TEXT: ANDREAS WILINK
Bilder vom Ursprung. Schöner würde sie auch der Kino-Wundermann Terrence Malick nicht zeigen können. Der Beginn von »River of Fundament« ist überwältigend. Bald wird durch das waldig bergige, von einem Fluss durchzogene Paradies Idaho ein Schuss hallen. »Papa« – eine Statuette mit dem Kosenamen hatte die Kamera en passant im Innern des einsam liegenden Hauses gestreift – ist tot. Ernest Hemingway hat sich erschossen. Schießgewehr und Schreibmaschine, Natur und Kultur bilden im Prolog von Matthew Barneys »River of Fundament« ein Paar und einen Kontrast. Hemingway ist die Bezugsperson für den US-Künstler und war es für seine filmische Hauptfigur Norman Mailer.
Cut. Der Detroit River wälzt sich träge durch das Industriegebiet der Auto-Metropole. Ein Unterweltfluss, suggeriert Barney, faulig und von Fäkalien belastet. Aus der Brühe wird – Cut – ein Toter (Barney selbst in seiner »Cremaster«-Montur) steigen, um sich auf eine Trauerfeier für Norman Mailer in dessen Brownstone-Haus in Brooklyn Heights zu begeben. Dort feiert eine illustre Runde Abschied vom strotzend vitalen Dichter. Zärtlich kosend gleitet nun die Kamera entlang der gedeckten Tafel und den gediegenen Interieurs, als wolle sie Scorseses New Yorker Society-Drama »Zeit der Unschuld« übertreffen. Die Welt von gestern hat musealen Wert. Aber der Blick ist vergiftet. Maden und Würmer wimmeln im Salat. Alles atmet Verwesung. Später auch die prominente Partyrunde selbst, darunter Talkmaster Dick Cavett, Jeffrey Eugenides, Lawrence Weiner und Salman Rushdie, die Schauspiel-Stars Maggie Gyllenhall und Elaine Stritch sowie John Buffalo Mailer, der Sohn in der Rolle des Vaters. Vergammelt und wie von Schimmel überzogen scheint die Runde dann.
Barney bezieht seine sechsstündige symphonische Dichtung (Komposition: Jonathan Bepler) – vom New York Times Magazine »Zombie-Film-Musical« genannt – auf Mailers »Ancient Nights«, einer schwülen, spirituell kontaminierten Roman-Fantasie aus dem alten Ägypten. Darin versucht der Edelmann Menenhetet, dreimal wiedergeboren zu werden und aufzusteigen zum Pharao – letztlich wird er scheitern. Am Nil trugen die Götter Tierköpfe. Es war Scheolsland, wie Thomas Manns biblisch frommer Jakob die todessüchtige und leibeslustige Hochkultur abschätzig abwehrend nennt.
Barneys Bewunderung für den virilen Mailer lässt ihn – Norman I, II und III – wiederauferstehen und in Nachfolge seines Romans dieselbe Seelenreise unternehmen, die sich über sexuelle Aktionen – mit Frau, Mutter, Geliebter, Tochterkind – rituell vollzieht. Die Reinkarnation indes bleibt nicht auf Zweibeiner beschränkt, sondern wird auf vier Räder ummontiert.
Alchemie und Montage sind die Methoden von Matthew Barney. Die Verdauen und Ausscheiden ist sein vegetativer Rhythmus. Die Religions- und Kulturgeschichte kennt das Motiv von Tod, Zerstücklung und Wiederkehr in Reaktion auf die Zyklen der Natur seit den Tagen des Seth (auch eine Hauptfigur von Barneys Tafelrunde in Mailers Haus) und dessen Bruders Osiris, von Tammuz und Ischtar, Joseph und Jesus, der vom Kreuz hinabsteigt, eingeht in das Reich des Todes und dem in unseren Kirchen geopfert wird.
Bei Barney, Regisseur des sciencefictionalen »Cremaster«-Zyklus, opfert der moderne Mensch in der Totenstadt Detroit (der Jim Jarmuschs Vampir-Drama »Only Lovers left alive« ebenfalls huldigt) dem Fetisch Auto, goldglänzend aufgebahrt im christlichen Tempel. Der Chrysler Crown Imperial wird in Stücke gerissen, kehrt wieder als Pontiac Firebird Trans Am und als Ford Crown Victoria. In Performances während des Drehs und für den Dreh (sowie die parallel konzipierte Ausstellung) wurde der Blechschaden inszeniert, der Schrott eingestampft, angereichert um 25 Tonnen Stahl, geschmolzen in fünf Hochöfen. Reinkarnation wird zu Recycling.
