TEXT ANDREAS WILINK
Peter Miklusz lacht viel. Auch, als er anfangs eine Chaplin-Anekdote erzählt, mit der er charmant-ironisch die Notwendigkeit kreativer Allmachtsfantasie belegt. Der spätere Tramp habe sich, als er in den USA ankam und sich in Hollywood bewarb, einem der Kino-Mogule entwaffnend präpotent angepriesen: »Ich mache es auch nicht schlechter, als die anderen«. Will heißen, er, Peter Miklusz, ist als Schauspieler auch nicht von schlechten Eltern. Würde auch keiner sagen.
Miklusz empfindet sich als jemand, auf den Andere krass reagieren: »Entweder mögen oder nicht mögen, nichts dazwischen. Kein Arrangement.« Ihm ist das recht. Ein Kantinen-Gerücht weiß, dass maßgebliche Menschen an der Wiener Burg ihn als »Wahnsinnigen« bezeichneten und es bewundernd meinten. Er nehme es »als Kompliment«. Was könnte gemeint sein? Vielleicht, »dass ich direkt, kämpferisch, offen bin und auf volles Risiko gehe. Ich mag ja Schreihälse, Peymann ist so einer. Leander Haußmann, dem ich sehr viel zu verdanken habe und der bei mir viel gesteuert hat, ist auch ein Wahnsinniger.«
Dass ein 33-Jähriger von einer ARD-Fernsehserie aus den 60er/70er Jahren schwärmt, ist ungewöhnlich: In »Die Unverbesserlichen« gab es reale Probleme mit Arbeit, Rente, Wohnung, Kindern, gespielt von Inge Meysel, Agnes Windeck und Joseph Offenbach, den er sowieso bewundere. Wie auch Emil Jannings. Käuze, Sonderlinge, Extremisten. Den Deutschen, so Miklusz, sei das »Gefühl für Einfachheit« abhanden gekommen. Bei den unverbesserlichen Scholzens ließ sich das noch im (TV-)Alltag erleben. Miklusz ärgert sich gleichermaßen, dass man nicht »wagemutiger, experimenteller« sei und andererseits der Mut zum »Einfachen« fehle – im Theater, bei Fernsehen und Film.
Bei zwei Filmen, einem Kurz- und dem Langfilm »Publicum«, hat er Regie geführt. Der zwölfminütige »Maulwurfkuchen« liegt ihm sehr am Herzen. In der Geschichte (benannt nach der bei Kindern beliebten Schoko-Süßigkeit) verarbeitet er den Tod zweier Verwandter, eines ertrunkenen Kindes und dessen drei Jahre später bei einem Helikopter-Absturz in Berlin gestorbenen Vaters und verbindet das Unglück mit Saint-Exupérys Schicksal, dem »Kleinen Prinzen« sowie einem Friedhofsgärtner zu einem persönlichen Requiem-Lehrstück.
Miklusz ist nicht der geborene Prinz. Hätte er die Wahl, würde er (später mal) lieber Kleists Dorfrichter Adam sein, als jetzt der Prinz von Homburg. Eher Mephisto als Faust. Gern Richard III. Vermutlich lieber Sekretarius Wurm als Ferdinand in Schillers »Kabale«. Und wenn, dann Büchners leibvoller Danton und nicht der schmallippige Robespierre. Woyzeck war er schon – und wie.
Während seiner paar Jahre an Claus Peymanns Berliner Ensemble hatte Miklusz auch mit Haußmann gearbeitet. Ihr »Woyzeck« war eine Wucht. In die ruppige, marschmäßige, brutal-vitale Frontal-Soldaten-Fantasie, die in manchem Büchners Entmächtigungs-Drama überstieg, tanzt, taumelt und killt sich sein vom Drill durchdrehender Franz Woyzeck bis in die Eskalation ordinär unter Kameraden.
Für kurze Zeit war der in Braunschweig geborene Miklusz Fremdenlegionär. Wie das? Die Frage komme immer, lacht er, das sei zu »ungewöhnlich für einen Künstler«. Nachdem Schauspielschulen ihn »dermaßen abgelehnt« hatten, glaubten er und ein Kumpel »ganz naiv«, als Söldner die Welt sehen zu können, in Guyana oder Nordafrika. Da seien sie eben nach Aubagne bei Marseille gefahren, mussten in der Kaserne den Pass abgeben und bekamen eine neue Identität. Für eine Weile hieß Peter Miklusz Frank Mosner. Nach ein paar Wochen wurde er ausgemustert, weil er in den Tests schon physisch die Anforderungen nicht erfüllte.
