// »Haben Sie Fragen?«, wendet sich eine Darstellerin ans Publikum, zunächst auf Englisch, um nur ja Abstand zu einem identifikatorischen Theater zu halten, und so, als stünde eine Lektion Büchner an. Unterricht in praktischer und theoretischer Revolutionskunde: »Dantons Tod«. Wie auf einem Trainingsfeld verteilen sich vier Frauen und vier Männer, machen sich locker, laufen sich warm, queren die Kölner Schauspielhaus-Bühne, die mit weißer Ballonseide und schwarzem Vorhangstoff ausgeschlagen wurde wie für ein pompe funèbre. Oder wie bei einer Aktion von Christo: Verhüllen, um etwas durchsichtig zu machen. Laurent Chétouanes Theater kann man in seinen besten Momenten beim Denken zuschauen. Gerade deshalb ist es ihm um Leichtigkeit und Transparenz zu tun, wenn er seine Stück-Konzentrate herstellt.
Befangen wie in Selbstüberprüfung, tänzeln und traumwandeln die acht durch ihr Schreckensleben bis zur Guillotine, die an der Rampe aufragt und deren schräges Messer die zwei pausenlosen Spielstunden mit einem Schlag beenden wird. Politiker reden gern von Gestaltungsspielraum. Georges Danton, wie sein Namensvetter, der 21-jährige Dr. Georg Büchner, ihn erfasst und wie sein französischer Landsmann Chétouane ihn betrachtet, kann an diese Vorstellung nicht – mehr – glauben. Der Retter des Vaterlandes, einst Leib und Seele der Revolution, wurde zum Fatalisten. Nicht Subjekte, sondern Objekte führen sich bei Chétouane selbst am Faden. Ihre Gliedmaßen scheinen sich von der Hirnzentrale unabhängig zu regen. Wo Büchner eine unerhörte Sprache findet, protestieren bei Chétouane die Körper.
Der rigorose Tugendwächter und Blutrichter Robespierre taucht in Köln kaum auf. Nur in seiner Gegenrede im Schauprozess vor dem Konvent führt ihn Maik Solbach leiernd als Phrasendrescher vor. Devid Striesow, der klare, kühne, unangestrengte Schauspieler, spricht den Danton fast auf einem Ton, ohne dass dieser fad, belanglos, lau wäre. Ermattung als Folge der Reflexion. So macht Bewusstsein Zögernde aus allen. Vor dem Revolutionstribunal allerdings tritt Danton sein fest umrissenes (Striesow-)Ich an ein Stimmen-Terzett abtritt, als sei die Selbst-Verteidigung seine Sache nicht. Den Tod vor Augen, gerät er (nun wieder ganz Striesow) ins Stammeln und Stottern. »Dantons Tod« als Sprachbehinderungs-Drama. Allesamt sind nur Totengräber ihrer Hoffnung.
Chétouane, dessen Theaterarbeit immer von der Gefahr heimgesucht wird, genial daneben zu liegen, hält die Wunde Büchner offen. Sein Requiem-Raisonnement scheut nicht die überdeutlichen Zeichen: Julie stirbt stumm – ihre letzten Worte erscheinen nur als Schrift auf einem gespannten weißen Leichentuch; die vier Delinquenten fallen bei ihrem letzten Gang in rezitativen Gesang, als sei ihre Rolle in der Geschichte eine Opernpartie; Lucile führt zum Schluss ihren eigenen rührend kargen Totentanz auf. Dann fällt das Messer. // AWI