr. Petra Werner, Professorin für Journalistik im Studiengang Online-Redaktion an der Technischen Hochschule Köln, »die Online-Publizistik verlöre einen Leuchtturm der Qualitätsorientierung.«
Prof. Petra Werner war in den vergangenen Jahren Mitglied der GOA-Jury. Ob sie in diesem Jahr wieder dabei sein wird, weiß sie nicht – es gibt aktuell noch keine Jury, keine Nominierungen, keinen Etat. Das Grimme-Institut muss im laufenden Jahr 430.000 Euro einsparen.
Schon seit Jahren laufen dem Institut die (Personal-)Kosten davon. Bislang werden nur 15 Prozent des Etats durch Sponsoring, Spenden oder Einnahmen aus der Grimme-Akademie selbst erwirtschaftet. Ausgeglichen hat die Fehlbeträge bislang immer wieder das Land NRW, das mit einer institutionellen Förderung von aktuell 2,345 Mio. Euro den Löwenanteil der Finanzierung (80 Prozent) trägt. Dieser Betrag ist im Landeshaushalt vorgesehen – mehr wird es darüber hinaus vom Land absehbar nicht geben. »Das Land NRW war und ist ein verlässlicher Förderer des Grimme-Instituts. Das Institut ist aber keine Landeseinrichtung«, sagt NRW-Medienminister Nathanael Liminski, der zum Kreis der Grimme-Gesellschafter gehört, mit Verweis auf die Staatsferne in der Medienpolitik. »Ich begrüße es daher sehr, dass sich aktuell auch andere Gesellschafter engagieren, um zur Konsolidierung beizutragen.«
In Euro und Cent drückt sich dieses Engagement bislang allerdings nicht aus. Die anderen Gesellschafter, das sind der Deutsche Volkshochschulverband (DVV), der mit 40 Prozent Anteilen an Bord ist, je 10 Prozent halten neben dem Land NRW die Film- und Medienstiftung NRW, die Landesanstalt für Medien NRW, die Stadt Marl, der WDR und das ZDF. Geld gibt bislang neben dem Land nur die Stadt Marl, die jährlich 165.000 Euro beisteuert.
Die Preisverleihung wackelt
Ende 2023 kamen die Gesellschafter zu einer Krisensitzung zusammen. Beschlossen wurde jedoch nicht, das Institut besser auszustatten, sondern ein Sparkurs, dem die Abteilungen Medienbildung und Forschung zum Opfer fallen sollen. Darüber hinaus verzichten die 22 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Grimme-Instituts, darunter 13 Vollzeitkräfte, auf Tariferhöhungen, um Kündigungen zu vermeiden. Doch das reicht noch nicht. Ein Aus des Grimme Online Awards brächte rund 280.000 Euro.
Dennoch mag man kaum glauben, dass der Vorschlag, eines der Aushängeschilder des Instituts zu opfern, ernst gemeint war. Offenbar sollte Druck auf die Gesellschafter ausgeübt werden, mehr Geld zuzuschießen – erfolglos. Stattdessen engagierten die Gesellschafter das Münchener Kultur-Beratungsunternehmen actori, das u.a. die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu seinen Kunden zählt und in NRW das Pina Bausch Zentrum mit auf den Weg brachte. Die Bayern sollen das Grimme-Institut dabei unterstützen, »die Aufgaben zu fokussieren«, wie es Minister Liminski formuliert. »Die Preise gehören zu Markenkern und Mission des Grimme-Instituts«, heißt es auch vom Volkshochschulverband. Dass dazu auch der GOA gehört, hat Liminski öffentlich klar gemacht.
Die Preisverleihung 2024 wackelt dennoch – immerhin braucht die Verleihung einen Vorlauf von mindestens einem halben Jahr. »Wir arbeiten daran, dass der Grimme Online Award durchgeführt werden kann«, sagt Institutsleiterin Dr. Frauke Gerlach auf Anfrage. Personell sei das Grimme Institut »sehr gut aufgestellt, um den Grimme Online Award zu betreuen und weiterzuentwickeln.« Wie es heißt, arbeitet das Institut intern an drei Spar-Varianten – darunter auch eine rein virtuelle Verleihung des Online-Awards. Wie repräsentativ die GOA-Verleihung ausfällt, hängt demnach davon ab, ob und wie viel Geld die Gesellschafter bis Mitte des Jahres noch akquirieren.
Akquise, Akquise, Akquise
Zu diesem Zeitpunkt wird Gerlach nicht mehr zuständig sein. Sie verlässt das Institut Ende April; ihre Stelle wird Mitte des Jahres vermutlich noch nicht wiederbesetzt sein. Noch im September 2023 hatte Frauke Gerlach angekündigt, eine dritte Amtszeit antreten zu wollen. Ob er (auch) ein Führungsversagen sehe, das zur Unterfinanzierung des Instituts geführt hat, ließ Liminski gegenüber dieser Redaktion unbeantwortet. Nun gibt es allerdings weitere Fragen: Die SPD im Landtag möchte durch eine Kleine Anfrage unter anderem in Erfahrung bringen, seit wann das Land von der Finanznot bei Grimme wusste und wie viele Mittel aus dem Etat an das gemeinsam mit der Universität zu Köln betriebene Grimme-Forschungskolleg geflossen sind.
Die Reise des Grimme-Instituts geht also zurück zu den Wurzeln – es soll (wieder) eine starke Stimme im medienpolitischen Diskurs werden und eine Instanz für Medienqualität bleiben. »Trotzdem werden auch Veränderungen in den Abläufen der Preisverleihungen sorgfältig geprüft«, lässt DVV-Direktorin Julia von Westerholt mitteilen. Und weiter: »Es wird auch darum gehen müssen, verstärkt neue Möglichkeiten der Einnahmeerhöhung (z.B. Sponsoring und Einwerbung von Drittmitteln) zu eruieren.«
Dass das Grimme-Institut seine Stärken stärkt und dafür den unterfinanzierten Bereich Medienforschung aufgibt, findet Beiratsmitglied Friedrich Küppersbusch nachvollziehbar. »Das Kapital des Institutes ist die Kompetenz, Jurys zusammenzustellen und zu organisieren«, sagt er. Er schlägt vor, Stiftungen oder Mäzene anzusprechen – und auch kommerzielle Anbieter ins Boot zu holen. »Kurzfristig bräuchte das Institut jemanden, der oder die rund um die Uhr Akquise betreibt.« Akquise für Fördermittel, wohlgemerkt – damit das Grimme-Institut wieder mit Verleihungen statt Verlusten Schlagzeilen macht.