»Die Welt ist verrutscht!« flucht der kroatische Schrotthändler Kovac gern, dessen Werkstatt sich gegenüber jener Berliner Galerie befindet, in der Paul Wendlandt-Kück vergeblich auf Kunden wartet. Wahrscheinlich hat Kovac die Wörter verwechselt und meint »verrückt« – egal, verrutscht trifft die Sache ganz gut. Nicht nur die Welt, Pauls ganzes Leben verrutscht, als er zurück in die Heimat muss, nach Worpswede. Sein Elternhaus droht im Teufelsmoor zu versinken, gemeinsam mit den Skulpturen seines Großvaters, den sie den »Rodin des Nordens« nannten, dem eingefrorenen Stück Butterkuchen, das Willy Brandt einst angebissen haben soll, und dem liebenswerten Dorftrottel »Nullkück«, der als einziger der Familie dageblieben ist. Aber je mehr am Haus gebuddelt wird, um den Grundbruch zu verhindern, desto mehr sieht sich Paul seiner Vergangenheit ausgesetzt. Wer ist nun eigentlich sein Vater? Und wurde die schöne Kommunistin Marie, die angeblich die Gestapo abgeholt haben soll, vielleicht doch heimlich im Moor versenkt? Das sind so Fragen, die sich Paul auf seinem ungewollten Heimaturlaub stellen. Und warum wurde eine Statue des NS-Bauernführers auf dem Grundstück vergraben?
»Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel« ist der erste Roman von Moritz Rinke, der selbst aus Worpswede stammt und bisher Kurzgeschichten und Theaterstücke schrieb. Er erfindet hübsch-verschrobene Charaktere, springt durch die Jahrzehnte und entwirft ein Gesellschafts-Puzzle über diese doch merkwürdige Künstlerkolonie. Viele der angerissenen Handlungsstränge hatte man, trotz der rund 500 Seiten, gern noch länger verfolgt. Erinnert fühlt man sich bei der Lektüre an Giovannino Guareschi, den Erfinder von Don Camillo und Peppone. Immerhin: Im Roman heißt das örtliche Bordell »Don-Camillo-Club«. | VKB
Moritz Rinke: »Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel«, Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010, 496 S., 19,95 €