Caspar David Friedrich und William Turner könnten die Farbpalette gemischt und in sie gegriffen haben: gischtiges Weiß, Eisblau, Rosa, Grau, Blauschwarz in Wirbeln, Streifen und pastosen Flächen. Es ist ein Rausch, in den »Aquarela« eintauchen lässt, uns durch Schönheit und Schrecken spült und dabei die Sicherheit und Gewissheit der Horizontale bricht. In extrem vergrößerten Aufnahmen (im seltenen technischen Format von 96 Bilden pro Sekunde) scheint das anorganische Eis lebendig zu werden, zu atmen und Puls zu haben, Sinnesorgane, Fühler und Greifwerkzeuge. Als würde es eigene Körperlichkeit, Temperamente und Eigenschaften besitzen und entwickeln: springlebendig oder in träger Gelassenheit, veränderlich von leicht zu schwer, faszinierend unberechenbar und unergründlich, spendend oder raubend, sich selbst vernichtend und wieder neu erschaffend. Die Kamera forscht bis in die Tiefen der Gewässer hinein, wo das Spiel der Wasserbläschen sich friedvoll gibt und Ruhe suggeriert. Ein Film für »Fridays For Future« könnte man meinen, aber »Aquarela« ist kein Appell, eher ein Blick unter Bann.
Victor Kossakovskys auf internationalen Festivals gezeigter Film ist ein Monodrama mit einem Helden jenseits von Gut und Böse. Nichts von Arnold Fancks und Leni Riefenstahls Mythisierung und Heroisierung der Natur in ihren Berg-Filmen, die nur der einsam auserwählte Einzelne bestehen kann. Kossakovsky hingegen veranstaltet, unterlegt von einem herben Soundtrack, eine düstere Feier des Untergangs. Das Wasser, gefroren und sich zu schrundigen Bergmassiven und gezackten Trümmern türmend und stapelnd, stürzt als sich selbst bewegende Verschiebemasse apokalyptisch zusammen oder bricht in flüssigem Strömen und Wogen der Wellen und im Bündnis mit dem Sturm über Schiffe und das feste Land hinein (gedreht während des Hurricane Irma in Miami).
Das Eismeer des riesigen sibirischen Baikalsees lässt menschliche Hoffnungen scheitern, wenn in seiner schmelzenden Oberfläche Autos einbrechen und geborgen werden wollen und ein Insasse, nach vergeblichen Rettungsversuchen, ertrinkt. Der Mensch, der das Element, wenn nicht bezwingen, so doch zähmen und nutzen will, ist ihm ausgeliefert, wenn es seine Kräfte frei lässt. Es helfen keine Alarmsirenen und Notrufe vor dieser Entbändigung, die auch Natives vor dem Wasserfall Salto Ángel in Venezuela spüren, ausgesetzt wie einer göttlichen Macht.
»Aquarela«, Regie: Victor, D / GB / Dänemark / USA / 2018, 90 Min,. Start: 12. Dezember