Ein Nachtmahr. Und ein Erweckungserlebnis. Davon erzählt die beinahe doppelte Vater-Sohn-Geschichte »Der Geburtstag« in bestechend schönem, außerhalb der heimischen Innenräume beklemmendem Schwarz-Weiß (Bildgestaltung Friede Clausz), das die Atmosphäre des film noir ebenso wie das legendäre Helldunkel aus dem expressionistischen Stummfilm und die Eleganz des poetischen Realismus aufruft. Wenn das Alltägliche, Grundsolide und ganz Normale plötzlich in den Würgegriff des Undurchsichtigen und Unkontrollierbaren gerät, kann die harmlose Einstellung, in der eine Hand, die jemand unter den Wasserstrahl eines Krahns am Küchenwaschbecken hält, Schauder bereiten.
Im Bett: ein fremdes Kind
Lukas hat Geburtstag. Die Eltern leben getrennt. Vater Matthias (Mark Waschke) hat immer zu tun, nie Zeit und macht viele leere Versprechungen – nächste Woche oder ein andermal. Zur Kinderparty kommt er ohne Geschenk; für Streit mit Anna (Anne Ratte-Polle) bietet sich darüber hinaus noch genug Anlass. Lukas hat auch den neuen Mitschüler Julius eingeladen, einen stillen, etwas traurig wirkenden Jungen, den seine Mutter vorbeibringt mit einigen Hinweisen für das, was Julius alles nicht verträgt. Im allgemeinen Trubel geht unter, dass Julius abends nicht abgeholt wird – er liegt neben Lukas im Bett. Matthias soll ihn daheim abliefern.
Carlos Morelli inszeniert entlang einer Extremsituation eine quasi zoologische Studie in drei Kapiteln (»Menschen – Katzen – Elefanten«), die auch Erwachsene und Kinder heißen könnte, und hebt sie ästhetisch weit über Durchschnitt: Straßen im strömenden Regen, ein Abstelllager und ein Spielplatz wie die Geisterbahn einer Kirmes, eine leere Wohnung, beunruhigende Begegnungen. Ein wenig lässt sich an Louis Malles »Fahrstuhl zum Schafott« denken, schon wegen der Jazztrompete im Hintergrund, nur tödlich geht es nicht zu, sondern buchstäblich versöhnlich.
»Der Geburtstag«, Regie: Carlos Morelli, D 2020, 80 Min., Start: 25. Juni 2020