Als Schauspiel-Student an der profilierten Berliner Ernst-Busch-Kunst-Kaserne war er besser aufgehoben und wurde im Anschluss 2011 ans Wiener Burgtheater engagiert, wo er mit Stefan Bachmann zusammentraf, der ihn nun an sein Schauspiel Köln holte. Miklusz debütiert als »Hamlet«.
Ich schlage ihm vor, unsere Lieblingssätze aus »Hamlet« auszutauschen. Meiner heißt: »So macht Bewusstsein Feige aus uns allen«, weil es entlastet, zu wissen, dass Geist und Tat auseinanderstreben. In Köln lautet die Heiner-Müller-Übersetzung: »So macht Bewusstsein alle uns zum Feigling«. Ja, das Zitat schätze er auch. Miklusz fragt, ob er einen Satz von Ophelia nennen dürfe… »Wir wissen, wer wir sind, aber wir wissen nicht, was aus uns werden kann.« Das habe für ihn »großen Wahrheitsgehalt«, auch weil es »die Unberechenbarkeit des Lebens« beinhalte. Dann nennt er noch eine Passage aus dem berühmten »Sein oder Nichtsein«-Monolog über das Sterben, Schlafen »und was für Träume aufsteigen im Todesschlaf«. Darin werde für ihn Angst fassbar: »Wenn wir im realen Leben träumen, wissen wir, dass wir daraus ausbrechen können. Aber was ist, wenn wir tot sind…?«
Das Stück verfolgt ihn. Oder verfolgt er das Stück? Er stimmt zu: »Ja, alle drei Jahre, 2010, 2013 und 2016. Danach wird erst mal Pause sein.« Bis Polonius oder Claudius altersgerecht dran sein könnten. Miklusz war in Berlin schon Horatio bei Andreas Kriegenburg und Rosenkrantz bei Leander Haußmann.
Nun die Titelfigur. »Ich hätte nie gedacht, dass ich für Hamlet in Frage komme, dass Regisseure mich darin sehen würden«. Er stünde doch eher für »die niederen Figuren, die aus dem unterschichtigen Milieu – Woyzeck oder der Mörder Bruno in Hauptmanns ›Ratten‹«. Und jetzt diese edle, »sehr intelligente Figur«. Er habe bei Bachmann extra nachgefragt: »Bist Du sicher?« Auch weil er wisse, dass man hierzulande gern »schubladenmäßig« und »aalglatt« besetze. Das nervt ihn total. »Aber man hat ja keine Macht«, lacht er in aller Breite. Als würden die Leute nicht kapieren, wenn man ihnen einen anderen Typ zeige. Er zieht den Vergleich zu Steve Buscemi, der immer die schrägen Charaktere spielen musste, bis er in der amerikanischen TV-Serie »Boardwalk Empire« ein schlauer, skrupelloser Stadtkämmerer sein durfte.
Das hat mit Selbst- und Fremdwahrnehmungen zu tun und dass man »nicht Herr seiner eigenen Wirkung« sei. Wirkungslust und Wirkungsmacht gehören zu dem Beruf. Auch das heilsame Unterscheiden zwischen dem, was Miklusz ist und was Miklusz spielt. Er habe, erzählt er, einmal seinen Sohn in der Kita abgeholt, wo die Eltern sich in den Kreis setzen und ein Lied mitsingen sollten. Da sei er total rot geworden. Komisch, habe ein Kollege gesagt: »Abends beim Woyzeck macht er dir nichts aus, dich auszuziehen, wenn 700 Leute zusehen.«
Anti-Programm zum Hamlet ist Miklusz überhaupt nicht. Das sieht sein Regisseur richtig – das Abwerfen von Hüllen der Konvention kann Miklusz: Wenn er als Teil von Bachmanns schlank eleganter, klug entmystifizierender, höfischer »Hamlet«–Choreografie auf dem Drehbühne-Parkett vor einem rauschhaften Vorhang im Halbrund weiche Moonwalk-Schritte geht, halb Pastorensohn, halb blondierter Couture-Punk in der traurigen Wirklichkeit des Irrsinns eines Rainald Goetz. Miklusz spielt tatsächlich den Riss in der Figur – unheimlich, ruhig. Als seien die Seiten im »Buch seines Gehirns« in Unordnung geraten. Ein unverkopfter, hirnvoller, in sich gefasster Exzentriker, der aus dem Physiologischen (»der Quintessenz von Staub«) schöpft, daran leidet und zugrunde geht.
»Hamlet« ist Radikalisierung und Reflexion, deren wechselseitiges Sich-Bedingen, Verhindern und Herausfordern. Miklusz: »Alles was Hamlet anrichtet, diese Tabula rasa, geschieht aus dem Affekt heraus. Ich glaube, dass Hamlet, der am meisten davor Angst hat, am Ende glücklich in den Tod geht. Da ist die Angst weg.«