Interview: Klaus Umbach
K.WEST: Herr Soltesz, nächsten Monat, am 8. November, starten Sie am Aalto-Theater mit »Rheingold« einen neuen, sehnlich erwarteten »Ring des Nibelungen«. Zum wievielten Mal nehmen Sie Wagners Tetralogie als Dirigent in Angriff?
SOLTESZ: Sie werden lachen, zum ersten Mal. Was den »Ring« angeht, bin ich noch unberührt.
K.WEST: Wie das? Seit über 30 Jahren als Kapellmeister, Chefdirigent, Generalmusikdirektor und Intendant im Geschäft und dann Jungfrau beim Walkürenritt?
SOLTESZ: Zustand der Unschuld klingt fast kokett, aber es stimmt. Das hat sich einfach so ergeben. Ich habe ansonsten ja längst den ganzen Wagner gemacht, einschließlich »Rienzi«. Nur mit dem »Ring« kann ich mich bis heute eben nicht schmücken.
K.WEST: Wann hat es das Musikdrama in Essen zuletzt gegeben?
SOLTESZ: Die letzte Aufführung fand hier vor elf Jahren statt, Dirigent war damals mein Vorgänger Wolf-Dieter Hauschild.
K.WEST: Ist die nun beginnende Neuinszenierung ein Geschenk des Aalto-Theaters an die Kulturhauptstadt Essen?
SOLTESZ: Nein, das kann man so nicht sagen. Da unser Haus finanziell, wie sich immer mehr abzeichnet, nicht mit zusätzlichen Mitteln der Kulturhauptstadt gesegnet sein wird, kann ich dieser beim besten Willen auch kein Geschenk machen. Unser Auftrag ist ja, Theater zu spielen. Nachdem wir in den letzten Jahren viel Verdi und viel Wagner gebracht haben, ist der »Ring« einfach fällig. Außerdem war es, ganz klar, schon lange mein Wunsch, ihn zu dirigieren. Und eines stimmt natürlich auch – dieses grandiose Werk passt gut in eine Kulturhauptstadt.
K.WEST: Wie haben Sie den Vierteiler zeitlich geplant?
SOLTESZ: Ursprünglich wollte ich je zwei der vier Teile in den nächsten beiden Spielzeiten herausbringen, also »Rheingold« und »Walküre« 08/09, »Siegfried« und »Götterdämmerung« 09/10. Das aber birgt die Gefahr, dass der gute Wagner sehr geballt daherkommt und den Spielplan überlasten könnte, auch finanziell. Wagner ist bekanntlich sehr gewichtig und schnell dominant. Ihn angemessen aufzuführen, ist zudem höchst kostspielig. Das alles hat mich zu dem Entschluss gebracht, die letzten beiden Teile der Tetralogie auf die Herbst-Saisons 2009 und 2010 zu terminieren und dann im Kulturhauptstadt-Jahr 2010 den kompletten Zyklus auch geschlossen aufzuführen.
K.WEST: Sie haben die Inszenierung unter vier verschiedenen Regisseuren aufgeteilt – nach dem schon vor Jahren praktizierten Modell der Oper Stuttgart. Mal ehrlich: Ist das Engagement dieser Viererbande für Sie nun Notlösung oder künstlerisches Konzept?
SOLTESZ: Halt! In Stuttgart entstand die Idee der Vierteilung aus einer Notsituation, die konnten damals nicht anders, haben daraus eine Tugend gemacht und am Ende auch Erfolg verbucht, okay. Ich hatte, wann immer ich mich mit dem »Ring« beschäftigt habe, von Anfang an die Vorstellung, die Inszenierung nicht einem Künstler allein zu überantworten, und bin von der Stuttgarter Praxis darin nur bestätigt worden.
K.WEST: Welche Regisseure haben Sie sich denn ausgeguckt?
SOLTESZ: Alles Leute, die schon länger mit unserem Haus verbunden sind, und alles Leute, die noch keinen »Ring« gemacht haben.
K.WEST: Sie lieben das Risiko …
SOLTESZ: Warum auch nicht! Nach meinen Erfahrungen wird gerade die Opernszene doch am pfiffigsten und nachhaltigsten von Quereinsteigern befruchtet. Man kann damit natürlich gehörig auf die Schnauze fallen. Aber das kann man mit Arrivierten auch und mit Routiniers erst recht.
