// Ein Gitter, weitmaschig und raumhoch: Viel mehr ist es nicht, was das Bühnenbild von Kathrin Schlecht bereitstellt. Als stünde die Besichtigung eines wilden Tieres an, und davor klafft – die ersten vier Sitzreihen sind herausgenommen – ein breiter Graben, der einen Sicherheitsabstand bietet. Wo ein halbes Orchester Platz hätte, sitzt, einsam und engagiert, der Cellist Wolfgang Sellner, der die inneren Vorgänge unterstreichen wird.
Doch denkste. Vor dem Gitter ist hinter dem Gitter. Der Blick wird umgekehrt: Das stumme Vorspiel handelt von der Durchlässigkeit dieser Grenze, die von beiden Seiten erklommen wird. Das Mädchen hangelt sich hinauf, Roberto Zucco sieht es und steigt (ihm) hinterher, packt und missbraucht es in der Luft. Opfer und Täter sind von nun an miteinander verbunden, und die Inszenierung von Lisa Nielebock spürt dieser Dialektik nach: Die Vergewaltigung bringt das Mädchen in eine Abhängigkeit von Zucco, die es ihn bekämpfen, sich aber auch mit ihm solidarisieren lässt.
Wie die junge Miriam Frenk, angstgetrieben in ihrer Entschiedenheit zum Außenseiter, die Rolle nachgewichtet, führt eine weibliche Seite des Stücks aus und macht das Mädchen zur zweiten Hauptfigur. Oliver Möller spielt den Titelhelden gegen den Nimbus: Ein blasser, fast zarter Jüngling mit stumpfen Augen und hyperkinetischen Bewegungen, rastlos auf der Flucht vor einer Welt, aus der es kein Entrinnen gibt. Ein Engel des Bösen, der, auch wenn er ihn unter den Füßen verloren hat, auf dem Boden bleibt.
Das Stationendrama des Roberto Zucco, der sich mordend durchs Leben schlägt, läuft auch durchs Parkett. Die zehnte Reihe der Kammerspiele bleibt frei, und die Uniformen der Polizisten hängen, als wären sie gerade vor dem Haus auf Streife gewesen, an den Seitenwänden. Die Passion gerät in eine beunruhigende Nähe, alles Numinose, Hymnische, Pseudoreligiöse wird ihr genommen. Kein spektakulärer Fall, dieser Roberto Zucco, aber einer, vor dem niemand sicher ist. // ARO