INTERVIEW: ULRICH DEUTER
K.WEST: Anfang Juli, in den Tagen der Bildung der neuen Landesregierung, warteten viele auf ein Zeichen der Wertschätzung für Kunst und Kultur in Nordrhein-Westfalen. Heraus kam: Die Kultur wird versteckt in einem Gebinde aus Familie, Jugend, Kinder, Sport. Frau Ministerin, haben Sie Verständnis dafür, dass manche Menschen nun enttäuscht sind?
SCHÄFER: Ich antworte zunächst mal als Sozialdemokratin. Es war die SPD, die in der letzten Legislaturperiode darauf geachtet hat, dass der Kulturausschuss im Landtag seine Eigenständigkeit bewahren konnte. Das war für uns ein zentraler Punkt. Jetzt befindet sich das Ressort Kultur in einem Ministerium, das ich gerne als eines der drei Bildungsministerien bezeichne, ein Haus, in dem sich alle Aufgaben zusammenfinden, die mit außerschulischer Bildung zu tun haben. Und innerhalb dessen besitzt die Kultur einen ganz großen Stellenwert und einen breiten Raum.
K.WEST: Wie wollen Sie dem Eindruck entgegenwirken, dass Kultur in Ihrem Haus nur so mitläuft?
SCHÄFER: Ich bin da ganz sicher und sage: Kultur und Kunst werden kein fünftes Rad sein. Sondern ich werde deren Belange ganz offensiv vertreten, gemeinsam mit meinem Staatssekretär. Auch als Stimme im Landesparlament, und diese Stimme gab es unter der vorherigen Regierung nicht.
K.WEST: Sie sind ausgewiesene Bildungspolitikerin, waren Schulministerin. Auch Ihr Staatssekretär Klaus Schäfer ist Bildungspolitiker, nicht Kulturpolitiker. Im Koalitionsvertrag findet sich folgender Satz: »Unsere Kommunen in NRW sind wichtige Akteure in der Bildungs- und Sozialpolitik.« Sie sind aber nicht minder wichtige Akteure in der Kultur, was unerwähnt bleibt. All das erweckt den Eindruck: Kultur kommt zuletzt.
SCHÄFER: Wenn Sie den Koalitionsvertrag aufmerksam lesen, dann werden Sie finden, dass im Gegensatz zu den Jahren davor der Kultur- und Kunstbereich einen breiten Raum einnimmt. Wir haben uns ganz zentrale Aufgaben gestellt, wir haben sowohl die kulturelle Förderung in der Breite als auch die Spitzenkultur im Auge. Beides werde ich mit Sicherheit in den nächsten fünf Jahren so stark begleiten, wie man das als Kulturpolitikerin überhaupt tun kann.
K.WEST: Um Sie nach konkreten Lösungen für konkrete Probleme zu fragen, ist es sicher noch zu früh. Es gibt jedoch drängende Fragen umfassenderer Art, die seit Monaten im Raum stehen: etwa die desolate Lage der Bühnen. Die Betroffenen fordern einen Theaterpakt zwischen den Kommunen und dem Land, also eine Bestandsgarantie sowie die Erhöhung des Landeszuschusses von jetzt etwa fünf auf zwanzig Prozent. Ihr Vorgänger hat sich dem gegenüber mehr als reserviert gezeigt. Verschränken auch Sie vor diesem Wunsch die Arme vor der Brust?
SCHÄFER: Die meisten Städte und Gemeinden in NRW sind in einer sehr schwierigen Haushaltslage. Daher haben wir uns bereits im Vorfeld des Koalitionsvertrages zu einem Stärkungspakt Stadtfinanzen entschlossen. Im Koalitionsvertrag selbst ist ein Auftrag formuliert, der verbindlich zusagt, zu prüfen, ob nicht ins Gemeindefinanzierungsgesetz so etwas wie eine Kulturpauschale aufgenommen werden kann, als Zweckbindung bestimmter Mittel für die Kultur. Das werde ich in Absprache mit den kommunalen Spitzenverbänden auf den Weg bringen. Als zweites werde ich in relativ naher Zeit das Gespräch mit den Kommunen suchen, die in besonderen Schwierigkeiten mit ihren Theatern und anderen kulturellen Einrichtungen stecken. Ich würde gern alle zusammenholen zu einem Pakt. Ob zu einem Theaterpakt oder zu mehr – da will ich nicht zu vorschnell sein.
K.WEST: Sind Sie für eine Bestandsgarantie gegenüber kommunalen Kultureinrichtungen?
SCHÄFER: In NRW ist die Kulturpolitik eine Gemeinschaftsaufgabe, das gibt uns auch die Landesverfassung vor. Es wäre nicht redlich, wenn ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt das Wort Bestandsgarantie in den Mund nähme. Aber ganz klar können Sie von mir heute Eines mitnehmen, nämlich dass ich große Anstrengungen unternehmen werde, damit die Kultur nicht dem Rotstift zum Opfer fällt, nur weil derzeit eine schwierige Haushaltslage existiert. Denn das wäre eine fatale Entwicklung.
K.WEST: Und die Erhöhung der Theaterpauschale?
SCHÄFER: Erst mal muss ich mich in die Haushaltsberatungen für 2011 hineinbegeben. Eine Aussage haben wir gemacht, die lautet: Wir werden den Kulturetat nicht kürzen. Alles weitere wird den Verhandlungen vorbehalten sein.
K.WEST: Nennen Sie uns bitte einige Schwerpunkte Ihrer zukünftigen Arbeit als Kulturministerin.
