Mythisches Vexierspiel: Zum zweiten Mal in dieser Saison lässt Dietrich Hilsdorf Orpheus singen. Nach der Essener Offenbach-Version »in der Unterwelt« taucht er jetzt in Bonn Glucks Oper in die Nebelschwaden eines erotischen Krimis. Die eigens ersonnenen Untertitel »Le contrat d’amour ou les jeux sont faits« verraten, dass Hilsdorf den Mythos umdeutend gleichsam überschreibt. Mit schwerem Dekonstruktions-Gerät baut er die Handlung auf Pariser Verhältnisse am Vorabend der Revolution um – die Zeit der großen Triumphe von »Orphée«. Der Zeitgeist von 1785 macht aus der rührenden Fabel von der Kraft der Musik und der Liebe über den Tod hinaus ein zynisches Spiel um galante Ränke, Intrige, Giftmord und Aberglauben. In den düsteren Gemäuern der Kirche Saint Sulpice, bewacht von Caravaggios Bild vom »Ungläubigen Thomas« (Bühne: Haitker M. Böken), raschelt es schon während der dahin jagenden Ouvertüre sündig im Beichtstuhl: Orphée stellt seiner Euridice so heftig nach, dass die Wäsche aus dem frommen Gestühl fliegt. Doch die erotische Jagd endet böse: An der Schwelle zur Sakristei sinkt Euridice entseelt zu Boden.
Schlangenbiss? Oder Mord? Das aufmarschierende Chorvolk teilt sich in bigotten Klerus und gaffenden Adel, Dr. Mesmer arbeitet mittels Magnetismus an der Wiederbelebung der Verblichenen. L’amour, eine flammend rote Liebeshändlerin, turtelt mal mit Orphée, mal mit der Gattin und sucht wie eine Marquise de Merteuil die Fäden zu ziehen.
Und Orphée scheint zu zweifeln, ob er Euridice oder die Liebe selbst begehrt. Auch im tragischen Konflikt der neu Vereinten um das Blickverbot hat lüstern L’amour die Hand im Spiel.Dem Happy End der französischen Fassung misstraut die Regie natürlich.Obwohl Euridice wiederum aufersteht, findet sie mit Orphée nicht zusammen, sondern verschwindet mit der »Liebe«, während er sich darob selbst blendet. Dem pointenreich prallen Geschehen folgt Wolfgang Lischke am Pult mit pulsierender, nach vorn drängender Begleitung. Das gravitätische Schreiten sonstiger Gluck-Lesarten lässt er glücklich vergessen. Hell und schlank bewegen sich auch die Stimmen: Susanne Blatterts leicht geführter Orphée-Mezzo, Julia Kameniks jubelnde Euridice und Sigrún Pálmadóttirs gefährlich funkelnder L’amour-Sopran. Großer Jubel. REM