Interview und
Fotos: Anne Wrtz
Das Büro ist klein und noch ziemlich leer. Ein paar rot bezogene Stühle, ein hölzerner Schreibtisch, an der Wand ein Flachbildschirm, eine Lampe mit Fernbedienung, deren Technik streikt. Nichts Persönliches. Eigentlich wollte Karin Beier eine Schaukel für Töchterchen Momina angebracht haben – von den vielen Vorhaben, die sie derzeit schultert, eines der wenigen, das unerledigt blieb. Zuerst hört man ihre schnellen Schritte. Karin Beier kommt von der Probe zu Hebbels »Nibelungen«, mit denen sie am 12. Oktober ihre Kölner Spielzeit eröffnet. Und während der kinderlose Geselle noch mit der Handhabung des Aufnahmegeräts einen zähen Kleinkrieg führt, unterhalten sich Beier und die Fotografin von Mutter zu Mutter über den gleichaltrigen 14-monatigen Nachwuchs. Präzise und mit klarem Kopf ist die 41-Jährige im folgenden Gespräch bei der Sache.
K.WEST: Zwei eigene Produktionen in sechs Wochen plus einer Übernahme aus Wien; dazu Mann und Baby, die ganze Theater-Familie und die Intendanz- Angelegenheiten – wie geht das?
K.BEIER: »Die Nibelungen« sind das, was mich momentan auffrisst. »Maß für Maß« hatte ich an der Burg schon im Kölner Vorbereitungsjahr inszeniert und nur unter der Bedingung angenommen, es auch in Köln spielen zu können. Die Rolle der Isabella muss ich umbesetzen, weil Christiane von Poelnitz schwanger ist, so dass ich direkt nach der Eröffnung hier eine Woche lang in Wien proben werde. »Gott des Gemetzels« wurde vier Wochen lang vorprobiert, und nach fast sechsmonatiger Pause haben wir dann eine kurze Endprobenphase.
K.WEST: Für Jürgen Gosch wäre das Routine.
K.BEIER: Ich habe das noch nie gemacht und werde es nicht ständig machen. Aber bei Yasmina Reza und ihrem Schauspieler-Stück betrachte ich mich eher als Spielleiter denn als Regisseur. Ohne den Anspruch, mit meiner Regie-Handschrift aufzutrumpfen.
K.WEST: Sie scheinen die Dreifachpflichten Mutter, Regisseurin, Intendantin im Griff zu haben …
K.BEIER: Darüber müsste man in einem Jahr noch mal reden, wenn es Tagesgeschäft geworden ist. Noch »giltet« es eigentlich nicht. Der Ablauf funktioniert nur mit eiserner Selbstdisziplin. Ich muss leben wie ein Sportler. Genug schlafen, kein Glas Bier, keine Zigarette. Alles, was den Körper angreift, ist tabu. Außerdem strukturiere ich meinen Tag total. Die frühen Stunden sind für’s Kind da, dann gehe ich ins Theater, arbeite bis fünf, übernehme das Kind, da werden auch die Telefone abgestellt, bis Momina schläft, gegen halb neun bin ich wieder im Theater. Im Prozess des Probierens ist das extrem anstrengend. Ich bin schon ziemlich am Anschlag.
K.WEST: »Man darf nicht so analfixiert sein, muss loslassen können«, haben Sie im Gespräch mit »Theater heute« gesagt … BEIER:Meine Mitarbeiter nehmen mir sehr viel ab. Ich sage nur Ja oder Nein, gebe Sachen richtiggehend aus der Hand – ehrlich gesagt, nicht ungern. Ich bin niemand, der über alles Kontrolle ausüben muss. Und heilfroh, dass Rita Thiele als Chefdramaturgin dabei ist, die mehr Leitungs-Erfahrung, zuletzt in Düsseldorf, hat als ich. Für mich klappt das auch emotional gut, weil ich mich im Theaterraum primär als Regisseurin definiere.
K.WEST: Geschichts-Konstruktionen sind en vogue, die FAZ verkauft uns jede Woche mit Hilfe von Tom Cruise, Bernd Eichinger oder Stefan George eine neue, nicht scharf konturierte Neubewertung deutscher Vergangenheit. Sie starten mit »Nibelungen« – das bedeutet eine Setzung.
