Der österreichische Architekt Adolf Loos hat 1908 seinen bahnbrechenden Aufsatz »Ornament und Verbrechen« geschrieben. Darin formulierte er eine bis heute gültige ästhetische Haltung, die nicht nur als Reaktion auf den damaligen Historismus und Jugendstil zu lesen ist. Sätze wie »Ornament ist vergeudete Arbeitskraft und dadurch vergeudete Gesundheit. So war es immer. Heute bedeutet es aber auch vergeudetes Material, und beides bedeutet vergeudetes Kapital« haben fast schon etwas Prophetisches.
1968 hatte es hingegen einen weiteren Österreicher gegeben, der sich vehement gegen diesen Aufsatz aussprach: Friedensreich Hundertwasser. »Los von Loos!« lautete seine Parole, die er 1985 dann in einem Gebäude in Wien materialisierte: Unter der Mitarbeit von Architekt Josef Krawina entstand hier wohl das einzige Gebäude überhaupt, in dem die Ideen Hundertwassers konsequent und in einem handwerklichen Sinne umgesetzt wurden.
Alles, was daraufhin folgte, entpuppte sich als pure Fassade. So wie das Ronald-McDonald-Haus im Essener Gruga-Park. Eine buntbemalte Kulisse mit kindlichem Öko-Touch, hinter der sich ein Innenleben verbirgt, das auf lieblose Weise aus industrieller Massenware zusammengezimmert ist. Noch schlimmer, vielleicht: Die kläglichen Versuche, die Hundertwasser’sche Ästhetik und Weltsicht im Innenraum zu simulieren. Wo in Wien noch alte Fenster und Türen aufgearbeitet und neu verbaut wurden, hat man in Essen – und bei allen anderen Hundertwasser-Bauten – nur noch Standardmaterial eingesetzt. In die Türrahmen wurden Ecken eingeklebt, die eine Individualität der Gestaltung suggerieren sollen. Die Fenster sind ein Sammelsurium aller Typen einer Serie. Und die Türklinken so verschieden, als hätte jemand Restbestände im Baumarkt aufgekauft. Die Idee, die Benutzer*innen durch Unregelmäßigkeiten zu einem größeren Bewusstsein für ihre Umgebung zu verführen – durch lustlose Billig-Materialien hat man sie hier ad absurdum geführt.
Man kann Hundertwassers poetisches Öko-Pathos interessant finden, wie manche Menschen auch Märchenschlosshaftigkeit mögen. Unerträglich wird beides aber durch offensichtliche Verlogenheit. Dass die Gebäude von Hundertwasser zumeist wie hübsche Fassaden, die vor lieblose Zweckbauten gepappt wurden, wirken, hat seine Ursache direkt im Entwurfsprozess: Der Österreicher war Maler. Er malte seine Häuser – irgendwelche Architekten mussten dann hinter die gemalte Kulisse noch ein Gebäude stellen.
In der Architektur hat das Falsche aber nichts zu suchen. Eine an ein Shoppingcenter geklebte Schlossfassade wie in Braunschweig wird kaum jemand ernsthaft als Architektur bezeichnen. Die Kulisse gehört nicht in die Stadt, sondern in den Film oder auf die Bühne – oder in den Vergnügungspark. Wenn das Phantasialand in Brühl etwa neue Themenwelten eröffnet, dann ist die Gaukelei der Fassaden so offensichtlich, dass es völlig akzeptabel ist. Der Vergnügungspark ist Architektur gewordene Weltflucht. Hier ist das Als-ob oberstes Prinzip. Und niemand kann daran Anstoß nehmen, dass eine Wildwasserbahn wie ein asiatischer Tempel aussieht oder die Achterbahn durch eine Goldgräberstadt des mittleren Westens rauscht. Wer in den Vergnügungspark geht, will für einen Tag belogen werden – und wenn das gut gemacht ist, macht es richtig Spaß.