Einfach komisch
Tobias Vogel zeichnet Alltägliches mit Filzer
Strichmenschen? Kann doch jeder! Aber nicht so: Tobias Vogel alias »Krieg und Freitag« kann – wie er selbst sagt – gar nicht zeichnen. Und dennoch ist das, was bei ihm mit schwarzem Filzer auf weißes Papier kommt, einfach komisch. Denn seine Illustrationen, für die auch mal Papierflecken nutzt oder ganze Gegenstände einbindet, sind kurze Statements zu gesellschaftlichen, politischen und meist persönlichen Themen. Entstanden ist »Krieg und Freitag« im Netz: Auf Twitter, Facebook und Instagram veröffentlichte der gebürtige Krefelder seine ersten Bilder, dort gibt er seinen Fans auch regelmäßig Zeichenaufgaben zu bestimmten Themen – 2019 bekam er dafür den Grimme Online Award in der Kategorie Kultur und Unterhaltung. Seine Aktivitäten haben ihren Weg inzwischen aber auch in die Bücherregale gefunden: Gerade ist »Babysachen« erschienen – Beobachtungen aus dem Alltag mit seinem zweijährigen Sohn. VL
»Babysachen von @kriegundfreitag«, Lappan Verlag, 64 Seiten, 9 Euro
Tiere, Pflanzen, Tod
Ralph Ruthes Cartoons schicken den Teufel auf Facebook
Alltagsszenen, anders interpretiert. Das sind die Cartoons von Ralph Ruthe. Tiere, Pflanzen und der Tod sind häufige Darsteller in seinen Cartoons. Neben witzigen Alltagsverdrehungen greift er auch aktuelle Themen auf. So prüft der Teufel höchstpersönlich bei Facebook Kommentare auf Zulässigkeit und der Goldfisch in seinem Glas freut sich über den 15-Kilometer-Radius im Corona-Lockdown. Seine große Reichweite in sozialen Netzwerken nutzt der Bielefelder auch, um sich gegen rechte Strömungen, für soziale Projekte und aktuell für die Corona-Maßnahmen zu engagieren. VL
Ralph Ruthe: »Kein Stress«, Aufstellbuch, Lappan, 108 Seiten, 14 Euro
Das Nashorn bin ich
Friedrich Dürrenmatt, der Zeichner und Karikaturist, zum 100. Geburtstag
Das Irrenhaus ist sein Schauplatz, dort, wo die Grenze zwischen normal und verrückt, harmlos und gefährlich verwischt. Der vor 100 Jahren geborene Friedrich Dürrenmatt (1921-1990) schuf, auch als Antipode Brechts, mit der Tragikomödie eine Mischform. Seine Dramentheorie reagiert auf die Katastrophen der Spät- und Nachmoderne, die so heillos sind, dass ihnen nur durch die Mittel der Distanz, des Rollenspiels und der Maskerade, der Übertreibung, Paradoxie und Groteske beizukommen sind. Furcht und Schrecken sind abgelöst vom ungläubigen Lachen. Sich-lustig-Machen angesichts dessen, dass »die schlimmstmögliche Wendung« eingetreten ist, wie etwa der Tod in seinen metaphysischen Kriminal-Geschichten. Der Witz als poetologische Technik ebnet die Fallhöhe ein.
