kultur.west: Herr Berf, wie sind Sie Übersetzer geworden?
BERF: Das war eine Mischung aus Zufällen. Als ich in Uppsala studierte, habe ich ein Praktikum bei einem kleinen schwedischen Verlag gemacht. In dieser Zeit kamen die ersten Kurt-Wallander-Krimis von Henning Mankell in Deutschland heraus und der Verlag brauchte händeringend einen Übersetzer. Das habe ich dann mit einer Freundin zusammen gemacht und habe gemerkt: Ich kann das. Ich habe zunächst wieder an der Universität gearbeitet, aber gemerkt, dass ich das nicht ewig machen möchte. Und ich hatte nun die Referenz, bereits Henning Mankell übersetzt zu haben. Das war meine Eintrittskarte als Übersetzer.
kultur.west: Wie gibt man Literatur in einer anderen Sprache wieder?
BERF: Man muss sich ein wenig vom Originaltext entfernen, damit man den richtigen Ton trifft. Das ist dabei auch der Punkt, den man nicht lernen kann. Bei mir ist das so: Ich höre im Kopf eine Melodie, einen Ton, einen Rhythmus, den ich dann beim Schreiben im Kopf habe. Wenn ich diesen Rhythmus höre, weiß ich: Ich bin auf der richtigen Fährte.
kultur.west: Sie übersetzen aus dem Schwedischen oder Norwegischen ins Deutsche. Welche Sprache übersetzen Sie lieber?
BERF: Auf jeden Fall Schwedisch. Der einzige Grund, warum ich aus dem Norwegischen übersetze, ist Karl Ove Knausgård. Nach seinem Erfolg habe ich zahlreiche Angebote bekommen. Da habe ich dann aber auf die Bremse getreten, weil ich mich aufs Schwedische konzentrieren möchte.
kultur.west: Wie kamen Sie zu Knausgård?
BERF: Ich war noch ein ganz junger Übersetzer und auf der Buchmesse, unter anderem mit vielen skandinavischen Lektor*innen. Dort war auch Geir Gulliksen, der bis heute Knausgårds Lektor ist. Seine Rolle kann man für Knausgårds Arbeit gar nicht überschätzen. Der hat mir damals den Debütroman in die Hand gedrückt und gesagt: Das musst du lesen. Bereits dieses Buch hat mich total überwältigt. Ich fand es einfach irre, was dieser junge Autor sich alles traut, dazu mit dieser Sprachgewalt und Originalität. So ein Buch hatte ich vorher noch nie gelesen.
kultur.west: Knausgårds »Aus der Welt« erschien 1998 in Norwegen, jedoch erst 2020 in Deutschland. Unter anderem handelt er von einem jungen Lehrer, der sich in eine dreizehnjährige Schülerin verliebt. Wie kamen Sie an den Auftrag?
BERF: Beim zweiten Roman von Knausgård »Alles hat seine Zeit« gab es diese Dreiecksbeziehung: Da war die Agentin von Knausgård, die mit der Luchterhand-Lektorin befreundet war, und da war ich, dieser Knausgård-Fan.
kultur.west: Wann haben Sie dann vom Romanprojekt »Min Kamp« erfahren?
BERF: Knausgård und ich hatten uns bereits mehrfach getroffen und dann erzählte er mir von dem Plan einer sechsbändigen Reihe von Büchern über sich selbst. Ich habe ihn damals schon gewarnt, wie gefährlich dieses Projekt nicht nur für ihn selbst, sondern auch sein Umfeld sein könnte. Er schickte mir schließlich das Rohmanuskript und ich war wieder vollkommen überwältigt. Ich fand es sehr mutig, dass der Luchterhand-Verlag alle sechs Bände einkaufte. Knausgård war hier schließlich noch ein Unbekannter und dann noch sechs Bücher von jemandem, der ellenlang über das eigene Leben schreibt. In Deutschland wurde er als Autor erst populär, nachdem Knausgård in der New York Times besprochen wurde und in Amerika so erfolgreich wurde.
kultur.west: Wie war es für Sie, so eine intime Literatur zu übersetzen, in der der Autor über sein Leben schreibt?
BERF: Das war erstaunlich unpersönlich. Nachdem ich bereits die ersten 20 Seiten vom ersten Roman gelesen hatte, vergaß ich vollkommen, dass es um den konkreten Menschen Knausgård geht. Ich habe das eben wie einen Roman gelesen und war recht erstaunt, was für ein Hype um seine Person entstanden ist. Ich habe nie das Gefühl gehabt, ich übersetze jetzt etwas ganz Persönliches, sondern ich habe eigentlich immer Romane mit einem Ich-Erzähler übersetzt.
kultur.west: 2022 ist dann »Der Morgenstern« erschienen. Als Beginn einer größeren Romanreihe, die – komplett gegensätzlich zu »Min Kamp« – vollkommen fiktional ist und aus der Sicht von neun Protagonist*innen geschildert wird. Was hat sich beim Übersetzen geändert?
