kulturwest:
Tim, bist Du ein sentimentaler Mensch?
FISCHER:
Überhaupt nicht. Ich verabscheue Selbstmitleid, besonders bei mir.
Es gibt zwar tausend Gründe um zu verzweifeln, auch in meinem Beruf,
der ein Nischen-Beruf wurde – das Genre Chanson existiert nicht
mehr. Und der private Tim hat immer unter sich selbst gelitten: Aber
meine Arbeit erlaubt mir, das in Kunst zu übersetzen. Ich betrachte
meine Konzerte nicht als Therapie-Ersatz. Jedoch erzeugen sie bei
vielen Menschen einen Gleichklang bei existentiellen Fragen.
kulturwest:
In Deinen Liedern lassen sich oft eine sachliche Note und eine
humoristische Spur verfolgen, als Gegengewicht und Kunstgriff.
FISCHER:
So ringe ich dem Negativen positive Elemente für die gesungenen
emotionalen wie sozialen Situationen ab. Das hat mit Hoffen zu tun,
das ich ahnungsweise spüre bzw. vermittle. Anspruchsvoll gesagt:
Hoffnung jenseits der Hoffnungslosigkeit.
kulturwest:
»Die alten schönen Lieder« heißt eines Deiner Programme. Das ist
tückisch und lockt auf die falsche Fährte. Denn das Schöne ist in
vielen dieser musikalischen Miniaturen und Lebensdramen ein
Schrecknis, ein Trauerfall, ein Notruf…
FISCHER:
…mit Heinrich Heine gesagt, sind es »die alten bösen Lieder«.
kulturwest:
Schönheit ist also im Sinn von Wahrheit gemeint.
FISCHER:
Der wesentliche Aspekt meiner Lieder aus den verschiedensten Zeiten
ist, dass sie uns für heute hellhörig und hellsichtig machen
können. Diese Qualität liegt dort, wo das Zeitverhaftete zeitlos
wird, etwa bei Georg Kreisler und Friedrich Hollaender, dessen
»Spötterdämmerung« klingt, als sei sie aktuell geschrieben.
Schwelgen in den alten Zeiten interessiert mich nicht. Ich bin kein
Nostalgiker.
kulturwest:
In Deiner langen Künstlerbiografie erkenne ich den Wechsel von der
Identifikation mit den Liedern zu deren Interpretation. Es begann mit
den »Drei Sternen«…
FISCHER:
Marlene Dietrich, Zarah Leander, Hildegard Knef. Ich hörte sie schon
als Kind und ich sang deren Lieder dann auch. In ihnen war etwas ganz
meins. Es füllte mich aus, wurde mein Sprachrohr. Das war die
absolute Identifikation – auch lebensrettend. Zwischen den Zeilen,
dort wo im Chanson das meiste stattfindet, spürte ich die
Ambivalenzen dieser Lieder.
kulturwest:
Es sind drei sehr unterschiedliche Interpretinnen –
FISCHER:
Ja. Aber sie haben etwas gemeinsam: einen gewissen Fatalismus, eine
sehr bewusst gesetzte Eigenständigkeit und den Mut, diese zu
behaupten.
kulturwest:
Hilde Knef war oft auch ihre eigene Autorin, so knapp, nüchtern,
ernüchternd und gut wie Erich Kästner.
FISCHER:
Als Lyrikerin ist sie völlig unterschätzt.
kulturwest:
Sie ist konkret, unnachgiebig, hat eine Härte im Ton. Das findet
sich bei Dir ebenfalls.
FISCHER:
Ich lulle nicht ein, ich fordere mein Publikum extrem. Aber sehe es
auch als meine Aufgabe, zu servieren: klar zu artikulieren und die
Gesamtdramaturgie eines Liedes zu entwickeln. Es sind jeweils Rollen
von kurzen drei bis sechs Minuten, die ich spiele. Ich sondere nicht
nur schöne Töne ab, sondern präsentiere eine Geschichte, die oft
etwas von Außenseitern erzählt, von schmerzender Empfindung und
Lebenserfahrung. In Hollaenders »Wenn ick mal tot bin«, was in dem
Lied ein Kind von sich sagt, heißt es am Schluss: »Dann ist mein
schönster Tag.« Georg Kreisler hat zu mir gesagt: Tim, tu so, als
ob es Dir im Moment einfällt. Der Eindruck von Spontaneität kann
bei sensiblen Themen das Verständnis des Publikums erleichtern.
kulturwest:
Ein Hauptmotiv ist Sehnsucht – nach einem anderen Leben. Aber nicht
als Eskapismus.
