Für sie war es die »höchste Form der Kunst«. Als »Religion der Zukunft« gar sah Hilla von Rebay die Gegenstandslosigkeit. Und mit leidenschaftlichem Sendungsbewusstsein predigte sie ihre Überzeugung: Durch diese Kunst könne die Menschheit zu einer höheren geistigen Ebene vordringen. Die ansteckende Begeisterung der Baronesse und das Geld des steinreichen »Kupferkönigs« Solomon Guggenheim legten zusammen den Grund für die Sammlung – vor mehr als 70 Jahren. Inzwischen ist »The Guggenheim« zum Kunstimperium herangewachsen. Im schneckenförmigen Stammhaus in New York, im venezianischen Palazzo, im Deutschen Guggenheim Berlin, in Frank O. Gehrys geschwungenem Glanzstück von Bilbao und in der Dependance in Las Vegas – in diesen fünf Häusern präsentiert sich die Guggenheim Foundation heute. Und Direktor Thomas Krens steuert weiter auf Expansionskurs. Die Visionen, die Rebay und Guggenheim einst umtrieben, sucht Krens in der vernetzten Welt des 21. Jahrhunderts mit der »Schaffung von Kulturerlebnissen« zu verwirklichen. Ein besonders beeindruckendes Beispiel dafür bietet sich nun in der Bundeskunsthalle, wo »The Guggenheim« für fast ein halbes Jahr eine perfekte Bühne findet. In nie da gewesenem Umfang und vorbildlich kuratiert präsentiert sich dort die Sammlung, fährt um die 200 Werke auf. Dafür hat Kunsthallen- Chef Wenzel Jacob sein Haus beinahe leer geräumt und darf dazu noch das Erdgeschoss im benachbarten Kunstmuseum bespielen. Obendrein macht eine extra Architektur- Schau mit Guggenheims Museumsbauten bekannt – mit den realisierten wie mit den vielen unverwirklichten Häusern von Salzburg bis Tokio. Hans Hollein und Coop Himmelb(l)au haben im Guggenheim-Auftrag Pläne gemacht, Jean Nouvel und Zaha Hadid, die für Taiwan ein Museum mit beweglichem Westflügel vorschlug. Für New York hatte Hilla Rebay einst ein »Tempel« vorgeschwebt – der »Gegenstandslosigkeit und Andacht« gewidmet. Etwas von diesem Wunsch erfüllt sich nun im Bonner Entree. Weihevoll finden dort im säulenumstandenen Rund zwei mächtige Skulpturen von Constantin Brancusi zusammen – die Spuren von Axt, Keil, Messer geben ihnen etwas Archaisches. Wie geheimnisvolle Kultfiguren muten sie an.
Nach dem stimmungsvollen Einstieg macht der Parcours einen dokumentarischen Schlenker zu den Anfängen. Ein Großfoto blickt ins »Museum of Non-Objective Painting «, das Guggenheim und seine charismatische Beraterin 1939 in einem ehemaligen Autosalon eröffnet hatten. Daneben präsentiert die Schau eine Probe aus Rebays eigenem künstlerischen Schaffen und vis-à-vis ein Werk von Rudolf Bauer, dessen zweitklassige Produktionen bis heute die Magazine der Foundation füllen. Mit dem Malerkollegen verband Rebay eine heftige Liaison, was ihr Urteilsvermögen offenbar arg beeinträchtigte. Einen klareren Blick für Qualität bewies Guggenheims Ratgeberin bei ihrem zweiten großen Favoriten: Wassily Kandinsky. Der Russe wurde zum Star der Kollektion, in der Bundeskunsthalle bestreitet er ein ganzes Ausstellungskapitel. Anschaulich lässt sich da der Weg des Malers nachvollziehen, vom 1909 vollendeten und noch deutlich dem Expressionismus verhafteten »Blauen Berg« über das »Bild mit weißem Rand«, in dessen Zentrum Landschaft und Figur nur mehr angedeutet scheinen. Und weiter zur geometrisch strukturierten, hell, rein und klar auf weißem Grund zusammengestellten »Komposition 8« aus Kandinskys Zeit am Bauhaus. Rebay und ihr Enthusiasmus für die gegenstandlose Kunst drückten der Guggenheim- Collection den ersten Stempel auf. Unter ihren Nachfolgern verschoben sich Schwerpunkte, doch eines blieb: Der subjektive, selektive Charakter des Ganzen. Dies vermittelt die Präsentation: Zum einen macht sie in lockerer Chronologie kunsthistorische Entwicklungen deutlich. Zum anderen wird sie dem subjektiven Charakter der Collection gerecht, indem sie sich Zeit und Raum für die monographischen Abteilungen nimmt und immer wieder die Sammlung prägende Persönlichkeiten hervorhebt.
Dem Kandinsky-Kapitel schließt sich ein kunsthistorischer Rückschritt zu Wegbereitern der Moderne an, an dieser Stelle folgt der Parcours der Sammlungsgeschichte: Die Werke der Impressionisten und Postimpressionisten, Manets Frau »vor dem Spiegel«, das »Stillleben mit Pfirsichen« von Cézanne oder auch van Goghs »Hügel bei Saint-Rémy« kamen erst 1963 in die Foundation, als Schenkung von Justin Thannhauser. Der Spross ei ner jüdisch-deutschen Kunsthändlerfamilie war 1940 in die Vereinigten Staaten geflohen. Mit seinen Schätzen änderte sich das Profil der Guggenheim-Sammlung zum ersten Mal entscheidend: Der Blick weitete sich bis weit ins 19. Jahrhundert.
