Jedes Jahr kommt die große Welt des Indie-Pop in ein kleines Dorf am Niederrhein: Seit seinen Anfängen sucht Haldern die Zusammenarbeit mit der niederländischen und belgischen Musikszene. Auch dieses Jahr kann man im Programm wieder starke Bands aus diesen Ländern entdecken.
Wer regelmäßig das Festival Haldern Pop besucht hat, wird noch eine besondere Stimme mit feinem, niederländischem Akzent im Ohr haben: Sie gehört dem Musikmanager Hein Fokker, der jahrzehntelang die Bühnenansagen für die großen Bands gemacht hat, und der ein Aushängeschild für die grenzübergreifende Kraft des Festivals war. Die Nähe zu den Niederlanden und Belgien hat im kleinen Dorf, das dieses Jahr wieder vom 8. bis 10. August die große Welt des Indie-Pop und anderer Stile begrüßt, immer eine wichtige Rolle gespielt. Im Line-Up sind deshalb Entdeckungen wie Porcelain id aus Antwerpen oder Elephant aus Rotterdam angekündigt.
Zur niederländischen Grenze ist es von Haldern, das zum niederrheinischen Rees gehört, tatsächlich nur ein paar Kilometer. Gefühlt ist man Belgien allerdings noch näher: »Wir haben immer ein noch größeres Faible für belgische Musik gehabt«, sagt Stefan Reichmann, der Gründungsmitglied und künstlerischer Leiter des über 40 Jahre alten Festivals ist. »Die belgische Szene ist gigantisch. Bands wie Balthazar, Zita Swoon oder Nova Star haben hier gespielt. Und natürlich dEUS aus Antwerpen, die meiner Meinung nach großen Einfluss auf Radiohead hatten.«
Unabhängig und entdeckerfreudig
Besonders wichtig war und ist den Veranstaltern des Haldern Pop ihre Unabhängigkeit. »Wir gehören keinem Hedgefonds«, sagt Stefan Reichmann. »Das Festival ist ein instabiler sozialer Organismus. Den muss man beschützen.« Deshalb würde er nie eine belgische oder niederländische Band einladen, bloß weil ein Programm wie Euregio, das grenzübergreifende Zusammenarbeit fördert, dafür Gelder zur Verfügung stellt. »Ich finde solche Deals schrecklich«, sagt er. »Einige Jahre sollte ich deutsche Bands für ein holländisches Festival organisieren. Man sagte mir dort immer, es sei egal, welche kommen. Sie brauchten die deutschen Bands bloß, um Mittel zu bekommen. Es ist also erst der Topf da und dann die kreative Idee. Ich habe mich von so einer Art Zusammenarbeit zurückgezogen.«
Generell ist das Haldern Pop in den vergangenen Jahren wieder mehr zu einem echten Entdecker-Programm zurückgekehrt. Es gibt nicht die alles überstrahlenden, großen Headliner, mit denen die Konkurrenz Publikum zieht. »Die kosten am meisten Geld und denen ist völlig egal, wo sie gerade auftreten. Sie spulen ihr Ding ab und sind wieder weg«, sagt der Festivalmacher. »Das ist nicht der Geist, aus dem das hier entstanden ist. Es war die Nähe zu Beuys, die Idee der Sozialen Skulptur, die fragil ist – wie so eine Hüpfburg.«
2020, als wegen der Corona-Krise selbst im Sommer keine Open-Air-Konzerte vor festivaltauglichen Publikumsgrößen erlaubt waren, hat das Team eine kleine Ausgabe ohne Publikum gemacht. Die englische Band Black Country New Road hat im Dorf gespielt, das Team ist zusammen schwimmen gegangen und hat sich daran erinnert, was der eigentliche Grund ist, warum es zusammen das Festival organisiert, ein Label gegründet hat und eine Bar, die im Dorf das ganze Jahr über Konzerte anbietet. »Dieser Organismus, diese Fähigkeit, so in eine Richtung zu schieben für einen Moment, die Grenzen zwischen Künstlern, Veranstaltern und Publikum zu verwischen, das macht es aus«, sagt Reichmann. »Dann passieren auf einmal Dinge, wie dass am Ende noch gemeinsam der Campingplatz aufgeräumt wird.« In der Bar seien die treusten Gäste die grenznah lebenden Holländer. »Die kommen auch am Montagabend und bei Dauerregen. Wir hatten auch niederländische Bands auf unserem Label, sind selbst viel zu holländischen Festivals gefahren.«
Von Ruanda nach Belgien
»Into The Great Wide Open« auf der Insel Vlieland etwa sei eine Entwicklung aus dem Haldern-Kosmos heraus, Stefan Reichmann findet es bis heute »fantastisch«. Fantastisch findet er auch einen Interpreten wie Porcelain id aus Belgien. Hinter dem Projektnamen steckt ein genderfluider Mensch Mitte 20, der aus Ruanda stammt und in einem kleinen belgischen Dorf aufgewachsen ist. Auf seinem Album »Bibi: 1«, das von der Reise in die große Stadt erzählt, etabliert er einen Sound zwischen klassischem und Lo-Fi-Pop, verletzlichen Songs, die manchmal von Gitarre und einer außergewöhnlichen Stimme getragen und manchmal von Soundlandschaften her gedacht sind.
Die Verbindung zwischen Belgien und afrikanischen Ländern, die auch mit der dunklen Kolonial-Vergangenheit des Landes zu tun hat, tritt auch beim Musikprojekt Avalanche Kaito zutage: Es ist ein Trio aus dem in Burkina Faso geborenen Großstadt-Griot Kaito Winse, dem belgischen Gitarristen Nico Gitto und dem französischen Schlagzeuger/Produzenten Benjamin Chaval.
Ein echter Tipp im diesjährigen Haldern-Programm sind aber auch Elephant aus Rotterdam. Bekannt wurden sie vor zwei Jahren mit ihrem Album »Big Thing«, vor einiger Zeit haben sie den Nachfolger »Shooting For The Moon« präsentiert. Beide vereint ein eingängiger Indie-Pop-Sound, der sofort ins Ohr geht und gute Laune verbreitet. Man denkt dabei an die Band Family Of The Year aus Los Angeles, die das helle kalifornische Licht in Musik zu verwandeln scheinen und einen grenzenlosen Optimismus verströmen. Hinter der Gelassenheit und dem Optimismus von Elephant stecke jedoch harte Arbeit, verkünden sie in ihren Ankündigungstexten. Die Band habe außerdem ihren Sarkasmus reflektiert – aber offenbar nicht ganz verschwinden lassen. In einem neuen Song rufen sie Kollegen zu: »I hate your post-punk pretensions, your fake English accent«.
Das wird eine junge Band wie die ebenfalls aus den Niederlanden stammende Tramhaus vielleicht nicht ganz so gerne hören. Sie rechnet sich dem Postpunk-Genre zu und setzt kurze, rotzige Stücke in die Welt. Aber die werden auf den Bühnen des Festivalgeländes oder im Dorf Haldern, wo seit Jahren unter anderem auch die schöne Kirche bespielt wird, sicher genauso ihren Platz finden wie Jazz (das Michael Wollny kommt), Klassik (das Orchester Stargaze ist wieder dabei), die Klavier-Miniaturen von Chilly Gonzales, der Freak-Folk von Devendra Banhart. Besonders gut passen sie neben die irischen Fontaines D.C., die tatsächlich die größte Post-Punk-Sensation der vergangenen Jahre sind.
Haldern Pop
8. bis 10. August