Die Karikatur, die in Dürrenmatts zeichnerischem Werk den Hauptteil einnimmt, ist die grafische Antwort auf die Groteske. Gott und Teufel, der Papst und die Todsünde des Zorns treiben ihr Wesen auf den Bildern des Pfarrerssohns, der sich auch sonst mit diesem Genre und Kollegen wie Daumier, Saul Steinberg und Tomi Ungerer beschäftigte. Seine Arbeiten sind mehr als Fingerübungen: eigenständig als »die Schlachtfelder, auf denen sich meine schriftstellerischen Kämpfe, Abenteuer, Experimente und Niederlagen abspielen«. Insofern können sie das literarische Werk illustrieren, kommentieren und sich dessen vergewissern – wie auch der eigenen Person, wenn sich der Schweizer als Nashorn porträtiert. In den Karikaturen findet sich Dürrenmatts Zuspitzung und Weltsicht wieder, wenn etwa zwei Mammutpaare aufeinanderstoßen und sich im wilden Durcheinander ihrer Stoßzähne unauflöslich verfangen. Das Lebewesen im Zustand unüberschaubarer Verwirrung. AWI
Zu Dürrenmatts 100. Geburtstag hat der Diogenes Verlag eine Biografie von Ulrich Weber veröffentlicht. Ein auf fünf Bände angelegtes »Stoffe-Projekt« erscheint ab Ende April. Bis 7. Februar hat das Kurpfälzische Museum Heidelberg eine Ausstellung geplant (Katalog mit dem Centre Dürrenmatt Neuchâtel, 150 Seiten, 16 Euro).
Das Leben, gezeichnet
Jamiris leuchtenden Comics führen (auch) nach Essen
Jan Michael Richter aus Essen braucht seine Autobiografie nicht zu schreiben, er hat sie schon gezeichnet. Oder besser – er ist immer noch dabei. Seit 1990 hält er unter seinem Alter Ego Jamiri die Dramen seines Alltags fest. Diskussionen mit der Freundin und Gott, als leicht schluffiger Dude. Tresengespräche, Ruhrgebietsautobahnen, Zeichentischmomente, fantastische Ausflüge als Science-Fiction-Held »Spacejamiri«. Wer sich im Essener Südviertel und im Stadtteil Rüttenscheid auskennt, entdeckt bekannte Straßenecken und Kneipen. Durch die Verwendung von Graphic-Tablets hat Jamiri schon früh seinen eigenen Zeichenstil entwickelt, dreidimensional-fotorealistisch, mit leuchtenden Farbflächen und Überstrahlungen. Seine Werke erschienen anfangs im Stadtmagazin Marabo, später im Spiegel und dem Mensapausenfachmagazin Unicum, hinzu kommen regelmäßig Comicbände. Wie ganz aktuell »Gödel, Escher, Gott«, ein feines »Konzeptalbum« aus behutsam restaurierten und neu durchgesehenen Blättern der letzten 30 Jahre zum Themenkanon »Wissen vs. Glauben«. VKB
Jamiri: »Gödel, Escher, Gott«, Edition 52, 56 Seiten, 20 Euro
Nachtschwarz
Robert Nippoldt schickt seine Leser*innen auf Zeitreisen
In die Schublade der klassischen Graphic Novels wollen die Bücher von Robert Nippoldt nicht so recht passen. Weder von ihrer Größe im stattlichen Coffee-Table-Format, noch inhaltlich. Der Zeichner kam 1977 im niederrheinischen Kranenburg zur Welt und lebt heute in Münster. Er erzählt keine Sprechblasengeschichten, sondern schafft atmosphärische Buchkunst. Auf seine Diplomarbeit »Gangster. Die Bosse von Chicago«, folgten »Jazz im New York der wilden Zwanziger« und »Hollywood in den 30er Jahren«.An seinem aktuellen Buch »Es wird Nacht im Berlin der wilden Zwanziger« hat er fünfeinhalb Jahre gearbeitet. Mit nachtschwarzer Tusche zeichnet er das Leben in der damaligen Metropole – Straßenszenen, Musiker*innen, Filmstars, politische Ereignisse, Nachtleben – als funkelnde Doppelseiten oder, wie beim Blick über das literarische Berlin, als typografische Karte. Beim Blättern versinkt man regelrecht in den alten Zeiten, und kann sie dabei auch hören: Eine CD mit zeitgenössischen Schlagern liegt bei. VKB
