Polke bleibt nicht stehen. Ist immer in Bewegung. Oder geht laufen. Wem hinterher? Der öff entlichkeitsscheue Maler mag ungern still halten für Fotografen, nicht Rede und Antwort stehen journalistischem Fragen (nur ein Interview erschien vor einigen Jahren in Zürich, speit die Suchmaschine aus). So scheint er nur der Zeit zu folgen, ihr auf der Spur zu sein, ihrem Tempo, ihren Forderungen und Bedingungen, die er in seinen Zustandsbeschreibungen fi xiert. Wie es dem Lauf der Zeit inne wohnt, ist Polke ein Proteus, ein Pluralist von Form und Stil, virtuoser Experimentator und Alchimist, der sich wieder und wieder Erfahrungen aussetzt, neue Mittel, Methoden, Materialien und Techniken erprobt, malerische Prozesse planvoll, intuitiv oder (wie in den »Schüttbildern«) zufallsgebunden steuert, politische, gesellschaft liche, klimatische oder chemische Veränderungen seismografi sch registriert und auf Parolen, Phrasen und Klischees (»Aufschwung Ost«) empfi ndlich reagiert.
Zwar ein dezidiert deutscher Maler, sieht er sich nicht »Der deutschen Kunst« verpfl ichtet, wie sie sich eine Nationalgalerie zum Motto meißelt, wohl aber ihren Th emen und Motiven. Kein Malerfürst, weder zur Repräsentanz geneigt noch willens, selbst die Geste der Verweigerung und Negation mit gewissermaßen offi ziellem Pathos zu füllen. Eher der Typus des auf Distanz bedachten ironischen Deutschen, der Humor als Einbildungskraft des Künstlers produktiv macht. Insofern lässt Polke sich ebenso, mit Harald Szeemann zu sprechen, als »typisch undeutsch in seiner Widerspenstigkeit« darstellen. Und in seinem Witz, den Titel wie »Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!« oder »Remingtons Museums-Traum ist des Besuchers Schaum« schlagbildhaft dokumentieren.
In den 60er Jahren hantierte Polke mit Requisiten von Wohlstand, Fernweh und Gemütlichkeit, benutzte das Vokabular von Werbung und Medien, Geld- und Warenwelt und ihren Sünden (»Neid und Habgier«), wobei er zugleich in Referenz zur Kunstgeschichte und -szene, zu Pop-Art und serieller Produktion trat. Zusammen mit Gerhard Richter, Konrad Lueg und Manfred Kuttner rubrizierte er die soziale Frage unter dem Label »Kapitalistischer Realismus«. Auch griff er zurück auf die Historie von Märchen und Magie, um sich andererseits an der Gegenwart zu reiben. Anlässlich der Verleihung des 11. Rubenspreises der Stadt Siegen stellt das Museum für Gegenwartskunst eine aktuelle Werkgruppe Polkes erstmals hierzulande vor, kombiniert mit älteren Arbeiten und vom Künstler selbst konzipiert. Auch auf der Biennale in Venedig ist er derzeit im italienischen Pavillon vertreten. Dort hatte er 1986 für seine – gleich der Evolution dem Wandel unterworfenen – »Athanor«-Wandbilder den Goldenen Löwen erhalten. Den sechsteiligen Kunststoff siegel-Zyklus beherbergt seither das Museum Abteiberg in Mönchengladbach.
1941 in Niederschlesien geboren, kam Polke 1953 in die Bundesrepublik, lebte in Berlin, Düsseldorf, Hamburg und seit drei Jahrzehnten in Köln. Der 1955 erstmals vergebene Rubenspreis wird alle fünf Jahre durch eine externe Jury an einen europäischen Künstler in Anerkennung seines Lebenswerkes verliehen. Polke folgt auf Hans Hartung, Giorgio Morandi, Francis Bacon, Antoni Tàpies, Fritz Winter, Emil Schumacher, Cy Twombly, Rupprecht Geiger, Lucian Freud und zuletzt Maria Lassnig. Parallel zu Polke werden die bisherigen Preisträger in der Sammlung Lambrecht- Schadeberg umfassend gezeigt. AWI
Museum für Gegenwartskunst, Siegen; bis 16. September; Tel.: 0271/405 77 10; www.kunstmuseum-siegen.de