TEXT: INGO JUKNAT
Es ist noch nicht lange her, da waren Musikfestivals streng getrennte Parzellen, in denen jede Fangruppe unter sich blieb. Inzwischen gibt es Veranstaltungen, die Pop mit Jazz, Weltmusik mit Klassik und HipHop mit Techno vereinen. So bunt wie beim Traumzeit-Festival in Duisburg geht es allerdings fast nirgendwo zu.
In den Planungsräumen deutscher Pop-Festivals herrscht neuerdings Glasnost. Das alte Blockdenken löst sich auf, Veranstaltungen, die nur eine einzige Klientel bedienen, sind rar geworden. Selbst eingeschworene Genre-Festivals öffnen sich für andere Musikrichtungen. Wer hätte zum Beispiel vor zehn Jahren gedacht, dass ein Indie-Festival wie das Haldern Pop eine HipHop-Band wie Fettes Brot zum Headliner machen würde? Oder dass Oasis und DJ Hell einmal dieselbe Bühne bespielen würden, wie letztes Jahr beim »Melt!« im Sachsen-anhaltinischen Gräfenhainichen? Noch radikaleres Genre-Zapping konnte man jüngst beim Friction Festival in Berlin erleben. Auf einer Bühne traten Acts wie die Death-Metal-Band Entombed und Olafur Arnalds auf. Es war, als wechselte man von der Moshpit in den Kammerkonzertsaal.
Die Zeichen stehen auf Toleranz. Und doch gibt es Veranstaltungen, die selbst in diesem offenen Klima aus dem Rahmen fallen. Das Traumzeit-Festival in Duisburg ist so eine Veranstaltung. Hier ist die vermeintliche Unvereinbarkeit von Stilen Prinzip. Die Widersprüche im Programm sollen durch die Offenheit der Kunst überwunden werden, sagt Tim Isfort, der die Veranstaltung im Landschaftspark Nord seit Anfang 2009 organisiert. Der Festivalleiter bringt selbst einiges an Crossover-Erfahrung mit. Seit 15 Jahren hat er ein eigenes Orchester, das sich um Genregrenzen ebenso wenig schert wie um Platzprobleme auf der Bühne (in Rekordzeiten bestand seine »Band« aus bis zu 80 Musikern).
Unter Isfort hat sich das Traumzeit-Festival erstmals dem Pop-Bereich geöffnet. Das heißt jedoch nicht, dass nun die Invasion der Autoradio-Bands droht. Stattdessen hat Isfort die Shout Out Louds gebucht, eine fabelhafte Indie-Truppe aus Schweden. Das wäre an sich schon eine gute Nachricht. Die zweite lautet, dass die Shout Out Louds beim Traumzeit-Festival von acht Musikern der Duisburger Philharmoniker begleitet werden und man die Streicher und Bläser von der Platte nun auch live hört. Ebenfalls selten unterwegs sind The Notwist. Die Band aus Bayern schreibt atmosphärisch dichte Songs zwischen Gitarrenpop und elektronischer Musik – ein idealer Kandidat für ein Crossover-Festival.
Auch im Jazz-Bereich kommt nichts von der Stange. Dafür sorgt schon Lokalmatador und Vollzeitexzentriker Helge Schneider. Er tritt gemeinsam mit seinem kanadischen Freund Chilly Gonzales auf, um die Grenzen zwischen Dada und Dixieland zu erkunden. Wer Helge Schneider ein bisschen zu anstrengend (oder albern) findet, hat im Jazz-Bereich mit Brad Mehldau und der Pat Metheny Band aber auch genügend »ernsthafte« Alternativen.
Bleibt als drittes Element die Weltmusik. Sie war immer schon Bestandteil des Traumzeit-Festivals. An diesem Schwerpunkt hat sich auch im Jahr eins der Ära Isfort nichts geändert. Von Klezmer bis zu Balkan-Beats spannt sich der Bogen. Die Osteuropa-Fraktion ist gleich mit mehreren Orchestern vertreten. Kurioserweise müssen manche Acts nicht mal weltmusikalische Entfernungen für ihre Anreise zurücklegen. Eines der Highlights, die zehnköpfige Band Babylon Circus, klingt schwer nach slawischer Folklore-Band, stammt aber aus Frankreich. Wer mehr auf südamerikanische Rhythmen einschwingt, sollte vielleicht zu Adriana Calcanhotto wechseln. Die Songer/Songwriterin ist in ihrer Heimat Brasilien bereits mehrfach ausgezeichnet worden.
2. bis 4. Juli 2010, Landschaftspark Duisburg-Nord. www.traumzeit-festival.de