»Als die Krise begann, konnte ich zunächst gar nicht arbeiten. Ich hatte das Gefühl, mich erst einmal inhaltlich neu sortieren zu müssen. Auch weil ich nicht so flapsig reagieren wollte. Man sieht so etwas ja überall – Arbeiten mit Atemschutzmasken, Toilettenpapier… Das ist mir zu slapstick-artig. Mich bewegen andere Fragen: Wie sieht es wohl Ende des Jahres aus, wenn so viel wegbricht? Wenn Firmen pleite und viele Jobs verloren gehen. Die Schwachstellen sind aufgedeckt, jetzt müssten wir eigentlich handeln und unsere Gesellschaft neu denken. Die Pandemie ist ja nur eine Sache. Wir haben den Klimawandel. Die Digitalisierung wird früher oder später ohnehin viele Arbeitsplätze kosten.
Ich frage mich nun, ob man die Krise nicht als Chance nutzen und sagen kann: Wir denken wirklich tiefgreifend um. Zum Beispiel an ein Grundeinkommen. Eine neue Steuerphilosophie könnte entstehen. Sicher werden wir bestimmte Berufe nach der Krise anders sehen, vielleicht kaufen wir lokaler ein. Es sind ja unglaublich viele Punkte, die jetzt deutlich werden. Da ich künstlerisch immer schon mit diesen gesellschaftlichen Themen umgegangen bin, war es mir wichtig, erst einmal viel zu lesen und möglichst alles zu verstehen. Ich wollte mich nicht zu oft in der digitalen Blase aufhalten, die mit dem Shutdown entstand, sondern musste mir Zeit nehmen. Nach diesen Wochen des Verarbeitens entstehen jetzt auch wieder Werke, erste kleine Videos. Gestern erst war ich im Atelier und habe daran gearbeitet.
Im großen Atelierhaus, wo mein Arbeitsraum liegt, sind viele Nachbarn ratlos. Reihenweise werden Ateliers frei, weil das Geld für die Miete nicht mehr reicht. Da könnte man jetzt die schönsten Räume bekommen – so etwas habe ich noch nicht erlebt. Ich stehe dagegen noch gut da, vor allem weil ich ab dem kommenden Semester eine Vertretungsprofessur in München übernehmen kann. Ein Luxus, der mich etwas absichert. Denn der Verdienstausfall in dieser Zeit ist gravierend. Die Art Cologne verschoben, meine Galerie geschlossen, eine Gruppenausstellung in der Kunsthalle Düsseldorf findet ohne Publikum statt.
Um nicht nur im Netz präsent zu sein und dem digitalen Boom etwas entgegenzusetzen, habe ich das Projekt »Art from the Window« gestartet. Ich stelle einfach einen Projektor ans Fenster oder auf den Balkon und werfe kleine Arbeiten in den Hof oder auf die gegenüberliegende Hauswand. Es ist eine wunderschöne Situation: Wenn ab und zu Spaziergänger vorbeigehen und sich freuen, dass etwas passiert. Manche schauen hoch und lächeln, oder sie geben mir den Daumen. Das tut total gut.«
Johanna Reich ist 1977 in Minden geboren und hat unter anderem an der Kunstakademie Münster, bei Wim Wenders an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und in Köln an der Kunsthochschule für Medien studiert. Sie selbst sieht sich als Technik-Nerd, immer auf der Suche nach den neuesten medialen Möglichkeiten. In ihrer Kunst reflektiert Reich oft gesellschaftliche Themen; besonders interessieren sie die digital bedingten Umbrüche unserer Zeit.