INTERVIEW: STEFANIE STADEL
Die Kölner Szene schaut erwartungsfroh nach L.A. – ungewohnt einig, ganz und gar positiv gestimmt. Nein, bisher war nichts Abfälliges zu hören oder zu lesen über Philipp Kaiser, den designierten Direktor des Museum Ludwig. Zurzeit arbeitet er noch als Kurator am Museum of Contemporary Art, aber nicht mehr lange. Denn am 1. November soll der gebürtige Berner den begehrten Chefsessel im Museum Ludwig übernehmen. Der große alte, hoch angesehene Kasper König geht in Ruhestand und macht Platz für den mit dann 40 Jahren doch noch immer ziemlich jungen Kaiser. K.WEST sprach mit dem freudig erwarteten Neuling.
K.WEST: Was dringt bis L.A. über die Kölner Kultur- und Museumslandschaft?
KAISER: Gerhard Richters 80. Geburtstag… In amerikanischen Künstlerkreisen ist Köln sehr beliebt. Einerseits kennt man die geschichtsträchtige, jüngste Vergangenheit, andererseits genießt das Museum Ludwig großes Ansehen. Eine der ersten Ausstellungen am Museum of Contemporary Art Los Angeles, »The First Show«, versammelte vor knapp 30 Jahren Werke aus einigen wenigen internationalen Sammlungen, darunter diejenige von Peter und Irene Ludwig. Gerade die Pop Art, einer der Schwerpunkte der Ludwig-Sammlung, stellt eine natürliche Verbindung zu den USA her, die hier durchaus wahrgenommen wurde und wahrgenommen wird.
K.WEST: Wie vertraut waren Ihnen Köln oder überhaupt das Rheinland und seine Museen vor dem Jobangebot?
KAISER: Bevor ich vor knapp fünf Jahren nach Los Angeles gezogen bin, habe ich mir häufig Ausstellungen im Rheinland angeschaut und bin mit dem institutionellen Umfeld vertraut. Gerade in Köln habe ich einige wunderbare Ausstellungen gesehen, insbesondere Rosemarie Trockel oder auch das »Museum der Wünsche«.
K.WEST: Waren Sie überrascht, als der Ruf aus Köln Sie erreichte?
KAISER: Es war ja kein Geheimnis, dass Kasper König, dessen Programm ich immer sehr geschätzt habe, früher oder später in Pension gehen wird. Viele meiner Kollegen haben schon die Jahre gezählt, denn ohne Zweifel ist das Museum Ludwig eines der wichtigsten Museen der modernen und zeitgenössischen Kunst, nicht nur in Deutschland, sondern international. Ich habe mich auf jeden Fall sehr darüber gefreut.
K.WEST: Wie sehen Sie die Situation der rheinischen Szene aus der Ferne?
KAISER: Es ist schwierig, die Situation von hier aus richtig einzuschätzen. Doch ich nehme einerseits wahr, dass die Art Cologne mit Daniel Hug im Aufschwung ist. Aus Basel sind mir die Synergieeffekte zwischen der Messe und den Museen durchaus bekannt und ich meine, dass es hier Parallelen gibt. Andererseits höre ich immer wieder, dass eine gewisse Berlin-Müdigkeit viele Leute wieder in die anderen Zentren Deutschlands zurückziehen lässt.
K.WEST: Können Köln oder das Rheinland Ihrer Meinung nach noch etwas aufholen gegenüber Berlin. Haben sie Chancen, ein wenig vom alten Glanz zurückzuerobern?
KAISER: Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die meisten jungen Künstler in Berlin wohnen wollen, doch dies bedeutet nicht, dass es ab sofort in allen anderen Städten Deutschlands zappenduster wird. Fest steht, nach wie vor residieren die wichtigsten Museen und Sammler im Rheinland.
K.WEST: Abgesehen von der neuen Aufgabe – freuen Sie sich auf den Umzug, oder gehen sie mit gemischten Gefühlen weg aus L.A.?
KAISER: Natürlich fällt es mir nicht ganz leicht, aus Los Angeles wegzuziehen. Es ist inspirierend, in diesem heterogenen und pluralistischen Kosmos zu arbeiten. Das Selbstverständnis der Kunst und Kultur, wie wir es in Europa kennen, gibt es hier nicht. Gerade zeitgenössische Kunst ist trotz vieler mittlerweile bekannter Künstler aus L.A. gewissermaßen Subkultur. Die Museen sind allesamt noch sehr jung und haben einen nicht ganz einfachen Stand, da sie meist ausschließlich auf privater Initiative gründen und das Mäzenatentum gerade im Vergleich zu New York dünn gesät ist. In diesem Sinne ist die Arbeit in einem popkulturellen Zusammenhang zwar interessant, doch manchmal habe ich auch das europäische Selbstverständnis kultureller Einrichtungen und des Bildungsauftrages vermisst.
