Um Wes Anderson zu verstehen – richtig, besser oder überhaupt zu verstehen, sollte man viel ins Kino gegangen sein oder vor dem Fernseher gesessen haben. Auch ohne diese ‚Vorbildung’ machen seine Filme – die »Royal Tenenbaums«, »Moonrise Kingdom« etwa, »Grand Budapest Hotel« oder »Isle of Dogs« – eine Menge intelligent gewitzten Spaß, aber es entgeht einiges an Mehrwert und Überschuss.
Der exzentrische, skurrile, kindliche Außenseiter, der Schlemihl und Sonderfall ist sein Held / seine Heldin in der Ein- oder Mehrzahl. Vermutlich ist der 1969 geborene Filmemacher, längst eine kultische Größe von Einfluss und Eigensinn, selbst so einer: gebürtiger Texaner wie ein anderer großer sonderlicher Künstler und Weltenfinder, Robert Wilson.
Wes Anderson ist ein Regisseur des Retro-Looks, mit dem der ewig jungenhafte Nerd sich aber nach vorn und voraus bewegt: nicht bloß nostalgisch (und immer auch melancholisch), sondern perspektivisch. »Asteroid City« firmiert als Science-Fiction-Film, der das Genre bis zu seinen Ursprüngen rückverfolgt und neu konstruiert. Die Nachkriegszeit und die fünfziger Jahre sind für ihn ein kultureller Gründungsmythos und Realität. Er nimmt die tatsächliche Behauptung einer angeblichen Ufo-Landung 1947 in New Mexico als Nukleus, um über die Idee von »Close Encounters of the Third Art« (wie Steven Spielbergs Film von 1977 heißt) zu fabulieren.
Anderson tut das, wie gewohnt, mit seiner unabhängigen Film-Familie, zu der Tilda Swinton, Jason Schwartzman und Jeff Goldblum gehören und als neue Mitglieder hier u.a. William Dafoe, Matt Dillon, Tom Hanks, Edward Norton und Scarlett Johansson.
Blick zu den Sternen
Irgendwo im Innern des USA, einer Einöde mit einem mehrtausendjährigen Kraterloch, einem Diner und einer Straßenkreuzung, befindet sich dieses Asteroid City. Gleichsam ein suggestiver Ort, an dem einige Menschen und Familien mit besonderen Kinder zusammentreffen, die den Blick erheben, zu den Sternen (»star gazing«), in die Ferne und ins Weite schweifen, in sich das All spüren. Woodrow (Jake Ryan) gehört zu den »brainiacs« – hierzulande, in einer bösen Zeit, sprach man abschätzig und ausgrenzend von Intelligenzbestien. Aber es sind vielmehr Wesen von höherer Natur. Die Besucher beziehen wabenartige Zimmer mit Ausguck wie ein Observatorium der provisorischen Art. Strandbuden im Wüstenmeer in Erwartung einer heimeligen Begegnung der dritten Art.
Andersons Geschichte spielt mit den Elementen der Populär- und Massenkultur, die er als Medienphänomen verinnerlicht hat und durchmustert und die er mit einer Fülle von Verweisen, Referenzen, Zitaten, Verknüpfungen, Exkursen und Detailwissen ausstattet. Wie eine Puppe in der Puppe oder wie eine Bühne, hinter der sich eine weitere Bühne und noch eine usw. auftut. Spiegeltrick-Verfahren, Staffelung ins Unendliche, das in ausgebleichten bonbonbunten Farben blüht.
Unbekannte Fernen, darum geht es, und wie Furcht und Schrecken vor dem »Krieg der Welten« und Aliens (womit das Genre damals gespielt hat und da hinein auch die Angst vor dem Atom und vor den Kommunisten projiziert hat) schwinden können. Denn die größte Unbekannte ist das Ich, für die Anderen und für einen jeden selbst. Darin liegt auch ein gewisser Trost.
»Asteroid City«, Regie: Wes Anderson, USA 2022, 105 Min., Start: 15. Juni