TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Politische Macht bildet sich oft in großen Gesten ab – in einschüchternder Architektur oder in Inneneinrichtungen, die den Besucher bewusst schrumpfen lassen. Diktatoren wie Stalin, Mussolini und natürlich Hitler zementierten so ihre Macht – Chaplin hat die absurden Überwältigungsstrategien der Reichskanzlei in seinem »Großen Diktator« entsprechend vorgeführt: überdimensionierte Türen, extrem lange Laufwege zum Schreibtisch und ein Bürostuhl, der sich scheinbar unendlich in die Höhe fahren ließ.
Im heutigen Bundeskanzleramt ist der Schreibtisch am Boden festgeschraubt, auch die Inneneinrichtung wurde passend zur Architektur entworfen. Sie ist nicht dafür vorgesehen, ausgetauscht zu werden. Bleiben also die Details, die die Regierenden mitbringen und die sie charakterisieren sollen. Stürzte hinter Gerhard Schröder noch Baselitz’ Adler umgekehrt Richtung Boden, so wählte Angela Merkel mit einem Kokoschka-Porträt Adenauers die konservativere Form der politischen Wanddekoration. Profilierungsversuche dieser Art reichen bis hinunter auf die kommunale Ebene. Auch Bürgermeister versuchen, den – oftmals vom Vorgänger übernommenen – Büros für den begrenzten Zeitraum der eigenen Macht einen Hauch von Individualität zu geben.
Blättert man durch Jörg Windes Bildband »Bürgermeisterzimmer in Deutschland«, wird eines schnell klar: Vor diesem Deutschland muss niemand mehr Angst mehr haben. Macht wird in diesen Zimmern eher verwaltet; oft werden die politischen Entscheidungen in nüchterner Sachbearbeiteratmosphäre zwischen Konferenztischbeflaschung und Gummibaum gefällt.
Der freischaffende Fotodesigner und Professor für Fotografie am Fachbereich Design der FH Dortmund hat zwischen 2005 und 2010 die Amtsstuben der Republik bereist und mit einer Großformat-Plattenkamera 120 Bürgermeisterzimmer fotografiert. Im Rahmen eines Projekts mit Studierenden waren 2005 die ersten 15 Fotos entstanden. Eine vergleichende Arbeit im Genre der Architektur- und Interieur-Fotografie wollte der gebürtige Kölner und Wahl-Bochumer schaffen.
MENSCHENLEERE AMTSRÄUME
Zwei Wochen lang führte ihn das Projekt durch 15 Kommunen der Hellweg-Region; das erste Bürgermeisterzimmer fotografierte er in Bergkamen. 2006 bereiste Winde die größeren Städte Nordrhein-Westfalens, 2008 führte eine weitere Tour nach Ostdeutschland; 2009 folgten Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Als »nüchternen Blick auf ein Stück Verwaltungs- und Repräsentationsmentalität« bezeichnet er selbst seine Arbeit. Die Fotos sind dokumentarisch, haben alle dasselbe Format und zeigen menschenleere Amtsräume. »Ich bin Architektur- und kein Porträtfotograf«, sagt Jörg Winde, der die Geschichte der Räume bewusst nicht über Personen erzählt und somit Platz für eigene Interpretationen lässt. Lediglich die Jahreszahl im Titel des Fotos lässt Rückschlüsse auf die jeweiligen Amtsinhaber zu.
Die Einrichtungen der Bürgermeisterzimmer changiert zwischen historischem Ambiente und funktional-modernisti-scher Büro-Tristesse, zwischen Weltläufigkeit und einer Biederkeit, die mit gutem Willen auch als Pragmatismus durchgehen könnte. Bergkamen, beispielsweise. Ein beengter Raum mit sparsamer Druckgrafik an den Wänden und hellblauem Bodenbelag. Auf der Fensterbank langweilt sich Dekorationsgrün in Gestalt einer einsamen, gummibaumartigen Pflanze, daneben erinnert eine Miniatur-Kohlenlore an die Bergbauvergangenheit Bergkamens. Den wabenförmigen Konferenztisch ziert ein Rüschendeckchen, darauf vier umgedrehte Wassergläser, eine Zuckerdose sowie – auf einem Untersetzer – ein Süßstoffspender. Ähnlich trist sieht es in Bönen aus. Dort warten ein Aschenbecher aus Kristallglas und ein Stapel blauer Papier-Servietten, die mit einem Stab gegen Zugluft beschwert wurden, auf Konferenzteilnehmer. Bringt solch ein Ambiente noch zukunftsweisende Ideen hervor, oder wird hier nur der Bau eines weiteren Kreisverkehrs diskutiert?
