Text: Nicole Strecker
Spätestens in Stück drei, vom Performance-Künstles Tim Etchells,weiß auch der letzte Zuschauer, welcher Art von Event er beiwohnt: einer Geistervertreibung. Etchells beginnt mit einem wunderbaren Einfall: Ein Tänzer kommt mit einem blauen Müllbeutel, schwenkt ihn wie eine Friedensfahne, verschließt den prall mit Luft gefüllten Abfallentsorgungsartikel. Was hat er da wohl eingefangen? Das zu interpretieren, bleibt natürlich jedem selbst überlassen, aber vermutlich denken viele das Gleiche: Pinas Geist spukt halt noch hartnäckig durchs Wuppertaler Opernhaus. So hat wohl alle Choreografen, die diesen Neustart leisten, die nämliche Frage beschäftigt: Wie den Geist loswerden für die kleine Weile einer neuen Aufführung?
Versuch eins: Theo Clinkard aus Großbritannien probiert es pädagogisch. Zwei Bühnenarbeiter pusten mit einer Nebelmaschine ein Wölkchen gen Himmel – ein watteweißes »Pina-Bausch«? Während das Schäfchen aus Äther sich langsam verzieht, legen sich neun Tänzer sanft die Hände auf die Brust oder reihen sich zur Kuschel-Schlange. Heilsam wie ein tanztherapeutischer Trauma-Kurs. Aber hat sich für das kollektive Trauern das Ensemble nicht ohnehin den Luxus eines sechsjährigen Sabbaticals gegeben?
Etwas besser, Versuch zwei, nach der ästhetischen Kollisions-Methode. Das aus Frankreich kommende Duo Cecilia Bengolea & François Chaignaud schickt in »The Lighters Dancehall Polyphonie« elf Tänzer in Outfits wie für eine Queer-Parade auf den Dancefloor. Dort präsentieren sie ebenso lyrisches Ballett wie den totgetanzten Sexappeal von Pop-Choreografien, singen dazu schön-traurige Madrigale von John Wilbye und verzwirbeln alles Unmögliche – das funzt. Vor allem die Neuzugänge der Kompanie dürfen sich austoben im Halloween gegen den Totenkult. Wie oberflächlich das auch sein mag: Ihre Haltung ist die erträglichste Form der Katharsis an diesem Abend.
Denn nach dem vielversprechenden Anfang schrumpft der sonst oft so großartige Forced-Entertainment-Gründer Etchells in »In Terms of Time« überraschend zum Pina-Epigonen, inszeniert so manches Tanztheater-Mätzchen, charmant, aber ohne Biss. Zeitweilig ist der Boden mit durchsichtigen Plastikbechern zugemüllt, die knisternd und krachend zerbersten – ironische Reminiszenz an die wahnwitzigen Tanzböden in den Stücken von Pina Bausch. Den langlebigen Party-Schrott müssen die Tänzer selbst mit Besen beseitigen. Kehraus im Tanztheater. Nur: Was kommt dann? In dieser ersten Post-Pina-Schau nicht so viel.