// Drei Premieren an drei Tagen: Der Saisonstart an den Opernhäusern von Düsseldorf/Duisburg und Köln wollte ein Dreiklang sein, ein Fanal des Neuanfangs. Die dichte Abfolge war kein Zufall, sondern Kalkül der beiden neuen Intendanten, die sich auch künftig absprechen werden. Die kollegiale Nähe drängt zum konfrontierenden Vergleich – der fällt eindeutig aus: Christoph Meyer gelingt mit seinem Doppel aus Brittens »Peter Grimes« am Düsseldorfer und mit Strauss’ »Salome« am Duisburger Rheinoper-Haus eine Zäsur gegenüber der Ära des Vorgängers Tobias Richter, während sich in Köln Uwe Eric Laufenberg keinen Dienst getan hat, mit Wagners »Meistersingern« in Eigenregie etwas beweisen zu wollen.
Brittens Außenseiterdrama inszeniert Immo Karaman als düster wogende Choreografie der Chormassen, gegen die der mysteriös bleibende Einzelgänger Peter Grimes keine Chance hat. Im Stil des expressionistischen deutschen Horrorfilms bekommen die hohläugigen, bleichgesichtigen Figuren holzschnittartige Züge und rücken das Geschehen in die Nähe des Albtraums: Szenen aus dem beschädigten Leben. Kaspar Zwimpfers metaphorisch monumentaler Bühnenraum suggeriert Bedrückung: eine bleimetallene Wellenlandschaft, die sich aus blinden Fenstern, Türen und Klappen formt, in der es kein Oben und Unten gibt, sich Falltüren auftun und Leitern ins Nichts ragen. Die Frage nach des Fischer Grimes’ Schuld am Tod seiner Lehrjungen bleibt bewusst unbeantwortet – dem Verdacht sexuellen Übergriffs wird nicht nachgegangen. Ein ästhetisch gediegener Abend der starken (mitunter statischen) Bilder, der auch musikalisch glückt. Roberto Saccà ist ein berührend lyrischer Grimes, der seine mörderische Partie mit Italianitá veredelt. Alle weiteren Solisten und der treffliche Chor singen auf hohem Niveau. Auch wenn GMD Axel Kober ein paar Schnitzer unterlaufen, ist eine geschlossene Leistung zu loben.
Auch in der »Salome« lässt sich ein Missbrauchsfall freilegen, wenn man es denn so sehen will. Regisseurin Tatjana Gürbaca verstellt dieses Thema gar die Sicht auf alles andere in der musikdramatischen Verar-beitung von Oscar Wildes blumig-blutiger Fin de Siècle-Vorlage. Die Konwitschny-Schülerin und Radikal-Vertreterin des dekonstruierenden Regietheaters veranstaltet einen sexuellen Missbrauchs-Thriller im Soap-Opera-Format. Das weibliche Opfer meuchelt alles nieder; der Kopf des Propheten (eine Art Untermieter aus der Kellerwohnung, dessen mahnende Stimme sich über die Heizungsrohre verströmt) wird als kurioses Bündel hoch gereicht. Die verwahrloste Gesellschaft der Gegenwart, zur Sippe gesellen sich wie wild mit Handy telefonierende Missions-Brüder, ist für diese Stück-Vergewaltigung in einen engen, floral tapezierten Wohnraum (Klaus Grünberg) gesperrt.
Dem heißen Herz des Einakters, dem berüchtigten Schleiertanz, verweigert Gürbaca sich in eisiger Konsequenz. Statt textilfrei, wird ein Theater auf dem Theater gespielt. Hinter einer Tagesdecke, die als (Brecht?)-Vorhang fungiert, stellen Bedienstete die düstere Familiensaga in lebenden Bildern nach. Papa Herodes, der gierig die Videokamera in Anschlag bringt, muss sich ertappt fühlen. Salome enthüllt nicht sich, sondern das Inzestdrama. Worauf Amoklauf inklusive Selbstauslöschung folgen. Das hat eine gewisse Logik – und wurde genau gearbeitet, dennoch läuft der Abend seltsam ins Leere und lässt einen kalt. Die szenisch ausgebremste Sinnlichkeit der Musik steht für sich, zumal Dirigent Michael Boder die Sache allzu gradlinig angeht und Morenike Fadayomi als Salome eher optisch überzeugt und stimmlich einiges schuldig bleibt. Gleichwohl, Mut und Risikobereitschaft sind der Rheinoper hier, und bei Britten sowieso, zu attestieren.
Davon kann in Köln nicht die Rede sein. Wagners historisch kontaminierte »Meistersinger« setzt man nicht ohne programmatische Absicht auf den Spielplan und schon gar nicht an den Anfang einer Intendanz. Die Aufführung indes laviert sich kompromisslerisch durch die sechs Stunden und gibt dem Kölner Selbst- und Wir-Gefühl kräftig Zucker. Nachdem GMD Markus Stenz mit dem wunderbar aufgelegten Gürzenich-Orches-ter gemessen feierlich die Ouvertüre beendet hat, öffnet sich das Panorama auf ein (neo-)gotisches Bühnenbild und opulente Kostüme der Dürer-Zeit (Tobias Hoheisel). Laufenberg hangelt sich brav am Text entlang und beweist solides Regiehandwerk. Auch im zweiten Akt verweilt er bei seiner naiven Erzählweise, wobei die Zeit ins Biedermeier springt, wo keck die Krinoline wippt und Hans Sachs (sonor-nobel: Robert Holl) einen mickrigen Fliederbusch beschnüffelt. Die nächtliche Keilerei der Prügelfuge verschärft sich zwar zur Revolution von 1848 (damit der Barrikadenkämpfer Wagner zu Ehren kommt), doch die Flammen der Revolte sind nicht mehr als ein plakatives Strohfeuer. Im dritten Akt schließlich werden die Trümmer- und Wiederaufbaujahre des Nachkriegs erreicht. Im Dialog zwischen Sachs und Beckmesser (vorzüglich und darstellerisch fulminant: Johannes Martin Kränzle) gelingt immerhin ein psychologisches Kammerspiel, bevor unsere heutige konsumorientierte Event- und Amüsierlaune durchschlägt.
Die ebenso prekäre wie simple Gleichung lautet: zerbombtes Köln = Nürnberger Parteitagsstadt, Festwiese = Offenbachplatz. Für diese Parallelmontage flimmern Videos, wehen Hakenkreuzfahnen, paradieren Nazigrößen und spielt man arg-arglos KZ-Dokumentarmaterial ab. Eine Schrecksekunde: »Habt acht!«. Die Bilder prasseln plump, nichts wird historisch erhellt, sondern schlichtweg behauptet. Bieder, anbiedernd oder lauthals provokant. Es ist ein Jammer, zumal die musikalische Seite sich hören lässt, von einigen Balance-Problemen abgesehen. »Deutsche Meister«-schaft, wie sie hier von Beuys bis Merkel und mit Blick auf Bayreuth bloß abgespult wird, müsste anders aussehen. //