Stark bestückt war Tannhausers Fundus überdies mit Werken von Picasso, auch ihm ist in der Bundeskunsthalle fast ein kompletter Raum gewidmet. In Stillleben und Frauenbildnissen wird die künstlerische Entwicklung des Spaniers ablesbar. Als Hauptwerk des analytischen Kubismus hängt da Picassos 1911 gemalte »Akkordeonspielerin« – der in eine Vielzahl kleiner Flächen zersplitterte Bildgegenstand ist nur mehr mit Mühe zu erkennen. Wie entscheidend und nachhaltig die kubistische Revolution wirkte, beweisen in der Ausstellung etliche Werke. Zunächst einige aus Picassos Pariser Umfeld – Chagall, Léger und Duchamp denken die Idee weiter, Delaunay lässt sich inspirieren und kommt in seinen bahnbrechenden »Fensterbildern« bald der Ungegenständlichkeit immer näher. Delaunays Beispiel macht Schule – augenfällig etwa in Paul Klees »Blumenbeet«, seiner Facettierung der Formen und den leuchtenden Farben. Oder auch in Franz Marcs »Stallungen «, wo sich transparente Farblasuren überlagern.
Klee wie Marc waren Weggefährten von Kandinsky und der Abstraktion aufgeschlossen. Es wundert darum wenig, dass die beiden sehr viel besser vertreten sind als andere Meister des deutschen Expressionismus. Kirchner ist der einzige Brücke-Künstler mit bedeutenderen Werken in der Guggenheim- Collection.
Der Surrealismus kam lange so gut wie gar nicht vor. Doch füllte sich diese Lücke 1976 überreich mit den Stücken aus Peggy Guggenheims sehr persönlicher Sammlung. »Ich war die erste befreite Frau; ich tat alles, war alles; ich war finanziell, emotional, intellektuell und sexuell völlig frei.« Mit diesem Selbstverständnis fühlte sich Solomons exzentrische Nichte bestens aufgehoben im Kreise der surrealistischen Künstler, Dichter, Kritiker. Weniger bekannt, aber ebenfalls bedeutsam ist Peggy als Förderin des Abstrakten Expressionismus. Zu ihren größten Entdeckungen zählte Jackson Pollock – in Bonn ist er mit fünf Gemälden aus unterschiedlichen Werkphasen gut präsent. Mit Robert Rauschenberg feiert die Ausstellung einen weiteren Guggenheim-Heroen. Sein gut zehn Meter langer Siebdruck »Barge« bereitet, allein schon durch seine Maße, den eindrucksvoll inszenierten Sprung mitten in die sechziger Jahre vor. Der Weg führt durch eine schmale Tür im Obergeschoss der Bundeskunsthalle, dahinter öffnet sich der Blick über die Große Halle, erstmals bleibt sie ohne Trennwände. Ungestört können sich dort Riesenwerke entfalten und das völlig neue Verhältnis von Werk und Betrachter vorführen. Der ganze Körper erlebt hier die Kunst: Man durchläuft das runde Labyrinth von Robert Morris, schreitet über Carl Andres Platz aus Kupferplatten, zwängt sich durch den »Grünen Lichtkorridor« von Bruce Nauman. Fast alles stammt hier aus der Anfang der 90er Jahre erworbenen Sammlung des Grafen Giuseppe Panza die Biumo.
»The Guggenheim« wächst weiter und hält sich bis heute frisch mit junger Kunst. In Bonn übernimmt das Kunstmuseum diesen topaktuellen Part. Dem alten Prinzip gemäß wird nicht breit gefächert gesammelt, man konzentriert sich lieber auf einzelne Positionen. Diesem System trägt die Schau Rechnung, indem sie neun Räume für ebenso viele Künstler reserviert. Rachel Whiteread findet darin genug Platz für den lebensgroßen Gipsabguss ihres Londoner Appartements, Matthew Barney spielt auf Bildschirmen unter der Decke alle fünf Folgen seine Cremaster-Zyklus ab, und Kara Walker blickt in ihrer Installation aus Licht und drastischen Scherenschnitten zurück in die Sklavengeschichte des amerikanischen Südens.
Während die Collection in Bonn zum grandiosen Gastspiel lädt, schweift der Blick des Guggenheim-Direktors Krens schon wieder in die weite Welt: Vor wenigen Monaten erst hat die Stiftung den Stararchitekten Frank O. Gehry mit dem Bau einer gigantischen Filiale in Abu Dhabi betraut – 30.000 Quadratmeter groß soll das neue Museum sein. Dagegen wird dann wohl auch Bonns Bundeskunsthalle klein ausschauen. //
The Guggenheim Teil I: Collection, 21. Juli 2006 bis 7. Januar 2007; Teil II: Architecture, bis 12. November 2006. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. So bis Do 9 bis 19 Uhr, Fr u. Sa 9 bis 22 Uhr. Tel.: 0228/9171- 200. www.bundeskunsthalle.de