SCHÄFER: Ganz zentral wird die Förderung der kulturellen Bildung sein. Denn ich glaube, wir müssen noch stärker, als wir es jetzt schon tun, für junge Menschen die Tür aufstoßen zu den Räumen von Kunst und Kultur. Konkret planen wir einen sogenannten Kulturrucksack für Kinder und Jugendliche, der ihnen etwa freien Zugang zu Theatern, Museen usw. gewährt, von der Grundschule bis in die weiterführenden Schulen. Denn was man als Kind gelernt hat, das wird man auch als Erwachsener bewahren.
K.WEST: Was wird denn noch alles drin sein in diesem Rucksack?
SCHÄFER: Im September werde ich im Rahmen einer großen Klausurtagung mit allen Abteilungen des Hauses die einzelnen Schwerpunkte auf den Weg bringen. Dann wird auch der Kulturrucksack gepackt.
K.WEST: Es wird in der Politik gern vergessen, dass Kunst etwas anderes ist als kulturelle Bildung.
SCHÄFER: Das berührt die Frage, was müssen Politiker tun und wofür sind Kunst und Kultur da. Das sind zwei völlig unterschiedliche Aufgaben. Politiker müssen Kompromisse schließen, Menschen zusammenführen, am Ende verbindliche Regelungen entwickeln. Kunst aber ist oft radikal, sie ist immer der gesellschaftlichen Entwicklung ein Stückchen voraus, sie wirft Fragen auf, von denen man oft erst im Nachhinein begreift, welche Bedeutung sie für die Weiterentwicklung der Gesellschaft besaßen. Darum hat Kunst einen ganz anderen gesellschaftspolitischen Auftrag, der für die Entwicklung von Werten von besonderer Bedeutung ist. Den muss die Politik fördern und unterstützen, denn wenn das nicht mehr passiert, wird unsere Gesellschaft verarmen. Ich glaube, dass man das immer im Blick haben muss, wenn man zum Beispiel über die Unterstützung von Spitzenkunst redet. Und die Förderung der Spitzenkunst ist ganz sicher ein weiterer Schwerpunkt meiner künftigen Arbeit.
K.WEST: Künstler und Kulturschaffende klagen, dass das Verständnis für die Eigenart der Kunst und damit für ihre Arbeit bei den Politikern immer geringer wird.
SCHÄFER: Dann will ich gern meinen Beitrag dazu leisten, dass das wieder ins Bewusstsein der Menschen kommt. So gut wie ich das eben kann, mit allem was mir zur Verfügung steht.
K.WEST: Weil Ihre Partei, die SPD, 2009 im Landtag mal nachgefragt hat, musste die damalige Landesregierung aus CDU/FDP zugeben: 2007 gab Bayern 40,87 € und Sachsen 91,62 € pro Einwohner für Kultur aus. In NRW waren es 16,35 €. Manche finden dies des größten deutschen Bundeslandes einfach unwürdig. Sie auch? Und wenn ja, wie wollen Sie dies ändern?
SCHÄFER: Ich erinnere noch mal an unsere Landesverfassung, die Kulturpolitik als eine Gemeinschaftsaufgabe zwischen Land und Kommunen bestimmt. Wir haben eine andere Historie als Bayern, Baden-Württemberg oder Sachsen. Dort gab es eine feudale Kulturförderung, die sich heute etwa in Staatstheatern wiederfindet. Das ist nicht, was wir für NRW anstreben. Wir kennen in unserem Land eine Breite der Kulturszene, die wir erhalten wollen. Die Städte und Gemeinden leisten hier einen ungeheuren Beitrag. Das Land NRW gibt jetzt rund 170 Mio € im Jahr für Kulturförderung aus. Köln allein ungefähr 140 Mio €. Das macht die Dimension deutlich. Dabei handelt es sich um eine über Jahrzehnte gewachsene Struktur, die wir nicht verändern wollen.
K.WEST: Ich darf einmal zitieren: »Auch wenn ökonomische Sekundärbegründungen bei verschärften Verteilungskämpfen verständlich sind, darf Kulturpolitik gerade in der Wirtschaftskrise, die uns die Grenzen marktradikaler Ideologie vor Augen geführt hat, nicht abgleiten in betriebswirtschaftliche Argumente und kulturferne Denkmuster.« Dieses bemerkenswert klare Bekenntnis stammt aus dem Wahlprogramm der SPD 2010. Was heißt dies konkret für Sie?
SCHÄFER: Zunächst einmal, dass Kultur kein Luxus sein darf. Dass die Schwelle dazu so niedrig liegen muss, dass alle sie überschreiten können. Sodann: Kunst darf nicht den Kräften des Marktes ausgesetzt sein, und sie darf sich von ihnen nicht abhängig machen. Kunst und Kultur brauchen Unabhängigkeit. Dass sie erhalten bleibt, dafür muss die Politik Sorge tragen.
K.WEST: Ich lese daraus auch die Notwendigkeit, Kunst nicht zu verwechseln mit dem, was sie unter Umständen finanziell einträgt. Also, dass Kunst beispielsweise nicht mit Kreativwirtschaft verwechselt werden darf.
SCHÄFER: Das ist richtig. Kreativwirtschaft ist ein anderer Bereich. Den man sicherlich auch entwickeln darf, aber zu dem man die Grenzziehung genau beachten muss, damit die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kunst nicht verloren gehen. Die Sorge, dass hier Grauzonen entstehen, kann ich teilen. Der Wirtschaftlichkeit Grenzen zu setzen, nicht nur in Highlights zu denken – auch wenn die ihre Berechtigung haben –, Räume für kulturelle Experimente zuzulassen: Das ist wichtig.