Robert Nippoldt/Boris Pofalla: »Es wird Nacht im Berlin der wilden Zwanziger«, Taschen Verlag, 224 Seiten, 30 Euro
Am Ruder
Zelba geht zurück in die Wendejahre – und an die Ruhr
»Tja, diese Westmädels … viel zu zart für schwere Gewichte!« Diesen Spruch müssen sich Wiebke und ihre Ruderpartnerin Kati anhören. Es sind die Jahre der Wende und die an der Ruhr gelegenen Wassersportvereine RaB (Ruderclub am Baldeneysee) und EWRC (Essen-Werdener Ruder-Club) bekommen plötzlich neue Sportskamerad*innen aus dem Osten Deutschlands. Das Ziel: die erste gesamtdeutsche Junioren-Nationalmannschaft.Zelbas Graphic Novel »Im selben Boot« ist eine autobiografische Coming-of-Age-Geschichte, gezeichnet in matten Blau- und Grautönen. Hinter Zelba steckt Wiebke Petersen, die 1973 in Aachen geboren wurde, in Essen aufgewachsen ist und am Baldeneysee das Rudern lernte. Seit 1998 lebt und arbeitet sie in Südfrankreich, illustriert Kinder- und Jugendbücher und zeichnet Graphic-Novels und Comics. VKB
Zelba: »Im selben Boot«, Verlag Schreiber&Leser, 160 Seiten, 22,80 Euro
Ein Gallier an Rhein und Ruhr
Hannes Bender verpflanzt Asterix in den Pott
Wenn der Bochumer Comedian Hennes Bender Asterix ins Ruhrdeutsch übersetzt, dann ist das mehr als die reine Übertragung eines weltberühmten Comics in ein regionales Idiom. Es ist eine Neudichtung, die viel von der aktuellen Verfasstheit des Ruhrgebiets und seiner Menschen erzählt. Der mittlerweile vierte von ihm bearbeitete Band »Keine Kohle im Pott« schaffte es so im vergangenen Oktober auf Platz 1 der Comic-Bestseller-Liste des Buchreports. Vor ihm übertrugen bereits Claus Sprick und Reinhard Stratenwerth die Geschichten des unbeugsamen gallischen Dorfes zweimal ins Ruhrdeutsche. Mit »Asterix kütt nohm Kommiss« gibt es seit November 2020 einen neuen Band für das Rheinland. Auch hier ist das Übersetzungsteam humorerfahren besetzt mit Hella von Sinnen, Cornelia Scheel und Vera Kettenbach. HORA
Asterix Mundart Ruhrdeutsch VI – »Keine Kohle im Pott«, Egmont Comic Collection, 48 Seiten, 14 Euro
Lieferbar auf Ruhrdeutsch: »Tour de Ruhr«, »Dingenskirchen«, »Voll auffe Omme!«, »Keine Kohle im Pott«, lieferbar auf Kölsch: »Asterix kütt nohm Kommiss«
Großes Mundwerk
Ausgezeichnet: Holga Rosens Comic-Kunst
Satte Farben, kantige Pointen, ein großes Mundwerk und darin: drei stattliche kleine Zähne. Daran erkennt man die Zeichnungen von Holga Rosen sofort. Als er im vergangenen Jahr einen Mann auf seiner einsamen Insel für die Mai-Ausgabe von kultur.west zeichnete (»Heute mach’ ich mal nix«), ahnte niemand, wie langanhaltend der zum Abwarten Verdammte das Gefühl des Corona-Lockdowns abbilden würde. Rosens Protagonist*innen sind nicht selten in absurd-einfachen Settings zu finden, ihre Sprüche sind oft rotzig und sie haben, wie ihr Schöpfer, das Herz am rechten Fleck: Seit langem zeichnet er nicht nur für die Titanic oder den Eulenspiegel. Holga Rosen, der 1970 in Castrop-Rauxel zur Welt kam, hat seine große Liebe zum Film auch zum (Zweit-)Beruf gemacht – als Betreiber des Dortmunder »Roxy«, ein Kleinod der Kinokultur. Für eine Zeichnung über das Beethoven-Jahr, das durch Corona keines wurde, ist er erst kürzlich ausgezeichnet worden – mit dem zweiten Platz des Deutschen Cartoonpreises 2020, den jährlich die Frankfurter Buchmesse und der Lappan Verlag vergeben. AKI
Beste Bilder 11. Die Cartoons des Jahres 2020, Lappan Verlag, 176 Seiten, 12 Euro