BERF: Da haben Knausgård und ich tatsächlich auch darüber geredet. Das Problem ist: Wie individualisiert man die einzelnen Erzähler*innen? Es ist zunächst naheliegend, es über die Sprache zu machen, also sie sprachlich sehr unterschiedlich zu gestalten. Das kann aber sehr leicht in die Hose gehen, weil es nicht mehr authentisch wirkt. Der Trick ist dabei, wie die Figuren zu denken. Natürlich ergeben sich kleine stilistische Unterschiede bei den Figuren, es wirkt aber eben nicht künstlich. Und das hat Knausgård in den neuen Romanen auch geschafft. Gerade da finde ich die Frauenfiguren besonders stark und authentisch von diesem Autor, dem man gerne das Alte-Weiße-Mann-Klischee vorwirft.
kultur.west: Und worum geht es in seinem neuen Buch »Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit«?
BERF: Das Buch ist zunächst eine Art Prequel zu »Der Morgenstern«, dem vorherigen Buch. Es geht also um die Zerstörung der Natur durch den Menschen, ob nun durch den Klimawandel oder durch Atomkraft. Es ist aber auch die Entwicklungsgeschichte eines jungen Manns, der in den Unterlagen des verstorbenen Vaters russische Briefe findet. Schließlich begibt er sich auf eine Spurensuche. Es ist aber eben auch ein Roman von Knausgård, einem großen Ideenschreiber. Zentral in diesem Roman ist die Überwindung des Todes. Dabei gibt es sehr viele Bezüge zur Sowjetunion, wo man versucht hat, die Frage der Unsterblichkeit mit der Wissenschaft zu lösen. Die Überwindung des Todes im säkularisierten Staat wird auch heute dort noch weiter betrieben.
kultur.west: Wo lässt es sich für Sie eigentlich besser arbeiten: Am Ort der Romane, also in Norwegen, Russland oder Schweden. Oder bei Ihnen zuhause in Köln?
BERF: Tatsächlich hier in Köln. Ich brauche meine Muttersprache um mich herum, damit ich den Bezug zu ihr nicht verliere. Sprache ist etwas sehr Dynamisches. Wenn ich diesen Kontakt nicht hätte, würde die deutsche Sprache bei mir stehen bleiben. Andererseits brauche ich natürlich auch den Kontakt nach Schweden, da sich dort die Sprache auch verändert. Knausgård ist tatsächlich so ein seltsamer Fall, da er bereits seit über 30 Jahren im Ausland lebt und sein Norwegisch inzwischen auch etwas Klassisches besitzt.
kultur.west: Sie sind auch im Verein »Literaturszene Köln« aktiv. Wofür setzen Sie sich dort ein?
BERF: Die Literaturszene Köln wurde vor ein paar Jahren gegründet, weil die Literatur im Gegensatz zu anderen Kunstsparten in Köln, auch objektiv, einfach unterrepräsentiert ist. Wir wollten einen Verein gründen, in dem verschiedene Sparten, die mit Literatur zu tun haben, sich zusammentun. Seitdem machen wir Veranstaltungen wie die Kölner Literaturnacht oder den Tag der Kinder- und Jugendliteratur, um die lokale Szene der Literaturveranstalter*innen zu stärken.
kultur.west: Apropos Literatur – wollten Sie eigentlich je selbst Schriftsteller werden?
BERF: Nicht, nachdem ich mit 14 Jahren beim Schreiben meines ersten Romans gescheitert bin: Nein, absolut nicht. Ich schreibe überhaupt nicht gerne, das ist eine Qual für mich. Ich übersetze sehr gerne, aber das ist eben, wie ein Pianist ein Musikstück aufführt und interpretiert, er komponiert auch keine eigenen Stücke. Ich bin Kunst-Handwerker.
Zum Autor
Der Norweger Karl Ove Knausgård, der heute in London lebt, erlangte mit seinem Romanzyklus »Min Kamp« internationale Berühmtheit. In diesem beschreibt er auf über 4500 Seiten sein eigenes Leben, die schwierige Beziehung zu seinem Vater und seine Ideen des Lebens und Sterbens. Der erste Band wurde in Norwegen kontrovers besprochen, zum Buch des Jahres gewählt und mit dem Brageprisen, dem wichtigsten norwegischen Literaturpreis, ausgezeichnet. Am 15. Februar erscheint der zweite Band seines aktuellen Romanprojekts »Die Wölfe aus dem Wald der Einsamkeit« (bei Luchterhand).
Zum Übersetzer
Paul Berf kam 1963 in Frechen zur Welt und lebt in Köln. Nach dem Studium der Skandinavistik an der Universität zu Köln und in Uppsala, arbeitete er zunächst wissenschaftlich. Neben Karl Ove Knausgård übersetzt er auch Håkan Nesser oder Aris Fioretos. 2005 wurde er mit dem Übersetzerpreis der Schwedischen Akademie ausgezeichnet. Für seine Übersetzungen Karl Ove Knausgårds erhielt er 2014 den Jane-Scatcherd-Preis.