Kommentar: Andreas Wilink
// Zum Bochumer Schauspiel-Intendanten in der Nachfolge des glücklosen Elmar Goerden, der 2010 nach fünf Jahren abdankt und in einer ziemlich einmaligen öffentlichen Erklärung sein persönliches Scheitern eingestanden hatte, wurde keine Person gewählt, auch wenn sie Anselm Weber heißt, sondern ein Modell. Dieses Modell existiert schon – das unterscheidet die Neuwahl von früheren Bochumer Kandidaturen. Peter Zadek, später Leander Haußmann und auch Matthias Hartmann hatten keine Intendanz-Bilanz vorzuweisen, mit ihnen wurde carte blanche gezogen. Ein Wagnis. Ein kulturpolitisches Statement, das traditionell der Bochumer Kulturdezernent in Eigenverantwortung abgibt.
Das Modell Weber besteht seit drei Jahren circa 15 Kilometer von Bochum entfernt, in der Kulturhauptstadt Essen. Karl-Michael Townsend hat wenig Weitblick bewiesen, er hat die nahe liegendste, die allernächste Lösung gewählt. Eine zaghafte, defensive, scheinbar risikolose Berufung. Kleine Rochade.
Die Kritik an der Kür für Bochums Stadttheater gilt nicht zunächst dem 45-jährigen Weber und seinem tatsächlich gelungenen Essener Wunder. Denn unbestritten ist: Das Grillo Theater reißt saisonal die 100.000-Zuschauer-Marke, es hat sich Kenntlichkeit verschafft, eigene Duftnoten gesetzt und wurde dreimal als »Bestes Theater in NRW« ausgezeichnet, allerdings bei einer – bis zu Karin Beiers Beginn 2007 – sehr mickrigen Konkurrenz in Köln, Düsseldorf und Bochum. Weber und sein Team haben sich mit Gespür in der Stadt und ihren Problemzonen umgeschaut, Essen zu einem ihrer Hauptdarsteller gemacht, haben mit Jugendlichen und Senioren gearbeitet, Identifikation und präzise Verortung hergestellt. Letztlich punktet Weber mit drei Regisseuren: mit David Nuran Calis’ sozialen Projekten, mit David Böschs spieltriebhaft jungem Theater, mit Roger Vontobels leicht zugänglichen, soliden Aufführungen. Weber selbst ist, mit Verlaub, ein eher schwacher Regisseur. Seine ästhetische Handschrift unterscheidet ihn nicht sonderlich von Goerden. Das Essener Ensemble ist zu großen Teilen auch nicht das, was man glanzvoll nennen würde. Auch darin gleicht es dem derzeitigen in Bochum.
Ein Neuanfang für Bochum müsste anders aussehen. Er wäre nur mit einem radikalen Stilwechsel sinnvoll gewesen, mit einer Kontrastwahl, auch wenn die nicht unbedingt Christoph Schlingensief & Armin Petras hätte heißen müssen. Das Schauspielhaus Bochum kennt, verträgt und braucht solche Widersprüche: von Zadek zu Peymann, von Steckel zu Haußmann, von Haußmann zu Hartmann. Das bleibt 2010 aus. Anselm Weber wird es vermutlich besser machen als Goerden. Ihn reizen die größeren Möglichkeiten und Freiheiten – mehr Etat, mehr Platz – ohne die beengende, in Verruf geratene Dachkonstruktion der TUP (Theater und Philharmonie). Ihn reizt wohl auch der Nimbus. Aber kann er viel anders machen? David Bösch auszutauschen, muss aus seiner Sicht Unfug, das Revier-Milieu nicht wieder zum Träger eines Konzepts zu machen, ebenso falsch sein.
Und so haben wir, wieder einmal, eine für Nordrhein-Westfalen typische Lösung: eine halbherzige. //