Am 26. Januar 1950 kam es zu einer folgenschweren Begegnung für die amerikanische Musikszene. Vorzeitig waren John Cage und Morton Feldman getrennt voneinander aus der New Yorker Carnegie Hall gestürmt, empört darüber, dass das Publikum gereizt auf ein Orchesterwerk des Österreichers Anton Webern reagiert hatte. Zufällig begegneten sich die beiden Komponisten am Ausgang. Worauf Feldman, der noch ganz eingehüllt vom gerade Gehörten war, zu Cage meinte: »War das nicht schön?«
Aus diesem Aufeinandertreffen entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft zwischen zwei Musikern, die das traditionelle Verständnis vom Komponieren über Bord warfen. Denn statt wie die Kolleg*innen in Europa die Musik nach einem strengem Regelwerk in ein Korsett einzuzwängen und sie damit geradezu »zu ersticken«, wie Feldman es nannte, wollten sie sie wieder leben lassen. Cage entdeckte dafür den Zufall als Gestaltungsprinzip. Feldman hingegen schrieb bisweilen vier, fünf Stunden dauernde Werke, in denen sich einzelne Noten ohne einen Hauch von hörbarem Druck und Zwang scheinbar völlig frei in Zeit und Raum bewegen konnten. Wie von Zauberhand geführt, berührten Feldmans oftmals radikalen Slow-Motion-Stücke dabei immer wieder die Grenzen zwischen Stille und Nicht-Stille. Im Laufe von knapp 40 Jahren entstand so ein facettenreiches, auch vom Streichquartett bis zur Beckett-Oper reichendes Schaffen, das der Neuen Musik einen ganz neuen Sound verlieh.
Nun widmet das Kölner Acht-Brücken-Festival Morton Feldman, der 1987 in den USA verstarb, sein Komponistenporträt. In sieben Konzerten wird da der Bogen vom Klavierwerk bis zum großbesetzten Orchesterstück geschlagen. Wobei aber nicht nur – wie im Fall etwa des französischen Weltklasse-Bratschers Antoine Tamestist und des Amsterdamer Concertgebouworkest – sofort die überaus prominenten Solisten- und Orchester-Namen ins Auge fallen. Auch die Uhrzeiten mancher Konzerte sind durchaus ungewöhnlich. So richten sch die beiden Klavierrecitals von Hsin-Huei Huang sowie Helena Basilova an Frühaufsteher. Um 8 Uhr morgens präsentieren die beiden Pianistinnen jeweils mit »For Bunita Marcus« bzw. den »Triadic Memories« zwei Spätwerke Feldmans, in denen die Musik subtil, fast mit Glacé-Handschuhen gespielt, durch den Klangraum der Kunst-Station Sankt Peter wandert. Wenngleich sie dabei fast im lautlosen Pianissimo versiegt, besitzt diese Klaviermusik eine innere Gespanntheit, die zum genauen Hinhören einlädt.
Diese Kraft steckt aber auch in den großformatigeren Werken. Dazu gehört der mehrteilige Zyklus »The Viola in My Life«, für den sich Tamemstit mit dem Gürzenich-Orchester Köln unter seinem Chef François-Xavier Roth zusammentut. Beim Festival-Auftaktabend erkundet das Klangforum Wien mit Dirigent Baldur Brönimann Feldmans überraschend wild funkelnde »Atlantis«-Klanglandschaft. In einem ganz anderen Aggregatzustand befindet sich hingegen das halbstündige, vom Amsterdamer Eliteorchester gespielte Gebilde »Coptic Light«, für das sich Feldman – der ein begeisterter Sammler von orientalischen Teppichen war – von uralten Stoffen und Tunikas der Kopten inspirieren ließ. Und wenn sich dieser sanft ein- und ausatmende Klangorganismus schließlich in die völlige Stille der Kölner Philharmonie entlassen hat, darf man danach seine Begleitung vorsichtig anstupsen – wie einst Feldman mit der Frage: »War das Werk nicht schön?«
»Musik Amnesie Gedächtnis«, Acht Brücken. Musik für Köln
29. April bis 8. Mai 2022, achtbruecken.de