Ein »Künstlerdorf« im Münsterland – da mögen Vorstellungen aufkommen von knorrigen Westfalen, die man in nachgestelltem Habitat bei der Produktion von Volkskunst beobachten kann. Ganz falsch. Das »Dorf« sind in Wahrheit zwei ehemalige Gutshöfe, und die liegen mitten in Schöppingen, was wiederum kein Dorf ist, sondern eine alte Stadt, wenn auch klein und vor Jahrzehnten zur »Gemeinde « zurückgestuft. Und statt pittoresker Eingeborener leben im »Dorf« Schriftsteller, bildende Künstler und Komponisten, Stipendiaten aus aller Welt, konzentriert arbeitend – und weitgehend unbesichtigt. Geschäftsführer Josef Spiegel ist denn auch ein gewisses Unbehagen am Namen anzumerken, an den irreführenden Assoziationen, die sich daran knüpfen können. Aber das sei eben eine Wahl, die 1989 getroffen wurde, als man eine neue Verwendung für die Höfe fand. Und als das »Dorf« 1998 in die Trägerschaft einer Stiftung kam, wurde der Name übernommen: Stiftung Künstlerdorf Schöppingen. Heute jedenfalls, Name hin, Name her, treffen jedes Jahr aus aller Herren Länder bis zu tausend Bewerbungen für einen Aufenthalt in Schöppingen ein. Der Ruf des »Dorfes« verbreitet sich durch Mundpropaganda und übers Internet bis in die entlegensten Weltwinkel; eine Grafik zeigt, dass sich nur aus Grönland und der Antarktis noch niemand beworben hat – bisher. Gründer der Stiftung waren der Förderverein Künstlerdorf Schöppingen, die Nordrhein-Westfalen-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege, das zuständige Landesministerium und die Gemeinde Schöppingen. Landschaftsverband Westfalen- Lippe und Kreis Borken sind »Zustifter«.
Geboten wird: ein bescheidenes Stipendium von 1000 Euro monatlich, verbunden mit einem maximal sechs Monate währenden Aufenthalt in Schöppingen. Ob einer lang bleibe oder für kürzere Zeit, das hänge von seiner beruflichen und familiären Situation ab, sagt Josef Spiegel, und vom Anlass des Aufenthaltes.
So könne ein Schriftsteller sechs Monate in Schöppingen nutzen, um einen neuen Roman zu konzipieren und strukturieren – oder sechs Wochen, um ein Buch in ruhiger Konzentration abzuschließen. Manchmal bringen Künstler ihre Familie mit; Spiegels Kinder, die mit ihm im Dorf wohnen, haben immer mal wieder neue Spielkameraden.
Aus den vielen Bewerbern werden pro Jahr maximal 30 ausgewählt, ausschließlich nach Qualität – mit einem gewissen Wohlwollen für Sparten, »die es im Kunstmarkt schwerer haben«. Gewählt wird durch eine unabhängige Jury, deren Zusammensetzung ständig wechselt, so dass es keine Chance gibt, Bewerbungen auf ein »Schöppingen-Profil« hin auszurichten. Die kleine Zahl der Ausgewählten reflektiere nicht den Wunsch, eine dünne Elite zu bestimmen, sagt Paul Spiegel: »150 bis 200 Stipendien könnte ich locker jedes Jahr vergeben«, was die Qualität anginge.
Doch dafür reichten schlicht die Möglichkeiten der Stiftung nicht aus. Einen Arbeitsauftrag gibt es nicht. Eine Schlussbewertung, ein Controlling findet nicht statt. Dafür behalten die Schöppinger ihre »Ehemaligen« im Auge.
Und da, sagt Spiegel, gebe es immer wieder Bestätigung für ihre Arbeit: Als etwa Norbert Bisky in Schöppingen war, »da kannte den kaum einer. Die hier in sechs Monaten entstandenen Bilder hat er dann auf der Art Cologne ausgestellt – und alle verkauft. Jetzt ist er ein Shooting Star.« Der Aufenthalt in Schöppingen habe übrigens nichts mit »zurück zur Natur« zu tun.
Die ländliche Umgebung sei zwar da und durchaus auch romantisch, so Spiegel, aber nicht Gegenstand des Programms. Der größte Unterschied zu einem städtischen Standort sei vielleicht »ein anderes Zeitmaß, eine andere Geschwindigkeit.« Die Arbeitsräume nehmen denn auch die Gemütlichkeit des äußeren Dorfbildes kaum auf. Selbst die Appartements für Schriftsteller sind groß – aber mit Bett, Tisch, Stuhl, Kochgelegenheit und Nasszelle spartanisch eingerichtet. Das Künstlerdorf ist weder Hotel noch Jugendherberge.
Die Stipendiaten werden nicht bekocht, sie versorgen sich selbst – deshalb ist die Lage in der Ortsmitte ideal: Ein Supermarkt steht gleich um die Ecke. Es gibt auch keine Animation, kein soziales Programm. Ob sich jemand in sein Atelier zurückzieht oder ob er schnell mit anderen zusammenkommt, liegt allein bei ihm oder ihr. Der künstlerische Austausch funktioniert allemal – nicht zuletzt der Blick über die eigene Sparte hinaus. Denn die Vorstellung, dass Künstler ein irgendwie einheitliches Völkchen seien, die sei natürlich falsch, sagt Heinz Kock, der im Dorf die Schriftsteller betreut. Tatsächlich komme es vor, dass ein Autor einen Bildhauer besucht und anschließend bekennt, noch nie zuvor so ein Atelier gesehen zu haben.
Während also die »hotelmäßige« Bewirtung der Stipendiaten zurückhaltend ist, spielt die künstlerische Betreuung eine entscheidende Rolle in Schöppingen. Geschäftsführer Paul Spiegel sitzt mitten in einem Kunst-Netz, das mit jedem Stipendiaten-Jahrgang größer und dichter wird. Er vermittelt seinen Gästen Kontakte. Verhandelt hier mit einem Museum über eine Ausstellung mit drei, vier Stipendiaten.Hilft Förderanträge stellen. Findet Auftrittsmöglichkeiten, Orte für Lesungen.Ersinnt Projekte, bei denen sich seine Gäste engagieren und zeigen können – sei es in Schöppingen oder an anderen Orten.
Auch wenn die Künstler im Dorf nicht zum Begaffen freigegeben sind – es gibt Führungen, zu denen man sich indes anmelden sollte und die auf Arbeitsbedingungen und Privatsphäre der Künstler Rücksicht nehmen.
Wichtiger aber für die Verankerung des Dorfes in der Region sind Ausstellungen, die es im ehemaligen Stallgebäude gibt, Lesungen und andere Projekte, die häufig in Kooperation mit anderen Kunst-Institutionen des Münsterlandes organisiert werden. Last not least ist im Künstlerdorf das Forum der Kunstvermittlung angesiedelt, das sich im Sinne des Bochumer Kunsthistorikers und genialen Kunst-Botschafters Max Imdahl um die Frage bemüht, wie Betrachtern ohne Vorbildung Wege zur (modernen) Kunst geebnet werden können. Mit »ARS OPTICA«, einer ständigen Ausstellung zur optischen Wahrnehmung, und mit Kursen »Kunst für Einsteiger« baut das Forum auch in Schöppingen selbst den Bewohnern der Region Brücken zu dem, was ihre Gäste aus aller Welt im »Dorf« tun. //