Elektra steht auf der Bühne und wartet, einige Minuten bevor der Dirigent den Orchestergraben betritt. Sie ist unruhig, nervös, hinter ihr zeigt ein Prospekt die Säulen eines monumentalen Gebäudes. Das Programmheft verrät, dass es sich um das Haus der Kunst in München handelt, erbaut in den 1930er Jahren.
Alle Sparten am Theater Münster beschäftigen sich gerade mit der Atridensage. Die 1909 uraufgeführte Oper »Elektra« war damals Avantgarde am Rande der Tonalität, schrill und verstörend. Regisseur Paul-Georg Dittrich und Bühnenbildner Christoph Ernst scheinen heute eine ähnliche Wirkung erzielen zu wollen.
Elektra trägt eine Menge Traumata mit sich herum. Sie fühlt sich ausgestoßen und ungeliebt, will aber auch gar nicht Teil einer Gesellschaft sein, in der die Mörder ihres Vaters Agamemnon an der Regierung sind. Sie wechselt mehrmals das Kostüm. Erst trägt sie ein weißes Minikleid, dann eine schwarze SS-Uniform mit Hakenkreuz am Arm, schließlich ein Prinzessinnenkostüm im Disney-Stil. Auch ihre Schwester Chrysothemis probiert verschiedene Outfits. Zwei junge Frauen auf der Suche nach Orientierung, nach ihrer Rolle im Leben.
Bilderorgie mit Anspielungen
Christoph Ernst ist ein fantasiestarker Ausstatter, der seine Assoziationen schießen lässt und zunächst viel Verwirrung schafft. Die Drehbühne zeigt verschiedene Räume. Einen Salon der Oberschicht, eine hässliche Häuserfassade – laut Programmheft das Haus in Höxter, in dem Frauen gefoltert und ermordet wurden. Und ein überlebensgroßes Foto von Richard Strauss mit Dirigentenstab in einem Opernhaus. Das ist eine von vielen Anspielungen auf die zwiespältige Rolle des Komponisten während der Nazi-Diktatur. Das Publikum muss viel Vorwissen mitbringen, um sich in der anspielungsreichen Bilderorgie zurechtzufinden.
Mördermutter Klytaimnestra tritt wie ihre Töchter in verschiedenen Kostümen auf, sie verkörpert mehrere Regentinnen des 20. Jahrhunderts. Wenn sie abgeschlachtet wird, trägt sie ein Angela-Merkel-Outfit mit rotem Jackett. Regisseur Paul-Georg Dittrich spiegelt in der »Elektra« Gegenwart und Zeitgeschichte, öffnet eine Menge Gedankenwege, die keinesfalls alle zu einem Ziel führen. Doch im Lauf des Abends verdichten sich die Motive. Elektra ist keinesfalls nur ein Opfer, ihre Rache nicht nur Befreiung. Ihr fehlt in ihrer Trauer und Wut jeder moralische Kompass. Wenn ihr Bruder Orest die verhasste Mutter und ihren Liebhaber niedermetzelt, trägt er die Kluft rechtsradikaler Hooligans. Der Königinnenmord führt keinesfalls in eine bessere Zukunft.
Vor allem Rachel Nicholls begeistert als Elektra mit großer Durchschlagskraft und subtilen Zwischentönen. Margarita Vilsone als Chrysothemis und Helena Köhne als Klytaimnestra liefern ebenfalls musikalisch wie darstellerisch ausgezeichnete Rollenporträts. Während Golo Berg das Sinfonieorchester Münster fein abgewogen durch die enorm farbenreiche Partitur führt, die Momente trügerischer Seligkeit ebenso präzise herausarbeitet wie die dramatischen Ausbrüche. Viele Buhrufe bei der Premiere zeigten allerdings, dass ein Teil des Publikums der krassen und schwer verständlichen Bilderflut nicht folgen wollte.
8. und 24. Februar