K.BEIER: Die Biografie des Stoffes müssen wir nicht aufrollen. Vom Grundansatz her ist das nicht unser Hauptthema. Diese Geschichtsaufarbeitung – Stichwort: Stalingrad-Rede, Nibelungen-Treue, blonder Held etc. – hat im Theater der 80er Jahre stattgefunden und war wichtig, ist aber nicht mehr meine Welt. Das verweigere ich. Eine bewusste Wahl ist das Stück insofern, als wir damit unser Spielzeit-Thema Fremdheit und Migration im weitesten Sinn nach vorn stellen. Wir haben hier einen angeblich deutschen Nationalmythos, bei Hebbel mit dem Subtitel »Ein deutsches Trauerspiel« versehen. Doch seit dem mittelalterlichen Lied, das die Zeit der Völkerwanderung aufgreift, enthält der Stoff allgemeingültigere Themen als die sogenannte deutsche Seele. Im zweiten Teil, wo Hebbels Psychologisierung nur noch bedingt gelingt und es an schlüssigen Motivationen fehlt, wo es auch verquast mystisch und todessehnsüchtig wird, finde ich, muss man etwas aufbrechen. Da greife ich auch in den Text ein, versuche Begründungen zu liefern, die für mich politische und psychologische Bedeutung haben. Wir erzählen das Stück mit einer Truppe, die so aussieht wie Deutschland heute. Das ist nicht die Interpretation, aber läuft mit: die Darsteller von Gunther, Gerenot, Giselher haben deutsche, ägyptische und jamaikanische Wurzeln, »unsere« Kriemhild hat einen polnischen Hintergrund, Siegfried einen kroatischen. Die Zusammensetzung des Ensembles entspricht der Wirklichkeit, die ich draußen wahrnehme. Der Zuschauer wird sich damit vielleicht mehr auseinandersetzen als wir, die mit einer solchen Besetzung eigentlich nur signalisieren: Das muss möglich sein, auch mit diesem angeblich so deutschen Klassiker.
K.WEST: In NRW gibt es bisher nur ein Stadttheater, das Grillo in Essen bei Anselm Weber, das sich orts-spezifisch verhält, Identitätsspuren sucht und legt, Unverwechselbarkeit durch örtliche Bezüge herstellt. Ihr Team geht ebenfalls von der Stadt aus, was hat die Recherche ergeben?
K.BEIER: Es kommt mir zugute, Kölnerin zu sein und hier immer eine Wohnung gehabt zu habe, abgesehen von zwei Jahren in Wien. Die stärksten Regie-Erfahrungen waren für mich meine internationalen Arbeiten mit Shakespeares »Sommernachtstraum« und »Sturm«, auch wenn ich weiß, dass das kein Konzept für ein Haus sein konnte. In Köln fällt sofort auf, wie viele Leute mit Migrations-Hintergründen leben. Ich hätte dafür gern einen anderen Begriff als »multikulturell«. Sie brauchen nur in öffentliche Verkehrsmittel zu steigen, am Neumarkt, Friesenplatz oder Hauptbahnhof. Das hängt auch mit den Ford-Werken zusammen, die in den Sechzigern massiv ausländische Arbeitskräfte rekrutierten, so dass in Vierteln wie Ehrenfeld oder Nippes schon Kölner in der dritten Generation nach der Einwanderung leben. Wenn unser Theater den Anspruch stellt, sich mit Realität zu befassen und Formate zu finden, die eine bestimmte Rauheit haben oder semidokumentarisch sind, kann man das nicht auslassen.
K.WEST: Also müsste der Moschee-Streit Thema werden, wenn nicht auf offener Bühne, dann auf dem Podium, im Salon, als Forum …
K.BEIER: Grundsätzlich ja. Was nicht ohne sorgfältige Vorbereitung ginge. Blank gesprochen, in der Eröffnungsphase schaffe ich das nicht. Was wir stemmen, auch mit der Rückgewinnung der Halle Kalk, bringt uns absolut an den Rand, oder über den Rand hinaus. Der Betrieb muss erst mal laufen und in der Stadt wahrnehmbar sein. Mit Sonder-Reihen etc. halten wir uns zunächst zurück, auch wenn sie die Identität eines Theaters prägen und eine andere Reibung erzeugen. Im übrigen halte ich wenig davon, jedes Klo, jeden Winkel zu bespielen.
