Keine »Großen Geister« mit wuchtigen Wülsten. Nirgends nackte Frauen, die sich verdreht, verzerrt oder plattgedrückt auf Tischen krümmen. Solche Paradestücke fehlen in Bonn. Die große Thomas-Schütte-Schau in der Bundeskunsthalle lässt sie weg – auf Wunsch des Künstlers, der nicht ständig mit seinen Publikumslieblingen hausieren gehen will. Und auch, um nicht abzulenken vom eigentlichen Schwerpunkt der Ausstellung: Zu allererst will sie Schüttes Umgang mit der Architektur nachgehen.
Ein guter Vorsatz. Zum einen, weil ein bloßer Überblick kaum Neues böte. Ist doch der durch drei documenta-Teilnahmen und einen Goldenen Löwen aus Venedig geadelte Künstler ziemlich präsent im hiesigen Ausstellungsgeschehen. Letzten Sommer erst schaute das Münchner Haus der Kunst über das Schaffen des 55-Jährigen.
Zum anderen erscheint der thematische Fokus sinnvoll, weil er sich auf einen Bereich im Œuvre richtet, der seit rund 30 Jahren eine entscheidende Rolle für den Bildhauer spielt. Studios, Wohn- und Atelierhäuser, Tore, Türme, Bäder, Brunnen und Berge mit Tunneln hat er entworfen und damit gerade in jüngster Zeit verstärkt Aufmerksamkeit geweckt – nicht zuletzt wohl durch immer größere Dimensionen, zu denen sich Schütte in seinen architektonischen Entwürfen durchringt.
Zwei erst kürzlich entstandene begehbare Exemplare rückt die Ausstellung ins Zentrum: Das stählerne »One Man House I« und Schüttes »Ferienhaus für Terroristen«, eine vier Meter hohe Holzkonstruktion. Bunte, transparente Stoffe bilden ihre Außenhaut und sorgen im Inneren für viel freundlich-farbiges Licht. Alles scheint leicht, offen, unbeschwert.
In der Schau werden die Eins-zu-eins-Bauten flankiert von Zeichnungen und kleineren architektonischen Modellen. Auch schleicht sich die ein’ oder andere Figur in die Hallen – ein bisschen belebendes Beiwerk wirkt erfrischend. Zumal statt der alten Bekannten ziemlich neue Produktionen ausgewählt wurden: Ein paar überlebensgroße Keramikhunde etwa, oder der fast sechs Meter lange »Mann im Matsch« aus Gips und Styropor – Prototyp einer großen Außenskulptur für Oldenburg.
Die Genese solch gewaltiger Werke zieht sich meist über viele Jahre hin. Oft erwachsen aus kleinen Fingerbasteleien, nehmen die figuralen Einfälle mit der Zeit festere, monumentalere Formen an. So brachte gute Laune, die ihm die Vorbereitungen zur Bonner Schau bescherte, Schütte jüngst dazu, vor zehn Jahren gebastelte Weihnachtsengelchen noch einmal in die Hand zu nehmen. Er trug sie in die Metallwerkstatt, wo sich daraus dreieinhalb Meter messende Aluwesen entwickelten.
Nicht anders funktioniert die Annährung bei den Architekturen. Mit der Sicherheit und dem Vertrauen in den Entwurf wachsen auch die Formate. In der Bundeskunsthalle deuten sich solche Prozesse an. Klar macht die Ausstellung dort auch, welch überraschend hoher Stellenwert der Idee des Gebauten im Denken des Künstlers seit Jahrzehnten zukommt und was er auf diesem Gebiet alles zu Stande gebracht hat.
Sicher habe Schütte mehr gebaut als viele Architekten, vermutet Kurator Rainald Schumacher. Trotzdem bleibt er natürlich Bildender Künstler. Denn es geht ihm ganz bestimmt nicht zuerst um das Gebäude. Viel eher sind seine »Bauwerke« als Modell gewordene Kommentare zu verstehen, die den Blick auf die gebaute Welt schärfen. | STST
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. 15. Juli bis 1. Nov. 2010. Tel.: 0228/9171 200; www.bundeskunsthalle.de