»Der Widerstand des Materials«, den Barney betont, provoziert und bricht, liegt auch in der erzählerischen Form, seiner Haltung und Transformations-Ideologie. Schließlich waren die alten Ägypter Spezialisten der Metamorphose und der kobaltblaue Skarabäus ihr Wappentier.
Aber, sorry, kein Gott steigt hier herab. Keine Ekstase wird fühlbar. Kein Körper kommt uns nahe in der perfekten, noch im Ekel-Effekt auf Distanz gehaltenen Film-Oper.
Unter der Oberfläche liegt die Kanalisation mit ihrer Blasen werfenden Ursuppe und schwemmt das Irrationale an. Kot und Gold (Barneys bevorzugte luxuriöse Farbe) verschmelzen. Chemische Prozesse wiederholen sich im Stoffwechsel-Prozess der Genres: Splatter Movie, Warhol’sche Factory-Kunst, große Erzählung, anti-narrative Zeitdehnung und Raumüberwindung von Ägypten nach USA, von Los Angeles nach Detroit und New York, von den Earthly Powers zur Unterwelt und in die Salzminen Detroits, deren labyrinthisches System mit dem Tunnel-Netzwerk unter den Pyramiden in Verbindung gebracht wird.
»River of Fundament« ist eine Zersetzungs-Orgie – darin auch Elegie auf das kulturelle Erbe. Die Partygesellschaft für den pompe funèbre in der (rekonstruierten) schönen Bibliothek Mailers, wo uns der Mann-Künstler Picasso aus einem Bildband ins Auge springt, singsangt lallend, zitiert esoterische Buchpassagen aus »Frühe Nächte« und übt sich in nostalgischer Konversation, bis die Gruppe im Unaufhörlichen vermodert. So scheint die Runde selbst wie gefangen in der Grabkammer einer Pyramide, versehen mit den Requisiten für die Reise ins Jenseits. Bestäubt vom Parfüm der Vergänglichkeit.
Barney, der Künstler mit Popstar-Glamour, der plastischer Chirurg werden wollte, inszeniert (oft redundant und in seinen Obsessionen verschlüsselt) ein kulturkritisches, schreiend schmerzendes, stinkendes Requiem auf das schöne Gefühl, die abendländische Bildung, das romantisierte Industrie-Zeitalter mit einem stanzenden Nibelheim in einer Fabrikationshalle – und auf die Vergottung der Maschine, der der Künstler durchaus selbst unterliegt. Barneys Ritual schlachtet heilige Kühe und inthronisiert neue (alte) Idole und Götzen.
Das Film-Opus ergötzt sich auch an einer Männer-Fantasie. Barneys Heroen sind Mannsbilder wie Hemingway und Mailer, Cassius Clay, Walt Whitman, die Stierkämpfer-Figur, der penetrierende Macho und der leidende Künstler. In der Ausstellung zum Film, die das Münchner Haus der Kunst eingerichtet hat (bis 17. August 2014) – die Schau versteht man nicht ohne den Film, während der Film die monumentale Ausstellung nicht braucht –, lagern riesige schrundige, borstige, zerfließende Skulpturen, Metallschlitten, Karosserie-Skelette, Grafit- und seifig weiße Wachsblöcke wie aus Mittelerde. Die Materialschlacht aus Eisen, Blei, Bronze, Kupfer, Messing wirkt wie eine Imitation von Joseph Beuys und dessen Schamanismus. Vielleicht auch eine Reinkarnation?
Eine monströse, magisch totalitäre Erfahrung flutet mit dem energetischen »River of Fundament« über einen hinweg, kann aber Widerstände kaum fortspülen. Die manchmal unfreiwillig komische Ästhetik des Hässlichen mit den verkrusteten, verschissenen Körpern der lebenden Leichen, dem Ausweiden eines aufgeblähten toten Rindes und den Kopulations-Übungen (Norman drängt es zum erlösenden Schoße) schwindet momentweise in brillanten, reinen Bildern und fantastisch eleganten Kompositionen und Panoramen des Setdesigns. Ungetrübt von Exkrementen und Restbeständen der industriellen Produktion und künstlerischen Exaltation kehren die Schluss-Bilder der kristallinen Bergwelt an den Anfang zurück. Sie sind wie durch eine Kläranlage gegangen.
31. August 2014, Lichtburg Essen, Beginn: 15 Uhr, sechs Stunden, zwei Pausen. www.ruhrtriennale.de