K.WEST: Man hat den Eindruck, dass an einigen Theatern diese Nebenschauplätze die eigentliche Hauptrolle spielen und mehr Eigenheit behaupten als manche Aufführung.
K.BEIER: Die Meinungen darüber, wo der Hammer fällt, sind geteilt. Die Schlacht wird im Großen Haus gekämpft, wird vielfach gesagt. Damit bin ich nicht ganz einverstanden. Das Große Haus ist schwierig, da lassen sich viele Dinge, die man gern machen würde, und Künstler, die man gern hätte, nicht einfach platzieren. Wenn wir etwas Repertoire aufgebaut haben, möchte ich andere Dinge, wie etwa unsere Kooperation zur Berliner Gruppe »Gob Squad«, betonen. Nehmen Sie das erwähnte Essen. Für mich wurde das Profil des Grillo Theaters primär über Calis’ »Home Stories« in der kleinen Casa geprägt.
K.WEST: Die Probleme der Großen Bühne kennt, wie Sie selbst wissen, auch Düsseldorf. Was muss ein Regisseur mitbringen, damit er angesichts dieser Dimensionen nicht abstürzt und verloren geht?
K.BEIER: Eine entschiedene Arbeitsform und Ästhetik, die in diverse Richtungen gehen kann. Instinkt dafür, wie Schauspieler Kraft entwickeln, ohne dass das Ganze übersteuert wird: Es hat also mit Schauspielerführung und Klarheit der Gedanken zu tun. Und ganz simpel, in großen Räumen braucht es ein viel härteres Rhythmus-Gefühl, weil da sehr schnell etwas zerfällt. In Endproben bin ich meistens nur damit befasst, zu rhythmisie- BÜHNE K.WEST OKTOBER 2007 33 ren. Wie man Raum-Spannung herstellt, finde ich hingegen einfach. Das kann jeder zweite. Wichtig ist die Musikalität eines Abends. Von Beginn an besaß die Regisseurin Karin Beier Selbstbewusstsein, das sie forsch und kess behauptete, und das sich mittlerweile zu Souveränität geklärt hat. Als sie nach Anfängen mit der freien Gruppe »Countercheck Quarrelsome « und Assistenzen am Düsseldorfer Schauspielhaus unter Volker Canaris ihre erste Stadttheater-Regie (Taboris »25. Stunde«) und Stücke von Shakespeare, dem »Mann ihres Lebens«, inszenierte, waren – jenseits von Geschmacksurteilen – ihre überbordende Phantasie, der Energie spendende Impuls, die Begabung, Abläufe zu strukturieren, Tempi zu setzen und ein Lebensgefühl zu formulieren, greifbar.
K.WEST: Kann es sein, dass diese Begabung nicht nur lernbar, sondern gegeben ist?
K.BEIER: Der Beruf ist eh nicht lernbar. Man kann damit auch nicht spekulativ umgehen. Jemand kann noch so sehr intellektuell Bescheid wissen, und trotzdem klappt es nicht.
K.WEST: Bei Ihnen in Düsseldorf hat es 1993 sofort geklappt, bei »Romeo und Julia«.
K.BEIER: Das stimmt. Auch wenn es schwierig ist, sich selbst einzuordnen. Aber ich glaube schon, dass ich über ein Maß an Musikalität verfüge, auch wenn vieles, gerade bei einem Anfänger, unbewusst ist. Das Unfertige hatte damals vermutlich auch eine Zufalls-Qualität. Mittlerweile bevorzuge ich raue, fragmentarische Erzählweisen, ohne diese Zufalls-Qualität. Beiers erster Spielpan ist imponierend unabgesichert. »Mut, sag ich, Mut«, wie es in Schillers »Räuber« heißt, die in Köln ebenso wenig zu sehen sein werden wie »Don Carlos« oder Lessing usw. Stattdessen Performances (»Die Erscheinungen der Martha Rubin«), Tanztheater (Vincent Crowley), Musikalisches (Clemens Sienknecht), Repertoire-Fernes wie Ben Jonson, Kerouac, Sperriges von Alvis Hermanis oder Zaimoglu, unbeschriebene Blätter von Tom Kühnel oder Nuran David Calis und vieles mehr.
