Brigitte und Christoph Parade: Rathaus in Ahlen
Ahlen diskutiert über Architektur. Das ist erst einmal gut. Die Stadt denkt über den Abriss ihres Rathauses von 1974 nach, der Landschaftsverband Westfalen-Lippe dagegen will den Bau unter Denkmalschutz stellen. So lag die finale Entscheidung bei der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung und Ina Scharrenbach entschied dagegen. In ihrer Argumentation geht es nicht um architektonische Qualität, sondern um die bauliche Substanz: »Gegen die Eintragung des Objektes sprechen bauphysikalische, gebäudetechnische und funktionale Gründe: Die transluziden Fassaden des Rathauses und der Stadthalle haben bereits unmittelbar nach Fertigstellung erhebliche Mängel aufgewiesen.« Dass sich auf einen so schwerwiegenden Vorwurf umgehend der Architekt zu Wort meldet, hätte sie ahnen können. In einem offenen Brief schreibt Professor Christoph Parade: »Wäre die Fassade der Stadthalle und des Rathauses tatsächlich nach Fertigstellung fehlerhaft gewesen, wie Sie behaupten, frage ich mich, warum man unser Architekturbüro damals nicht darüber informiert hat.« Weder sei die gesetzliche Gewährleistung in Anspruch genommen worden, noch habe es seinerzeit einen entsprechenden Schriftverkehr mit seinem Büro gegeben. Und dann bügelt Parade die Behauptung, die Fassaden seien nicht auf den aktuellen bautechnischen Stand zu bringen mit dem unschlagbaren Argument ab, dass denkmalgerechte Sanierungen durchaus möglich seien, etwa am Dreischeiben-Haus oder am Mannesmann-Hochhaus in Düsseldorf.
Die Ministerin hatte gar keine andere Möglichkeit, als bautechnisch zu argumentieren, denn architektonisch ist das Ahlener Rathaus zweifellos stilbildend. Brigitte und Christoph Parade haben hier einen ganz neuen Typ von Verwaltungsbau erfunden, der weltweit für Aufmerksamkeit in Fachkreisen sorgte. Es entstand ein flexibel nutzbarer Bau für Kultur, Freizeit und Verwaltung, der mit offenen, fließenden Strukturen den demokratischen Zeitgeist widerspiegelte. Nicht zuletzt zeigt sich der innovative Ansatz an der barrierefreien Planung und dem Einsatz einer Wärmepumpe. 1974 eine revolutionäre Technologie.
Büro RKW: »Rathaus an der Volme« in Hagen
Vielleicht denken die Ahlener noch einmal nach und schauen sich zwischenzeitlich im nahen Hagen an, was herauskommen kann, wenn man vorschnell abreißt. Dort war das historistische Rathaus nach dem Krieg bis auf die Außenmauern und einen Turm zerstört. Wie vielerorts im Wirtschaftswunder-Taumel wurde nicht wiederaufgebaut, sondern die erhaltene Vorderfassade abgerissen. 1965 plante der Düsseldorfer Architekt Heinrich Rosskotten mit Edgar Tritthart und Egon Wiehl das neue Rathaus neben den Turm. An Stahlspangen aufgehängt schien ein massiver, fensterloser Betonquader über einem verglasten Eingangsbereich zu schweben. Der Bau könnte heute ein architekturtouristisches Highlight sein, um die Jahrtausendwende jedoch wollte sich Hagen unbedingt neu erfinden und glaubte an die Macht der Shoppingcenter. In der Zeit titelte Evelyn Finger im Jahr 2000: »Eine Stadt verkauft sich.« Das Rathaus wurde abgerissen, das Düsseldorfer Büro RKW plante an seiner Stelle die Volme-Galerie. Wie ein Geschwür klebt der in eitergelben Sandsteinplatten verpackte Bau nun an dem Rathausturm. Anstelle des Ratsaals lockt ein plump proportioniertes Glastonnengewölbe Konsumenten. Das neue Rathaus drängt sich auf zwei Baukörper verteilt an der Rückseite des Komplexes. Die Symbolhaftigkeit dieser Planung ist unübersehbar. Um dem Namen »Rathaus an der Volme« minimalen Gehalt zu geben, führt eine wirre Rampen- und Treppenanlage hinunter zum Fluss. Die kleine Plattform am Wasser ist ein Musterbeispiel für einen urbanen Un-Ort. Das Schlimmste aber ist, dass die Volme-Galerie mit ihrer belanglosen Kulissenhaftigkeit nur der Auftakt für weitere gesichtslose Shopping-Tempel war. Es muss noch viel Wasser die Volme herabfließen, bis Hagen sich von dieser Vernichtung urbanen Charakters erholen wird.