Elvira hält sich die Pistole an die Schläfe. Doch die beiden Herren, die sich um die Dame zanken, interessieren sich kein bisschen für den angedrohten Selbstmord. Wenn das Männerego lodert, ist Elvira Nebensache. Dann wechselt die Pistole fröhlich den Besitzer. Doch wer braucht so ein Schießeisen, der mit Melodien und Rhythmen feuern kann?
Giuseppe Verdis frühe Oper »Ernani« wird in Deutschland selten inszeniert. Das Libretto – immerhin nach einem Theaterstück von Victor Hugo – ist ein wildes Durcheinander, dem eine Regie kaum Glaubwürdigkeit verleihen kann. Italienische Opernfans stört so etwas nicht sonderlich, sie sind aus den meisten Werken des Belcanto nichts anderes gewohnt und erfreuen sich an den Stimmen. Doch aus der Perspektive eines zeitgemäßen Musiktheaters ist »Ernani« kaum zu fassen.
Deshalb versucht Regisseur Roland Schwab – der im Sommer den »Tristan« in Bayreuth inszenieren wird – gar nicht erst, irgendwelche aktuellen Debatten zu spiegeln. Er begreift die Handlung mit ihren kaum nachvollziehbaren Motivationssprüngen als B-Movie. Mit Hüten, Trenchcoats und Pistolen, die an Gangsterfilme der 50er Jahre erinnern, erzählt er die Geschichte. Ernani, Anführer einer Räuberbande – aber eigentlich ein spanischer Adliger – liebt Elvira. König Carlos, der bald in Aachen zum Kaiser gekrönt wird, liebt Elvira auch. Heiraten soll sie allerdings den greisen Don Silva. Drei Männer, eine Frau – es wird gelitten und gestritten, gewettert und geschmettert. Und wenn’s die Dons so richtig packt, wählt Verdi den Dreivierteltakt.
Bühnenbildner Alfred Peter hat ein riesiges, schräges Palastgemach auf eine Drehbühne gestellt. Es gibt Nebel und Feuer auf der Bühne, die Inszenierung geizt ebenso wenig mit Effekten wie der Komponist in seiner Partitur. Verdi hat vielschichtige Ensembles, mitreißende Chöre und leidenschaftliche Arien geschrieben. Die Klangsprache seiner Meisterwerke ist schon da, es fehlt noch der Tiefgang von Handlung und Personen. Will Humburg kitzelt mit dem Beethoven Orchester fast noch mehr Feinheiten heraus, als Verdi komponiert hat. Ein spannungsgeladener Orchesterklang, perfekt austariert, biegsam und schmiegsam, mit raffinierten Verzögerungen und explosiver Energie.
Gesanglich ist es ein Männerabend. George Oniani glänzt als Ernani mit der Mischung aus Geschmeidigkeit und Durchschlagskraft, die das italienische Fach verlangt. Federico Longhi gestaltet den Kaiserkönig Carlos mit vielen Zwischentönen, und Pave Kudinov wechselt als Silva zwischen schwarzer Bosheit und melancholischen Momenten. Yannick-Muriel Noah kann als Elvira nicht ganz mithalten, hat ein paar Intonationsprobleme, wirkt auch schauspielerisch etwas gehemmt. Vielleicht verbessert sich das noch in den weiteren Vorstellungen.
Der von Marco Medved einstudierte Chor begeistert nicht nur mit Stimmgewalt, sondern auch mit überwältigender Spielfreude. Da stehen Individuen auf der Bühne, die genau so einen Spaß an der Aufführung zu haben scheinen wie das Solistenensemble. Und auch wenn »Ernani« wohl kaum ins Opernrepertoire zurückkehren wird, geht es nicht nur darum, die Bonner Reihe der unbekannten Verdis zu erweitern. Der Inszenierung gelingt es wahrhaftig, die wirre Handlung mit pointierter Ironie schlüssig zu erzählen. Und man bekommt einen Eindruck, warum die Oper im 19. Jahrhundert so eine unglaublich populäre Theaterform war. Weil Gangstertrash und große Kunst eine faszinierende Mischung eingehen.
20. und 27. Mai
Oper Bonn