K.WEST: Für andere Theaterformen gibt es in Köln Nachholbedarf. Was kann man voraussetzen? Wo beginnt das Theater für Kenner, wo muss man den Anfänger bedienen? Und was wäre Mainstream, den Sie selbst akzeptieren?
K.BEIER: Vielleicht auch aus Naivität heraus habe ich für diese profilbildende Spielzeit gesagt, dass wir nicht auf Zuschauerzahlen schielen. Keine Ahnung, was es bedeutet und wie es sich anfühlt, wenn uns die Abos um die Ohren fliegen. Dann müssen wir sehen, ob wir den Atem haben zu warten, ob noch andere Leute zu uns kommen. Das muss man aushalten, und das muss die Stadt mit einem aushalten. In einem gewissen Maß werde ich vermutlich unseren Anspruch im Großen Haus etwas aufweichen müssen. Ich muss selbst nicht alles mögen, aber muss es vertreten können. Dazu gehört eine Form von tollem Schauspieler-Theater, das einem an die Eingeweide geht, emotional mitnimmt, auch wenn es das Mitdenken des Zuschauers nicht so fordert und die Regiehandschrift nicht so dominiert. Seit Mitte der 90er Jahre inszenierte Beier am Hamburger Schauspielhaus, weiterhin u.a. in Köln und Bochum, Bremen (1997 mit »Carmen« ihre erste Oper), München und Zürich und seit mehreren Jahren an der Wien Burg, wo der Chefdramaturg Joachim Lux ihr schon aus der Düsseldorfer Zeit vertraut war.
K.WEST: Gibt es Vorbilder, etwa Frank Baumbauer, bei dem Sie in Hamburg engagiert waren?
K.BEIER: Ich finde wichtig, dass ein Intendant auch Regie führt, weil man den direkten Kontakt hat zu allen Abteilungen des Hauses. Wichtig für den Betrieb und für das Betriebsklima. Bei Baumbauer fand ich klasse, wie er die Profilbildung des Hamburger Schauspielhauses bewerkstelligte. Auch wenn es eine Menge anderer Sachen gab, wie Wittenbrinks »Männer« und »Sekretärinnen «, verbindet sich mit dem Haus das, was Baumbauer damit verbunden wissen wollte, Marthaler, Castorf, Jossi Wieler, Schlingensief etc. Baumbauer hat ein Händchen dafür, Menschen zusammenzubringen und künstlerische Kombinationen anzuregen. Mit treffsicherem Instinkt. Und er hat Veränderungen bei der Zuschauer-Rezeption hervorgebracht. Beweis dafür, dass es sich lohnt, nicht an allen Ecken und Kanten nachzugeben.
K.WEST: Sie kennen die drei wichtigen Theaterstädte in NRW aus der eigenen Arbeit, Düsseldorf, Köln, Bochum. Was unterscheidet sie?
K.BEIER: Schwierig zu sagen. Das Düsseldorfer Publikum hat ja einen schlechten Ruf, was ich aber damals nicht so empfand, das Kölner ist emotionaler, in beide Richtungen, Reaktionen können scharf geteilt sein. Bochum hat den Riesenvorteil der gewachsenen Identität – exzeptionell. Die Kölner identifizieren sich nicht so mit ihrem Schauspielhaus wie die Bochumer es tun.
K.WEST: Köln gehört seit 15 Jahren nicht mehr an den Platz, wo es in der Theaterrepublik hingehören müsste. Ich erwarte keine Prognose. Aber es gibt doch Wünsche. Wie und wo könnte das Kölner Schauspiel in ein oder zwei Jahren dastehen?
