kultur.west: In seinem Text rechnet Jean Raspail mit einem in seinen Augen verweichlichtem Westen ab. Wie gehen Sie damit um, dass er damit zu einem Kult-Roman für die Neuen Rechte in Deutschland geworden ist?
HERMANN SCHMIDT-RAHMER: Der Versuch, »Das Heerlager der Heiligen« in seiner landserromanhaften und radikal tendenziösen Erzählweise auf der Bühne einfach nachzuerzählen, wäre sicher uninteressant. Ich verstehe die Inszenierung eher als einen Abend über den Roman. Was mich interessiert, ist das gedankliche Gut, das sich hier offenbart.
kultur.west: Was die Einschätzung der literarischen Qualität des Romans betrifft, stimme ich Ihnen zu. Aber ist das nicht ein Problem für eine Adaption, auch wenn es Ihnen vornehmlich um Raspails Ideologie geht?
SCHMIDT-RAHMER: Wir nähern uns einem solchen Text mit dem analytischen Blick des Literaturwissenschaftlers Klaus Theweleit. Der hat in seiner Abhandlung »Männerphantasien« die rechtsnationale, faschistische Literatur der 20er Jahre auf die Couch gelegt und so gesellschaftlich Unterbewusstes freigelegt, das erstaunliche Parallelen zu heute aufweist.
kultur.west: Was offenbart sich auf dieser Couch?
SCHMIDT-RAHMER: Da versteckt sich Jean Raspail nicht. Diese vielleicht auch unfreiwillige Selbstentblößung spült Dinge an die Oberfläche, die extrem aufschlussreich sind: Angst vor dem Verlust der Männlichkeit, Angst vor der Liberalisierung, der Verwässerung des Nationalen, vor der gesamten emanzipatorischen Moderne überhaupt, Sehnsucht nach einem Paradies, in dem Männer noch Kämpfer waren. Am Ende des Romans spielt der Kampf gegen das Außen, die vermeintliche Einwandererflut, kaum noch eine Rolle. Es wird vielmehr ein innergesellschaftlicher Kampf ausgefochten. Nach dem Motto: Der eigentliche Feind steht immer hinter den eigenen Linien. Der Befund auf unserer Couch würde also lauten: in wie weit ist rechtsautoritäres Denken überhaupt politisch? Geht es bei Denkern dieser Couleur letzten Endes nicht um eine Ästhetik der Wirklichkeit statt um eine Befragung von gesellschaftlichen Phänomenen?
kultur.west: Ist die Ideologie der Täter also weitgehend konstruiert?
SCHMIDT-RAHMER: Betrachtet man einen rechten Terrorakt wie den Amoklauf in Neuseeland vor diesem Hintergrund zeigt sich genau dies. Die Begründungen für rechtsextreme Gewalt erweisen sich als pop-artige Kitsch-Prosa, zusammengeklaubt aus Games und Internet. Der Feind, sei es nun der Islam oder eine ‚linksgrün versiffte Gesellschaft‘, ist letzten Endes zufällig, entscheidend ist nur, dass eine Kohorte männlicher Körper zur Waffe greift und sich in einem Akt der Selbststilisierung tötend bewährt.
kultur.west: Wie sollte das Theater auf diese Beobachtungen reagieren?
SCHMIDT-RAHMER: Eine Schlussfolgerung wäre, dass die ganze Hysterie um die sogenannte Flüchtlingskrise eine Chimäre ist. Die Angst, die momentan die politische Diskussion so aufheizt, steht in keinem Verhältnis zur Wirklichkeit. Raspails Befund, dass die westlichen Gesellschaften nicht mehr wehrhaft sind und vom »Virus unmännlichen Mitleids zerfressen wurden«, ist objektiv betrachtet kompletter Blödsinn. Wir leben in einer hochaggressiven Gesellschaft, die allerdings ihre Gewalt an die Grenzen Europas outgesourct hat und ihre Macht ökonomisch durchsetzt, weniger kriegerisch. Eine Adaption des Romans, macht diese Widersprüche deutlich. Und sie kann vielleicht helfen, die Mechanismen der Angstproduktion freizulegen, um sich so von der Kontaminierung durch eben diese produzierte Angst zu befreien.
kultur.west: Mit Inszenierungen wie »Volksverräter!!« vor knapp zwei Jahren in Bochum oder »Das Heerlager der Heiligen« reagieren Sie sehr direkt auf gesellschaftliche Entwicklungen. Sind Sie dadurch schon einmal in den Fokus von AfD-Politikern geraten, die versuchen, Druck auf das Theater auszuüben?
SCHMIDT-RAHMER: Ich habe diesen Druck bisher noch nicht am eigenen Leib gespürt. Die Aufführungen von »Volksverräter!!« sind weder in Bochum noch in Berlin von rechten bzw. identitären Gruppen gestört worden. Und es hat sich auch kein Politiker über den Abend beschwert. Ich muss aber auch sagen, dass ich vor dieser Art von Widerstand keine Angst habe.
kultur.west: Warum nicht?
SCHMIDT-RAHMER: Wenn Theatermacher hingehen und eine bestimmte Gesinnung predigen, ist das für mich kein politisches Theater. Damit produziert man auf der einen Seite die typischen Empörungsreflexe, etwa von Seiten der AfD, und auf der anderen Seite einverständnisseelige Betrachter, die sich gegenseitig auf die Schulter klopfen. Ich möchte vielmehr Widersprüche so weit zuspitzen, dass das Publikum gezwungen ist, sich selber zu positionieren. Sollten Rechte trotzdem versuchen, Einfluss zu nehmen, würde ich – wenn es nicht gerade um Rumschreierei oder Baseballschläger geht –zum Gespräch einladen. Man könnte zum Beispiel darüber reden, was es heißt, wenn rechtsautoritäre Politiker Inszenierungen fordern, die ›zu einer positiven Identifikation mit diesem Land einladen‹, wie es in Sachsen-Anhalt geschehen ist. Man könnte dann den deutschen Theaterkanon dahingehend befragen, wo der abdeckt, was die sich ausmalen. Und ich denke, es würde sich sehr schnell herausstellen, dass da eine Vorstellung vom eigenen kulturellen Erbe vorherrscht, die genauso irreal ist, wie Raspails Obsession mit der Auslöschung des Eigenen. Rechtes Denken befasst sich eben sehr wenig mit der Wirklichkeit. Rechtes Denken Albträume.
4. Mai (Premiere), 5. und 6. Mai 2019, Ruhrfestspielhaus Recklinghausen