BOCHUM PROTZT IRGENDWIE
Der Betrachter der Bilder kann darüber nur spekulieren. Hat Staatsmann-Format, wer in historisch-eleganten Bürgermeisterzimmern residiert? Vom Raum-Eindruck käme das im Bonner Rokoko-Rathaus gut hin: deckenhohe Fenster, Flügeltüren, goldgerahmte Gemälde und zwei offene Marmorkamine – hier könnte auch der Bundespräsident seinen Amtssitz haben. Auch die Bürgermeisterzimmer in Bochum und Ravensburg zeugen mit dunkler Wandvertäfelung selbstbewusst von einem historischen Erbe, während Lindaus erstes Zimmer wie ein Showroom für Innenausstatter wirkt. An der Decke stuckt es eindrucksvoll, im Raum verteilen sich Rosé- und Cremetöne, die Stühle sind mit Hussen in den entsprechenden Farben verhüllt. Duisburg prunkt mit dunklem Holz und aufwendig gearbeiteten, steinernen Säulen. Nur wenige Gegenstände zeugen vom damaligen Amtsinhaber: ein Deckenstrahler aus dem Baumarkt, das überdimensionierte Modell eines »Lufthansa«-Jets, Immergrün in Hydrokultur (wahrscheinlich aus den 70ern übriggeblieben) und ein bemalter Porzellanteller, auf dem kalligrafisch der Name »Sauerland« zu lesen ist.
Dennoch drängt sich die Frage auf, wie viel auf diesen Bühnenbildern der Macht für den Fotografen inszeniert worden ist – und ob die Sekretärin vorher extra aufgeräumt hat. Jörg Winde kann das bestätigen, dem Fototermin ging oft eine wochenlange Planung voraus, genug Zeit für die Stadtvertreter also, das Zimmer zu optimieren. Winde hat das »immer ein bisschen geärgert«, wie er sagt; sein dokumentarischer Blick in die Räume lässt nun aber keinen Vergleich zum realen Arbeitsalltag zu. Eine Ausnahme gab es, da war das Amtszimmer dermaßen klinisch aufgeräumt, dass Winde die Sekretärin bat, doch wenigstens ein paar Papiere auf dem Tisch zu verteilen.
Angenehm unordentlich fand er hingegen das Düsseldorfer Bürgermeisterzimmer Joachim Erwins im Jahr 2006 vor. Auf dem Schreibtisch, dessen Marmorplatte auch in einer Küchenzeile Platz finden könnte, türmen sich Akten und Papiere neben Familienfotos, im Hintergrund liegt ein Paar roter Boxhandschuhe, die Wahlkämpfern im Dutzend überreicht werden. Ein Sessel zitiert großkariert die Memphis-Moderne der 80er; eine Mini-Golfbahn und historische Ansichten auf das Rheinufer stehen symbolisch für die zu regierende Stadt. Ansonsten finden sich auch in diesem Zimmer jene Einrichtungsgegenstände, die quer durch die Republik zum geschmackskonformen Repräsentanz-Symbolismus des Bürgermeisterberufes zu gehören scheinen: Freischwingerstühle aus Chrom, bespannt mit schwarzem Leder, gläserne Konferenztische, Regalsysteme von »USM« und Ficus Benjamina. Lediglich der Bürgermeister Sindelfingens übertreibt ein wenig und verschanzt seinen Schreibtisch hinter einer Wand aus gleich drei Pflanzungetümen, die sich dank hölzerner Ikea-Wägelchen auch anders im Raum positionieren lassen. Blick ins Grüne – dabei ist der Mann in der CDU.
Jörg Winde: »Bürgermeisterzimmer in Deutschland«. Kerber-Verlag, Bielefeld/Berlin 2012, 188 Seiten, 193 farbige Abbildungen, 44 Euro. www.buergermeisterzimmer.de