K.BEIER: Begriffe wie »Bundesliga« sind mir fremd. Wer bestimmt diese komischen Kriterien von Erfolg – das Feuilleton, das Berliner Theatertreffen, »Theater heute«? Flapsig gesprochen, alles fragwürdige Institutionen. Ich bin jetzt verantwortlich für andere künstlerische Handschriften, davor hab’ ich auch Angst, schließlich gucke ich selbst kritisch Theater. Mein größter Wunsch wäre, Kollegen an meiner Seite zu haben, deren Arbeiten ich mag, deren Versuche ich anerkenne. Und dass die Zuschauer nicht so schnell mit Urteilen bei der Hand sind, uns eine Chance geben in der labilen Anfangszeit. Machen wir uns nichts vor, ein Theater wird nach den ersten Premieren beurteilt. Es gibt keinen Dimmer, sondern der Lichtschalter geht an oder aus, hat Baumbauer mal gesagt. Permanente Zernichtung, wie sie Marc Günther passierte, wirkt ins Theater zurück, Selbstbewusstsein geht verloren, man wird einfach schlechter.
K.WEST: Die Ausgangssituation in NRW ist die denkbar beste, was zugleich wieder heikel ist. Bochum und Düsseldorf sind derzeit keine Konkurrenz. Essen ist ein Sonderfall. Köln hat Kredit. Auch wenn Sie bislang nur Luftschlösser gebaut haben – zunächst macht es Lust, sie zu betreten.
K.BEIER: Natürlich bin ich froh, das Gefühl zu haben, mit offenen Armen empfangen zu werden. Nicht schon vor Start abgeurteilt zu sein. Das habe ich in Köln, etwa beim Beginn von Klaus Pierwoß aus Tübingen, anders erlebt. Der war hier schon durch, bevor der Zug eingefahren ist. Wobei die Kriterien, freundlich oder ablehnend empfangen zu werden, ebenfalls fragwürdig sind. Andererseits, einen enttäuschten Liebhaber vor sich zu haben, ist richtig krass. Wir kochen auch nur mit Wasser. Auch ich muss, objektiv, mit Dingen kämpfen wie meine Vorgänger. Mit unseren offenen Projekten gehen wir wirklich ein hohes Risiko ein. Bis jetzt habe ich diese Gedanken bei meinen eigenen Proben außen vor gelassen. So allmählich kommt es kalt von hinten. Ich liege jetzt halt auf einer anderen Prüfschale.
K.WEST: Kölns Kulturpolitik handelt nicht eben konstant, bis hin zur aktuellen Frage nach den Baumaßnahmen und -kosten für Oper und Schauspiel. Dürfen Sie auf Geduld und Solidarität hoffen?
K.BEIER: Kulturdezernent Georg Quander war bislang ein verlässlicher Partner, auch hinsichtlich der Gelder. Da kann ich nicht meckern. Wie es sich entwickelt und die Stadt reagiert, wenn jemand wie Laurent Chétouane Hölderlin inszeniert, was beides nicht zuschauerfreundlich ist, wenn also erste Einbrüche passieren würden und die Frage kommt »Wat ist dat dann?«, darauf bin ich sehr gespannt. Ich weiß nicht, ob es dann einen Punkt gibt, wo man bitter wird. Mir fehlt da die Erfahrung. Es mag naiv sein, aber ich habe den Eindruck, erst mal autark zu sein. Ich musste mich bisher nicht verbiegen, bei niemandem auf den Schoß setzen, keine Abstriche machen. Das gibt mir Stabilität.
K.WEST: Um wie viele Intendanzen hatten Sie sich zuvor beworben?
K.BEIER: Beworben habe ich mich nie. Ich bin vom Kulturdezernenten Hans- Georg Küppers angesprochen worden für die Nachfolge von Leander Haußmann in Bochum. Aber damals war ich unsicher, und Matthias Hartmann war ganz sicher, dass er das will. Womöglich wäre ich in die Knie gegangen und unter Überforderungsdruck geraten. Marie Hüllenkremer hatte sich gemeldet, als es um die Köln-Nachfolge von Günther Krämer ging – das ist etwas unseriös im Sande verlaufen. Das war’s. Das Angebot von Quander hat mich zu einem Zeitpunkt erwischt, der gut war in meinem Leben. Es fiel alles zusammen, ich wurde schwanger, meine Arbeit in Wien lief extrem gut. Ich hab’ mich omnipotent gefühlt. Aus dieser Lockerheit und Gelassenheit heraus bin ich in die Gespräche gegangen. Und habe den Moment erwartet, wo der Psychohorror beginnt. Bisher hat er nicht eingesetzt. Wenn er jetzt käme, kurz vor dem Start, wäre das auch in Ordnung.