Eines der Gebrüder-Grimm-Märchen: vom Teufel, dem verarmten Müller, dem Apfelbaum hinter der Mühle und dem Versprechen von Reichtum. Die Stimme von Corinna Harfouch trägt die paar Sätze vor, bevor wir sie zu einem alten leerstehenden Anwesen radeln sehen und dort ein Zimmer betreten, das mit Lampions geschmückt und mit Teppichen ausgelegt ist und in dem festlich gedeckte Tische stehen. Man denkt sich gleich, die Frau hat gern alles unter Kontrolle und sie besitzt Tatkraft. So könnte vielleicht ein Stück von Roland Schimmelpfennig beginnen. Anders als bei dem Dramatiker aber hebt diese Geschichte nicht ab, sondern bleibt auf dem Boden der Tatsachen, was »Das Mädchen mit den goldenen Händen« – das Langfilmregiedebüt von Katharina Marie Schubert – dennoch alles andere als schwerfällig sein lässt. Freihändig Spielerisches freilich schließt der eng umgrenzte Erzählraum aus.
Ein Ort in der ehemaligen DDR, zehn Jahre nach der Wende, nicht weit weg von Berlin. Es ist der 60. Geburtstag von Gudrun Pfaff: »Die ganze Stadt kommt«, wie sie sagt. Ein Einschnitt. Auch ein Wendepunkt. Im Kleinen eines Lebens wie im Großen des zusammengewachsenen oder verwachsenen Deutschlands, wo die Demarkationslinie zwar eingerissen ist, aber andere Barrieren aufgerichtet sind, und kurz vor Beginn des neuen Jahrtausends. Vorbereitungen werden getroffen. Gäste kommen an, machen Besorgungen oder verabreden sich für die Feier und probieren die Glückwunschrede: der Ehemann, die Tochter, Freundinnen, Kollegen, Nachbarn.
Geschlossene Gesellschaft. Bitterstoffe haben sich den Menschen eingelagert. Die neue Währung hat sich nicht ausgezahlt. Die Erfahrung des Klein-Haltens und Klein-Kriegens von Bedürfnissen, Wünschen und hoch auffliegenden Möglichkeiten setzt sich für sie in der Bundesrepublik – anders – fort.
Immobilie für ne Mark
Zwischenüberschriften gliedern den Film in drei Kapitel. Das erste heißt »Gudrun«. In dem Haus ist sie aufgewachsen, das zur DDR-Zeit ein Kinderheim beherbergt hatte. Dann war sie Lehrerin. Nun soll das Gebäude verkauft werden, wie der Bürgermeister (Jörg Schüttauf) bestätigt. Gudrun verlässt ihre Party, traurig, aufgebracht, sprachlos. Wo soll sie hin mit ihren Träumen von gestern, die auch noch für morgen reichen sollten? Am nächsten Tag erkundigt sie sich, was die Immobilie kosten würde. »Wer jetzt zugreift, der kriegt’s für ne Mark«, sagt der Finanzberater. Nicht eingerechnet Sanierung, Denkmalschutz-Auflagen usw. Einzelinteressen (der Bau eines Hotels) stehen gegen Allgemeinwohl (ein Gemeinschaftszentrum). Wenige Momente später wird sie auf der Straße von einem Auto angefahren. Keine schlimme Sache, doch eine Gehirnerschütterung. Trotzdem führt Gudrun ihren Protest fort, laut und dann wieder ganz still und wie eingefroren zu einem Mahnmal der Rebellion.
Der zweite Abschnitt lautet »Lara« (namensgleich der großen Liebe von »Doktor Schiwago« in Boris Pasternaks Roman und David Leans Film). Gudruns Tochter lebt in Berlin, ist am Opernhaus angestellt und hat soeben ihren ersten Roman veröffentlicht. Per Zufall findet sie (Birte Schnöink) die Adresse einer früheren Freundin ihrer Mutter (Imogen Kogge), nimmt Kontakt auf, lässt deren Erinnerung sprechen und kommt auf die Spur eines Mannes, Peter (Stephan Bissmeier), der vor langem aus der DDR abgehauen ist und an einer Berufsfachschule Malerei unterrichtet. Kann er ihr Vater sein?
»Werner«, Gudruns Ehemann (Peter René Lüdicke), firmiert über dem dritten Kapitel, obwohl er nur eine Nebenrolle zu spielen scheint, aber dann aktiv wird und eine wesentliche Entscheidung fällt. Manches in »Das Mädchen mit den goldenen Händen« bleibt ungesagt und unaufgelöst, ohne dass einem verborgen bliebe, dass »Liebe, Nähe, Bindung« das Grundmotiv bilden. Am Ende liest Lara das Märchen Gudrun und Werner vor.
»Das Mädchen mit den goldenen Händen«, Regie: Katharina Marie Schubert, D 2021, 107 Min., Start: 17. Februar