K.WEST: Und wie heißen denn nun ihre Debütanten?
SOLTESZ: Tilman Knabe beginnt mit »Rheingold«; »Walküre« folgt im Frühjahr 2009 mit Dietrich Hilsdorf, der bis jetzt noch nie Wagner gemacht hat; dann kommt Anselm Weber mit »Siegfried«, dessen Essener »Lohengrin« und »Meistersinger« ganz großen Erfolg verbuchen konnten; schließlich erwarten wir für die »Götterdämmerung« den Australier Barrie Kosky, dem wir u.a. eine brillante »Mahagonny« verdanken und der demnächst die Komische Oper in Berlin leiten wird. Die ersten zwei Engagements sind festgezurrt, die anderen im Werden begriffen.
K.WEST: Wird das Quartett unabhängig voneinander inszenieren oder einem großen übergreifenden Leitmotiv folgen?
SOLTESZ: Sie werden völlig getrennt arbeiten, ohne irgendeine ideologische oder optische Klammer. Jeder Regisseur hat auch seinen eigenen Ausstatter. Für das Publikum verspricht diese Arbeitsteilung bei insgesamt 16 Stunden Spielzeit vier neue Ansätze, neue Blickfänge, neue Perspektiven, kurzum: willkommene Abwechslung.
K.WEST: – oder verwirrende Vielfalt und den Verlust einer tragenden, universalen Idee für Wagners großes Welttheater.
SOLTESZ: Ja ja, ich weiß. Man kann es so und so sehen, jede der Alternativen bietet Chancen und birgt Tücken. Dabei gibt es für mich auch noch einen – zugegeben – trivialen Grund, den kolossalen »Ring« von vier Künstlern schultern zu lassen: Sollte nämlich einer seine Sache in den Sand setzen, sind immer noch drei da, die den Karren aus dem Dreck ziehen können. Das ist von unbestreitbarem Wert. Schließlich legt man sein Vermögen auch nicht bloß in den Aktien eines Unternehmens an.
K.WEST: Was ist der »Ring« für den Intendanten und Generalmusikdirektor Stefan Soltesz: Mythos, Märchen, Sozialkritik, Soap, Krimi?
SOLTESZ: Von allem etwas, auf jeden Fall die theatralischste Schöpfung des Theatergenies Wagner. Der »Ring« hat etwas Kontemplatives, etwas Mystisches, durchaus auch groteske Züge, auch Fantasy und natürlich Mord und Totschlag in Hülle und Fülle. Anja Silja hat mir erzählt, dass Wieland Wagner gesagt habe, eigentlich müsste auch Walt Disney einmal den »Ring« machen. Jedenfalls ist das gigantische Werk auch nach mehr als 120 Jahren noch nicht ausgereizt. Sicher stehen für uns im Vordergrund Wunsch und Versuch, einen neuen, modernen, zeitgemäßen Zugang zu entdecken und zu erschließen und auf die vielen Fragen der Tetralogie Antworten durchweg junger, unverschlissener Künstler zu finden.
K.WEST: Sind Ihnen die vier Teile gleich teuer und lieb?
SOLTESZ: Während meiner Zeit als Repetitor an der Wiener Staatsoper habe ich den »Ring« repetiert, aber nur »Rheingold« und »Walküre«, weil das Projekt dann abgebrochen wurde. Es werden über- haupt viele »Ringe« abgebrochen, weil sich die Leute damit übernehmen. Das wollen wir natürlich verhindern. Insoweit gibt mir unser Vierer-Engagement zusätzliche Sicherheit. Da kann man den dritten Mann, wenn der nicht mehr will oder passt, notfalls austauschen. Das finde ich praktisch.
K.WEST: Und Ihr Favorit?
SOLTESZ: Also, es mag überraschen, aber ich finde »Siegfried« am verrücktesten und spannendsten, er ist musikalisch unglaublich, unglaublich an Vielfalt und Einfallsreichtum. Die »Götterdämmerung« ist im Verhältnis dazu sicher der krönende Abschluss, hat aber nicht mehr in dem überreichen Maße die Faszination des Progressiven und Draufgängerischen.