K.WEST: Sie werden in Köln ein großes Haus übernehmen – was reizt Sie am Museum Ludwig?
KAISER: Die großartige Sammlung, der fotografische Schwerpunkt und überhaupt die programmatische Ausrichtung des Hauses. Wenngleich ich mich in den letzten Jahren vor allem in der zeitgenössischen Kunst bewegt habe, habe ich mich immer für Kontinuitäten und Gleichzeitigkeiten interessiert, die spezifische diskursive Formationen hervorgebracht haben. Die Kölner Sammlung vereint das gesamte 20. mit dem 21. Jahrhundert und ist deshalb so einzigartig. Eine Trennung von Moderne und Postmoderne, von ›vor 1960‹ und ›nach 1960‹ scheint mir ohnehin immer problematischer zu sein. Auch die Kunst und die Ideen der Gegenwart altern, werden revidiert und umgeschrieben.
K.WEST: Gibt es auch Dinge, die Ihnen weniger zusagen, die Sie vielleicht ändern wollen?
KAISER: Es gibt so einige Dinge, doch alles in allem muss ich sagen, dass ich froh bin, dass das Museum in den letzten Jahren sehr gut geführt wurde und ich das Rad nicht neu erfinden muss.
K.WEST: In Kasper König haben sie einen hoch angesehenen und sehr erfolgreichen Vorgänger – ist es nicht ein Berg für Sie, sich an so einem Mann messen lassen zu müssen?
KAISER: Eine Ära geht immer einmal zu Ende, doch zweifellos habe ich großen Respekt vor Kasper Königs Verdiensten am Museum Ludwig und überhaupt als Ausstellungsmacher.
K.WEST: Was hat ein junger Museumsdirektor, was ein alter nicht hat?
KAISER: Weniger Falten und graue Haare.
K.WEST: Hat es Ihrer Meinung nach Vorteile, wenn der Direktor des Museum Ludwig die amerikanische Kunstszene von innen kennt?
KAISER: Natürlich ist ein grundsätzliches Interesse für amerikanische Kunst eine wichtige Voraussetzung. Nicht nur aufgrund des Pop-Art-Schwerpunktes, sondern vor allem aufgrund der unglaublich reichen Geschichte des Rheinlands. Viele amerikanische Künstler haben hier ihre ersten Einzelausstellungen gehabt. Waren diese vor 40 Jahren fast ausschließlich aus New York, so hat sich in den USA in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit nach Westen verschoben. Los Angeles ist die neue Kunstmetropole geworden.
K.WEST: Was unterscheidet die Arbeit an einem US-Museum von der an einem deutschen?
KAISER: Hier gibt es gravierende Unterschiede. In den Vereinigten Staaten: das privat finanzierte Museum, das von Mäzenen am Leben erhalten wird und ähnlich einem Unternehmen agil geführt wird. In Deutschland: das öffentlich subventionierte Haus, welches aufgrund seiner Strukturen wesentlich träger ist.
K.WEST: Also ziehen Sie die Strukturen in den Vereinigten Staaten vor?
KAISER: Gerade die letzte Rezession hat in den USA die Grenzen des Systems aufgezeigt, indem zahlreiche Institutionen fusionieren mussten, in Ausnahmefällen Kunst verkauft wurde, um zu überleben oder die Türen für immer und ewig geschlossen wurden. Dennoch hat auch das private System seine Vorteile. In ökonomisch prosperierenden Zeiten lassen sich an amerikanischen Museen Ankäufe und Ausstellungen realisieren, die es in dieser Form und Größe in Deutschland nicht gibt.
Museen bedürfen meines Erachtens aber einer gewissen Kontinuität, um langfristige Ziele, wie eine kluge Ankaufspolitik, einen wissenschaftlichen Anspruch und eine unabhängige Programmierung durchzusetzen. Hierfür scheinen mir die Städte auf jeden Fall die verlässlicheren Partner zu sein. Was man jedoch in den USA lernen kann, ist, dass privates Engagement ernst genommen und nicht als Konkurrenz oder als Bedrohung angesehen werden muss.