»Diese Musik erinnerte an geschmolzene Stadthallen, um bei Schopenhauer zu bleiben«, schrieb Max Goldt über die Songs der 70er Jahre in »Früher war alles gelb«. Gleichermaßen charmant wie deutlich richtet er in diesem Aperçu sowohl die ausufernde Formlosigkeit des Progressive Rock wie die Bautypologie der Stadthalle hin.
Die Stadthalle stand für demokratischen Aufbruch und Fortschritt in den 60er und 70er Jahren. Auch kleinen und mittelgroßen Städten sollten durch sie mit Sportveranstaltungen, Theater, Konzerten, Kongressen und Messen versorgt werden. Für die Multifunktionalität erfanden die Architekt*innen anspruchsvolle Lösungen: Flexible Raumkonzepte, verschiebbare Wände, komplexe hydraulische Systeme für Tribünen. Meist verpackt in die fortschrittlichste Architektur der Zeit: den Brutalismus. Der mittlerweile bröselnde Beton und das alles ein bisschen und nichts richtig Können der Stadthallen-Erbauer lässt sie heute ungeliebt dastehen. Oft sind ihre Akustik nicht gut genug für das Sinfonie-Konzert, ihre Technik nicht ausreichend für den Theaterabend und die Foyers nicht glamourös genug für das Galaevent.
Die historische Stadthalle in Wuppertal
Um nicht in diesen Topf geworfen zu werden, führt die Stadthalle Wuppertal ein »historische« im Namen. Im Jahr 1900 wurde der Neorenaissance-Bau auf dem Johannisberg eröffnet als Ausdruck von Stolz und Reichtum der Bürgerschaft des damals noch eigenständigen Elberfeld. Obwohl die Stadthalle den Zweiten Weltkrieg weitgehend unzerstört überstand, musste in den 50er Jahren die Innendekoration einem dezenteren Farbkonzept weichen. Der Zeitgeschmack wollte es so. Erst 1996 wurde die Halle restauriert und in den Originalzustand zurückversetzt. Den Vorwurf mittelmäßiger Akustik musste sich die historische Stadthalle Wuppertal nie machen lassen: Neben Concertgebouw Amsterdam, Wiener Musikverein und dem Konzerthaus Berlin gehört sie zu den Sälen mit der besten Akustik in Europa. Architektonisch ist der Entwurf des Stadtbauamtes ohnehin ein herausragendes Beispielen des Historismus in Deutschland.
Die Stadthalle in Bielefeld
90 Jahre nach der Wuppertaler wurde in Bielefeld der Bau des Hamburger Büros von Gerkan, Marg und Partner eröffnet. Lange war der Plan umstritten und noch bei der Eröffnung hielten die Gegner die Halle für zu groß und zu teuer. Das Gegenteil war der Fall: 2010 wurde die Erweiterung eröffnet. Doch warum muss diese Größe sich so unangenehm klobig an den Hauptbahnhof heranschieben? Und warum sieht diese Stadthalle in einer Stadt, die so gar nicht maritim ist, wie ein auf Grund gelaufener Dampfer aus, vor dem sich der Rasen albern zur Bugwelle beult? Eine Assoziation, die in etlichen Marketingtexten ins Positive gewendet anzutreffen ist. Auch die Künstlerin Isa Genzken stellte diese Fragen mit ihrer 1992 installierten Stahlskulptur, mit der sie der Stadthalle den »Spiegel« vorhält. So deutlich, dass die Architekten sie am liebsten gleich wieder hätten abbauen lassen. Vielleicht auch, weil ihnen zu diesem Zeitpunkt bereits bewusst war, dass der Entwurf nicht unbedingt zu den besten des ansonsten renommierten Büros gehörte. In einem Punkt irrt Goldt übrigens: Es war Schelling, der das Bild von der Architektur als gefrorene Musik prägte, nicht Schopenhauer.