K.WEST: Steht die Sängerbesetzung schon für alle vier Abende?
SOLTESZ: Zumindest die Hauptpartien habe ich schon mal durchgedacht. Als Brünnhilde kommt Catherine Foster nach Essen, die aus Weimar einschlägige Rollenerfahrung mitbringt, und der junge Almas Swilpa, der bei uns in Herheims »Don Giovanni« den Leporello singt und auch als »Holländer« Furore gemacht hat, wird einen jungen »Rheingold«-Wotan geben.
K.WEST: Ist es heute, beim allseits beklagten Mangel an erstklassigen Wagner-Stimmen, eine Crux, den »Ring« zu besetzen?
SOLTESZ: Ach, wissen Sie, das war schon immer schwer, und die momentane Situation macht die Sache gewiss nicht leichter. Aber ich besetze, ehrlich gesagt, Wagner ohnehin nicht gern mit superschweren Stimmen, auch nicht im »Ring«. Zusammen mit den über weite Strecken getragenen Tempi wird die ganze Darbietung sonst leicht übergewichtig, dickflüssig, schleppend. Das muss nicht sein. Wir wollen zeigen, dass es auch etwa leichter, eventuell eleganter, vielleicht sogar duftiger geht. Mal sehen, ob das glückt.
K.WEST: Welche der vielen Figuren der Tetralogie steht Ihnen menschlich am nächsten?
SOLTESZ: Ehrlich gesagt, ich möchte am liebsten Brünnhilde sein. Eine große, starke, imposante Frau, voll Kraft und Wärme.
K.WEST: Viel »Ring« mit all seinen Intriganten und Falschspielern steckt auch, wie wir jüngst erlebten, im heutigen Bayreuth. Haben die dortigen Festspiele eigentlich noch den Stellenwert, der ihnen nachgesagt wird, und, wenn ja, haben sie ihn noch verdient?
SOLTESZ: Es ist schon höchst merkwürdig, was sich dort abgespielt hat. Auf einmal stand Herr Mortier auf der Matte, und Nike Wagner an seiner Seite schoss aus allen Rohren. Dabei ist dort doch alles festgeklopft bis 2013. Wozu also der hektische Zirkus? Was ist interessant – und zwar auch noch für zwei Personen! – an einer fünfjährigen Intendanz von 2008 bis 2013, wenn in diesem Zeitraum schon nichts mehr zu bewegen ist? Lächerlich.
K.WEST: Was ist an der Leitung der Bayreuther Festspiele denn überhaupt schwierig oder spannend?
SOLTESZ: Ich sag’s mal frech und blasphemisch: eigentlich nichts. Nach der Wende ein kleines Drei-Sparten-Haus in Mecklenburg-Vorpommern erfolgreich zu führen, das war und ist eine Herausforderung, eine Leistung. Als Intendant der Bay- reuther Festspiele zu agieren, ist dagegen simpel. Den Spielplan aufzustellen, was sonst fast die hal- be Arbeit eines Intendanten ausmacht, erübrigt sich. Die haben da ihr halbes Dutzend feste Titel, die ewig wiederholt werden, und sagen sich nach drei, vier Jahren allenfalls: Ach, der Lohengrin wäre wohl wieder mal fällig. Das Problem, ob ihre Aufführungen angenommen werden, kennen sie auch nicht, weil alle Termine ohnehin immer vielfach überbucht sind. Die Gagen sind auf dem Grü- nen Hügel festgeschrieben, also kein Feilschen. Gut, man guckt sich mal unter Regisseuren um, aber bei der wichtigen Frage, wer singt, können die auch nur das einkaufen, was der Markt anbietet.
K.WEST: Wann waren Sie zuletzt auf dem Grünen Hügel?
SOLTESZ: Ich war noch nie dort, und es zieht mich auch nichts hin. Solche Kultstätten sind mir schlicht und einfach suspekt. Ich liebe Wagner, gar keine Frage, ich liebe ihn sogar sehr. Aber das sakrale Gedünst rund um den Grünen Hügel ist mir irgendwie unheimlich. Mir reicht Wagner im Aalto-Theater. Das ist Herausforderung genug.