TEXT: ULRICH DEUTER
Die Frage danach, wie total ein totalitäres System ist, ist die nach der Verantwortlichkeit des Einzelnen, der in einem solchen System lebt. War es möglich, beispielsweise während der Nazizeit unpolitisch, privat und damit ein Stück weit anständig zu bleiben? Diese Gretchenfrage schwebt, wenn auch nicht explizit formuliert, auch durch die Ausstellung »Glanz und Grauen – Mode im ›Dritten Reich‹«, die derzeit in der Textilfabrik Cromford in Ratingen zu sehen ist, einem LVR Industriemuseum.
Alltags- und Arbeitskleider, HJ- und BDM-Kostüme, Abendgarderobe für die Dame und den Herrn, Wintermäntel, Hosen, Jacken, Hemden, Pullunder, SS- und Wehrmachtsuniformen, Strand- und Sportbekleidung, Hüte, Mützen, Stolen in ihrer ganzen rauen, eleganten, bunten, schicken, biederen oder ärmlichen Stofflichkeit – mehr als 100 Kostüme, komplettiert mit unzähligen dazu gehörigen Mutterkreuzen, Kleiderkarten, Ausweisen, Stoffbüchern lassen die Zeit zwischen 1933 und 1946 näher herankommen, als einem manchmal lieb ist. Denn dies sind ja keine Theaterkostüme, sondern Kleider, die einmal lebenden Menschen ihr Selbstverständnis oder Überlegenheitsgefühl verliehen und ihren Hass pflegen halfen: In diesem hellbraunen Tuch da steckte wirklich einmal ein SA-Mann, in jenem Hemd ein wirkliches HJ-Führerlein. Und auch der Judenstern war ja eine Art Kleidungsstück.
Goebbels hätte die Mode gern gründlicher diktiert; Hitler hatte kein Interesse an einer Kleiderverordnung. Die Frage, ob die Mitglieder der NS-Volksgemeinschaft »in ihrem Kleidungsverhalten frei« waren, ist natürlich wichtiger als die, wie die Mode unterm Hakenkreuz sich im Vergleich zum tonangebenden Paris in punkto Schnitt und Rocksaum verhielt. Doch die Tatsache, dass sie sich während der Nazijahre offensichtlich nicht völlig vom internationalen Chic abkoppelte, kann Beleg sein für die Existenz einiger Freiräume. Jedenfalls solange bis Krieg und Kriegswirtschaft die Säume anhoben und allzu üppigen Stofffluss unmöglich machten. Dies lässt sich am (auch) chronologischen Aufbau der Ausstellung deutlich ablesen, genauso wie der Einfallsreichtum der deutschen Hausfrau, selbst aus Resten, Stücken und billigen Stoffen ansprechende Kleider zu fabrizieren. Die Propaganda, die schon in den 30ern gepredigt hatte, es diene der Volksgemeinschaft, auch in der Mode Bescheidenheit zu zeigen, hatte gute Vorbereitungsarbeit geleistet. Zumindest dort, wo nicht bewahrter, politisch erschwindelter oder frisch geraubter Reichtum das Schwelgen in kostbaren Stoffen, etwa auf Göring’schen Opernbällen, weiterhin selbstverständlich sein ließ: Wer trug dieses lilafarbene Lamékleid mit weitem Rock und kurzer Schleppe samt braunem Pelzkragen aus Waschbär, das da in einer Koje neben anderen edlen Roben noch immer höchsten Glamour verstrahlt? An-dererseits hat nicht jede Frau, die materielle Not zwang, nähend Resteverwertung zu betreiben, damit aktiv mitgewebt am großen national-sozialistischen Leichentuch.
Bekleidung war ein Wirtschaftssektor und insofern von Bedeutung. Aber: »Es gab keinen offiziellen Modekanon oder gar Bekleidungsvorschriften«, schreibt das Begleitbuch zur Ausstellung, das erzählt, was ein elegantes Kleid aus den späten 30er Jahren von sich aus nicht erzählen kann. Beispielsweise, dass es wohl doch so etwas wie einen geheimem Code gegeben haben muss, man also, wie ein Zeitgenosse zitiert wird, auf der Straße erkennen konnte, wer »dazu gehörte« und wer nicht. Aber woran sah man es? An mehr als an modischer Zurückhaltung? Sie tut sich ein wenig schwer, diese kleine, aber beeindruckend dichte und gut präsentierte Ausstellung, ihre These materialiter zu belegen, dass es in Hitlers Reich für Mode und Kleidung keine politikfreie Sphäre gab. Freilich hat sich wohl auch der größte heimliche Anti-Nazi dem nationalsozialistischen Durchgriff auf die Stoff- und Bekleidungsindustrie nicht entziehen können, der etwa ab 1936 einen »Beimischungszwang« erließ, um hochwertiges Material in den zu mästenden militärischen Sektor umzuleiten. Der Zivilstil aber blieb doch relativ frei, das lernt man in Ratingen, zahlreiche Modezeitschriften geben Kunde davon: die FrauenWarte für die nationalsozialistisch überzeugte deutsche Frau, die Deutsche Moden-Zeitung für die elegantere Dame oder die neue linie, die immer noch im Bauhaus-Stil gestaltet war und auf deren Seiten man sich der Illusion hingeben konnte, man befinde sich weiterhin in der Moderne.
Später wurden die Verhältnisse klarer. Die Kleider der vertriebenen und deportierten Juden – ordnungsgemäß desinfiziert und korrekt verkauft, Nazi-Deutschland war ja keine Bananenrepublik – wanderten in die Schränke der arischen Nachbarn; und als die Söhne und Väter halb Europa unterworfen hatten, schickten sie hunderttausendtonnenfach Schuhe und Mäntel, Ringe und Röcke an die Lieben daheim. Die ruinöse Zwangsabwertung ausländischer Währungen gegenüber der Reichsmark ermöglichte solche Großeinkäufe. Rohstoffmangel aber blieb ein Grundproblem, auch Leder war Rohstoff, Ersatzmaterialien wurden entwickelt und fanden ab 1940 in einer Einrichtung des Reichsamtes für Wirtschaftsaufbau ihre Erprobungsstätte: der Schuhprüfstrecke im KZ Sachsenhausen. Auf einem 700 Meter langen Abschnitt testeten dort Häftlinge von morgens bis abends ihnen passende oder nicht passende Experimentierschuhe auf ihre Tauglichkeit; den selbstlosen Einsatz für die deutsche Schuhindustrie, an dem Salamander und alle anderen damals maßgeblichen Firmen beteiligt waren, bezahlten 15 bis 20 Häftlinge täglich mit dem Tod. Sechs Reichsmark berechnete das SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt den forschenden Unternehmen pro Häftling und Tag.
Nach Ende des Krieges drehten viele deutsche Hausfrauen die Uniformen, die jetzt nicht mehr gebraucht wurden, auf links und nähten sich wiederum hübsche Sachen daraus. Das hatten sie ja gelernt.
Bis 27. Januar 2013. Tel.: 02234/9921555. www.glanz-und-grauen.lvr.de