»Gute Mütter, alleinerziehende Mütter, penetrierende Mütter, schlechte Mütter… Mütter, die sich an schlimme Dinge erinnern, geschiedene Mütter, Mütter, die Fotos ihrer Kinder auf Social Media posten, Mütter, die ihre Haut aufhellen…« – sie alle werden besungen, in einer Hymne, gleich zu Beginn, wie in einer Litanei wird die Vielfalt in der Masse gepriesen. Die in Israel aufgewachsene und in Köln lebende Choreografin Reut Shemesh hat mit Schauspieler*innen des Theaters Oberhausen ein Tanztheaterstück entwickelt, das Mütter in den Blick nimmt. »Bessere Mütter, müde Mütter, arme Mütter, traurige Mütter…«.
Es ist die ihre erste Choreografie für das Schauspielensemble eines Stadttheaters. Und es ist die erste Produktion, die auf der Probebühne im Oberhausener Gewerbegebiet im Stadtteil Buschhausen gezeigt wird. Ein schmuckloser Ort, ein passend neutraler, um über ein Thema zu sprechen, dass alle Schichten der Gesellschaft betrifft. Ausbuchstabiert werden sie, die: »B-A-D-M-O-T-H-E-R-S«, bis sie selbst in silber- und kupferfarbenen Glanzanzügen überm Schwangerschaftsbauch auf die Bühne treten. Rhythmisch stampfend erarbeiten sie sich ihren Platz. In mechanischen, abgehackten Bewegungen bauen sie Hormonstress ab, motivieren sich im Gleichklang hüpfend und klatschend.
Jede Bewegung ist vielmehr ein sozialer Akt als ein individueller. Reut Shemesh, aktuell auch »Factory Artist« im Tanzhaus NRW, befragt in ihren Arbeiten immer wieder den Menschen in seinen gesellschaftlichen Strukturen. In »Atara« (2019) ließ sie – die selbst in säkular-orthodoxen Familienverhältnissen aufwuchs – Klischees, Vorurteile und Lebensweisen des orthodoxen Lebens tanzen. Im Duett »Leviah« (2015) reflektierte sie die emotionalen und körperlichen Bedrängnisse aus ihrer Zeit beim israelischen Militär. In die Welt der Gardetänzerinnen arbeitete sich Shemesh auch schon ein, bis tief hinter die funkelnd-strahlende Maskerade. Amüsierendes und ein bedrohliches Unbehagen treffen da immer wieder aufeinander. Das ist in »Bad Mothers« nicht anders. Wenn die von Kostümbildnerin Andrea Barba in Tennissocken und weißen Kurzhosen gesteckten, nicht-schwangeren Performer*innen chorisch die Mütter anrufen, mag das noch komisch wirken. Wenn ihre Laute dann aber immer schneller, immer dringlicher rausgedrückt werden, wenn sie ihre Köpfe und Oberkörper dazu im Takt schütteln, dann wird Gesellschaftsdruck körperlich spürbar.
Die Mütter atmen, stöhnen, schreien, sie formieren sich im Gleichschritt, feuern sich an. Eine kurze Begegnung zwischen Frau und Mann mutet beinahe zärtlich an, sie tragen sich abwechselnd, es endet dann aber doch in einer bedrängenden, gewaltvollen Geste. Die Wut der Mütter. Shemesh, selbst Mutter eines zweijährigen Sohnes, ist unerbittlich: Mutterschaft ist keine sinnstiftende Erfüllung, es ist eine Rolle, die ausgespielt werden muss, eine körperliche Anstrengung, ein sozialer Kraftakt.
Auch die Kinder sind keine Augenweide. Über ihren weiß bekleideten Tennis-Körpern tragen die Darstellenden jetzt übermenschlich große Masken, die mit ihren Falten mal an knautschige Babygesichter, mal an gealterte Fratzen erinnern. Rot glühend wie im Dauerfieber. Sinnbilder einer Lebensaufgabe. Eine Mutter saß gerade noch rauchend an der Rampe. Nun trägt sie ihr Riesenbaby auf dem Arm, schuckelt es beruhigend. Aber was für ein beunruhigendes Bild das ist. Reut Shemesh ist keine Regisseurin der glanzvollen Oberflächen. Sie gräbt sich ein in ihre Themen, seziert Schichten, formuliert Ambivalenzen. Jedem Lächeln folgt ein Schaudern.
2., 7., 8., 10. und 13. April
theater-oberhausen.de
reutshemesh.com