FISCHER:
Richtig. Da kommt Empathie ins Spiel. Aber nicht faule Wehmut. Der
zeitgenössische Liedermacher Sebastian Krämer singt: »Sehnsucht
ist gemein.« Doppelbödigkeit herzustellen, ist Arbeit. Ich will
mich ja nicht selbst rühren. Sondern will etwas vermitteln, häufig
über einen gegenläufigen Ausdruck. Ein zartes, trauriges Lied mit
Lächeln in der Stimme.
kultur.west.
Du schließt einmal einen kleinen Klagesang ab mit einem »Tralalala«,
aber nicht in schwarzer Spitze, sondern in kühlem weißen Satin
gesungen.
FISCHER:
Ja, und ohne jeden Pep.
kulturwest:
Das verlangt, nicht weich zu werden gegenüber dem Material,
gegenüber dem Publikum, gegenüber sich selbst.
FISCHER:
Man kreiert, indem man dosiert und kontrolliert. Die Lieder sind
meine Lehrerinnen, ich hatte ja nie Gesangs- und
Schauspielunterricht.
kulturwest:
Die Frage ist, wo beginnt die Einladung in ein Lied und wo wird man
aus einem Gefühl rausgeschmissen.
FISCHER:
Am stärksten zeigt sich das bei »Lili Marleen«. Es wurde auf
beiden Seiten der Weltkriegs-Front gespielt. Seine magische Wirkung
ließ die Waffen schweigen.
kulturwest:
Goebbels nannte das Lied abschätzig die Schnulze mit dem
Verwesungsgeruch. Er erkannte etwas Richtiges.
FISCHER:
Lale Andersen sang es zum flotten Marsch aufgeputscht, Marlene
Dietrich sang es melancholisch, sie demoralisierte damit, sang es in
verneinender Form, als Verlustgeschichte über Gräber hin.
kulturwest:
Deine Version der »Capri-Fischer«, die jedes Mal in Ovationen
münden, sind im selben Atemzug Kitsch und Gegen-Kitsch, Nachgeben
und Widerstehen, sind ein Raubzug gegen die Lügen der 50er Jahre.
FISCHER:
Der Schlager von Rudi Schuricke hat eine große Verführbarkeit. Es
erwischt einen kalt. Weil da alles drin steckt: Spießertum und
Freiheit, fiese Vergesslichkeit und Lust und Begehren unter der Sonne
des Südens. Mit dem Lied wird man nicht fertig. Als die Twin Towers
in New York stürzten, gab ich in Hamburg ein Konzert und sang
Kreislers »Als der Zirkus in Flammen stand«. Den Leuten gefror das
Blut, während sie sonst lauthals lachten. Ein und dasselbe Lied kann
wie eine Chiffre sein, Zauberspruch, Fluch oder Segen.
Tim
Fischer wurde 1973 in Delmenhorst geboren. Als Sänger wurde er groß
auf der Reeperbahn nachts um halb Eins und wohl auch noch zu späterer
Stunde.
Ob
in Stöckelschuhen, mit Pailletten, Pelz und Flieder, ob mit blond
verwehter Mähne, als sanfter Mondsüchtiger oder Etui-Engel, ob im
weißen Smoking oder kurz geschoren in schwarzem Leder: Seine
Totaloperationen am Erscheinungsbild kommentieren, illustrieren und
konterkarieren seine Programme und Lieder – von Georg Kreisler,
Ingrid Caven, Mascha Kaléko und Cora Frost, von Marlene, Zarah und
Hilde, von Eisler, Hollaender und Spoliansky, Pigor und Eichhorn,
Edith Jeske, Sebastian Krämer.
9.
März 2019:
Konzerthaus Dortmund, »Die alten schönen Lieder«
15.
März 2019:
Stadthalle Bielefeld, »Absolut«
30.
März 2019:
Gloria Köln, »Die alten schönen Lieder«
11.
Mai 2019:
Savoy Düsseldorf, »Absolut«