Ein »Kernthema der Menschheit« hat es der Historiker Andreas Kossert genannt, als er 2020 ein viel gerühmtes Buch zum Thema »Flucht« veröffentlichte. Und obwohl es auch Deutschland nach der großen Welle in 2015 mit den vor dem Krieg in der Ukraine Flüchtenden weiter beschäftigt, ist es weitgehend aus der Medienöffentlichkeit verschwunden. Nuran David Calis Uraufführung »Exil« am Schauspiel Köln wird das kaum ändern: Da wird aus vielen Stimmen und Diskurselementen keine große »europäische Erzählung«, wie das Stück im Untertitel heißt.
Für die Uraufführung modifiziert der Regisseur seine Methode des gut recherchierten, dokumentarischen Theaters, die er mit der Keupstraßen-Trilogie oder zuletzt »Mölln 92/22« zum Erfolg geführt hat. Diesmal stehen allerdings keine Experten des Alltags auf der Bühne. Dafür werden immer wieder Teile von Interviews mit nach Deutschland Geflüchteten aus der Ukraine, Syrien oder anderen Ländern auf den drei Videowänden eingespielt. Teil des fünfköpfigen Ensembles ist außerdem der ukrainische Schauspieler Oleksii Dorychevskyi. Er gibt in seinen Texten auch die eigene Geschichte verfremdet wieder.
Er spricht von Anfang an sehr aufgeregt und nervös, wird immer wieder laut, wechselt zwischen den Sprachen Deutsch und Ukrainisch, wird manchmal von einem anderen Ensemblemitglied übersetzt. Es wird klar: Geschichten von Flucht und Leben im Exil sind niemals leicht und haben nur selten ein Happy End. Meistens bleiben eine Traumatisierung, eine Wunde, eine Wut, ein Verlust, eine Angst.
Anfangs geht es nur um die Situation von Menschen, die jüngst aus der Ukraine kamen: Um die Geschichten von Frauen, die ihre Männer zurücklassen mussten, von Männern, die sich die Frage gefallen lassen müssen, warum sie nicht für ihr Land kämpfen, um die große Willkommenskultur – den Wohnraum, der auf einmal überall bereit stand. Und irgendwie fehlt da etwas die kritische Distanz, die theatrale Verarbeitung. Alles erscheint noch zu aktuell. So tut es der Uraufführung gut, als sie unmerklich ihren Fokus wechselt und Fluchtrouten über das Mittelmeer Thema sind, die zu regelrechten Odysseen und gewaltvollen Erfahrungen werden. Es geht dann auch darum, wie es 2015 ungleich mehr rumort hat in der deutschen Gesellschaft, rechte Reflexe ausgeschlagen sind.
Vernebelte Erinnerungsräume
Kristin Steffen beschäftigt sich in einem drängenden Monolog mit den Eigenheiten der Sprache, die uns eint und trennt, die nie ermöglicht, organisch zu äußern, was in uns gärt, sondern Gedanken und Gefühle in ein System aus Regeln presst. Im Bühnenbild von Anne Ehrlich gibt es vernebelte Erinnerungsräume, eine Küche als Diskurs-, eine typische Amtsflur-Sitzbank als Warte- und Transitraum und ein tolles skulpturales Element: eine festgefrorene Schaukel samt schaukelndem Menschen. Das Publikum ist von den Schauspieler*innen fast die ganze Zeit durch Plexiglas-Scheiben getrennt und kommt ihnen auch durch unmotiviert wirkende Live-Videobilder nicht näher.
Am Ende treten sie vor die Scheiben, um per Skype live mit der Mitarbeiterin einer NGO auf Lesbos und einem queeren Geflüchteten aus Uganda in einem Camp auf Samos zu telefonieren. Deren Berichte sind schockierend, ergreifend: Das passiert wirklich alles immer noch? Trotzdem ist »Exil« mehr ein Flucht-Sammelsurium, als eine große Erzählung. Das Thema ist wohl noch zu nah für eine künstlerische Reflexion.
10. und 14. Februar