Schön ist es, auf diesen Industriebrachen spazieren zu gehen. In den ausgedehnten Birkenwäldchen über verwitternde Bahnschwellen, um im wildwuchernden Dickicht verrostete Maschinen oder auf dem Zollverein-Gelände die Skulpturen von Ulrich Rückriem zu entdecken. Als die »Industriekultur« erfunden wurde, wurde auch die »Industrienatur« miterfunden. Der Landschaftspark in Duisburg, das Gelände rund um Zollverein und der Westpark in Bochum wurden zu verwunschenen Orten einer kaum eingehegten Natur. Dass das nicht für immer so bleiben konnte, war wohl jedem klar. Für die dauerhafte Belebung der Flächen braucht es mehr als die Erinnerung an die Schwerindustrie. Und so wird auf Zollverein und im Westpark gebaut. Für die Architekten ist das eine Herausforderung. Wie kann sich ein zeitgemäßer Entwurf neben den monumentalen und oftmals sakral aufgeladenen Hallen der industriellen Vergangenheit behaupten? Mit dezenter Zurückhaltung oder expressiver Modernität?
Kadawittfeld: Neubau für die RAG Stiftung auf Zollverein in Essen
Auf Zollverein in Essen sind durch den Welterbestatus Neubauten enge ästhetische Grenzen gesetzt. Insbesondere die Fassaden sind reglementiert: Plan und ohne Auskragungen müssen sie sein, um nicht das Gesamtbild der Zeche zu stören. Das Aachener Büro Kadawittfeld fand trotz der Einschränkungen beim Neubau für die RAG Stiftung und RAG AG genug Raum für Gestaltung. Der zweigeschossige Bau gliedert sich in einem offenen Winkel in die Topografie ein und bildet durch sein begehbares, begrüntes Dach und die Innenhöfe einen fließenden Übergang zwischen der bebauten Fläche und dem angrenzenden Wald. Der Grundriss bildet einen gut dimensionierten Platz aus, der eine klare Eingangssituation schafft. Die rostbraune Fassadenverkleidung zwischen den Fensterbändern, die durch flache Faltung dem Bau Struktur geben, nimmt den Backstein der Zeche auf. Schade nur, dass der ursprünglich angedachte Corten-Stahl für die Fassade nicht realisiert werden konnte, da er zur Korrosion der Aluminiumfenster geführt hätte.
Büro Archwerk: Neubau für die Kultur Ruhr GmbH in Bochum
Auf dem Gelände der Jahrhunderthalle in Bochum gönnte sich die Kultur Ruhr GmbH einen Neubau. Der Entwurf stammt vom Büro Archwerk, das vom lange an der Bochumer Fachhochschule lehrenden Professor Wolfgang Krenz geleitet wird. In der Projektbeschreibung führen die Architekten den »Genius loci« ins Feld, um dann das vielzitierte Wort von der Architektur als gefrorene Musik, das vermutlich von Friedrich Schelling geprägt wurde, lyrisch auszubreiten: »Vergleicht man die angewendete Architektursprache und ihre Gestaltungsprinzipien mit musikalischen Größen, so soll in den Räumlichkeiten sowohl der laute Bach, als auch der zarte Chopin und die ruppigen Rolling Stones zu hören sein.« Wenn hier Johann Sebastian gemeint ist, darf man fragen, warum der »laut« ist. Was die Mitarbeiter der Kultur Ruhr in ihren Büros hören, ist eigentlich auch egal, so lange die Wände gut schallisoliert sind. Aber vermutlich geht es in der Beschreibung auch eher um die äußere Erscheinung, jenen gedrungenen schwarzbraunen Riegel, dem man so sehr einen ordentlichen Dachabschluss wünschen würde oder wenigstens eine kleine, gut gemachte Auskragung über dem Eingang. Aber nein, ganz stumm und schwer liegt er da mit seinen unregelmäßig gesetzten bodentiefen Fenstern. Und so lange man auch auf dieses Muster schaut – eine Bach-Fuge kommt einem nicht in den Sinn, kein Chopin’sches Schwelgen und nicht einmal ein hingerotztes Gitarrenriff von Keith Richards.