TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
»Bis zum 11. September 2001 war ich der Kanake, danach der Moslem!« Melih Kesmen klingt genervt – und ist es auch. Immer noch. Ereignisse wie 9/11, die Bomben-attentate von London und Madrid sowie die Debatte um die dänischen Mohammed-Karikaturen haben nicht nur Kesmens Leben beeinflusst und wirken bis heute nach. Wenn man sich als gläubiger Moslem laufend für seine Religion rechtfertigen muss oder von der Öffentlichkeit als Hass predigender Terrorist abgestempelt wird, ist es »Zeit, irgendwas zu tun«. Dieses »Irgendwas« entsteht bei Kesmen im Jahr 2006 aus einem Gefühl »zwischen Wut und Ohnmacht« und ist noch heute auf einem T-Shirt seines Design- und Streetwear-Labels »styleislam« zu sehen. Melih Kesmen trägt es, als er die Tür öffnet. »I LOVE MY PROPHET« steht da auf seiner Brust, und zwar ganz ohne Ausrufezeichen, wie man es bei der Vorgeschichte eigentlich erwarten könnte.
Der Spruch ist nicht als Kampfansage gemeint, sondern als selbstbewusste Feststellung; und er stellt das erste Motiv dar, das Kesmen entwirft und auf ein Shirt druckt. Die Shirts bilden immer noch den Grundstock von »styleislam« und zeigen Slogans in Graffiti-Ästhetik, die frech, politisch oder, in manchen Fällen, fast ein wenig putzig daher kommen, wenn z. B. ein Panzer abgeschleppt wird (»STOP WARS«) oder aus einem Kampfjet statt Bomben Herzen fallen (»DROP LOVE, NOT BOMBS«). Aber es geht auch ernster: »TERRORISM HAS NO RELIGION« oder »MAKE ÇAY, NOT WAR!« steht auf anderen Shirts. Darauf kann man sich einigen, schließlich ist die Zubereitung des berühmten türkischen Tees jedweder Kriegshandlung vorzuziehen. Dennoch die Frage – lässt sich mit bedruckten T-Shirts die Welt verändern? Kesmen lächelt und weicht ein wenig aus: »Klar ist da auch Ironie in den Motiven, aber natürlich meinen wir das durchaus ernst.« Doch es ist ja schließlich auch eine Kunst, ein gesellschaftspolitisches Thema auf einen knackigen Einzeiler zu bringen.
Es wäre aber falsch, »styleislam« nur auf die Shirts mit Botschaft zu reduzieren. Sie haben maßgeblich zum Erfolg beigetragen; mittlerweile ist »styleislam« aber längst mehr als eine semi-professionelle, studentische Shirt-Druckerei. Mit dem erweiterten Sortiment lassen sich die ganze Familie einkleiden und auch Teile der Wohnung einrichten. Für Frauen und Mädchen gibt es eine neue Kollektion von hüftlangen Tuniken, die Farbe und Schnitt der 60er Jahren zitieren, dazu Sweatshirts, Longsleeves und Accessoires wie Armbänder und Ketten. Für Babys sind bedruckte Hemdchen mit der Aufschrift »MUSLIM BY NATURE« erhältlich und auch mit dem Sabberlätzchen lässt sich Farbe bekennen: »MINI MUSLIM«. Dem Einwand, ob damit der Nachwuchs nicht für religiöse Fragen instrumentalisiert werde, begegnet Kesmen gelassen und ironisch lächelnd, »schließlich gibt es im Ruhrgebiet auch Leute, die ihre Kinder kurz nach der Geburt bei Schalke anmelden«. Aber man solle nicht denken, dass das ein Etikett sei, vielmehr sei die Idee dahinter die Übersetzung des Wortes »Muslim«, der »Gottergebene«, der Teil eines größeren Systems ist. Das hört sich etwas kryptisch an, zeigt aber auch, wie vorsichtig Melih Kesmen geworden ist. Seit den ersten Shirts und der offiziellen Gründung von »styleislam« 2008 gab es immer wieder Kritik, böse Briefe und Drohanrufe, sowohl von »buchstabentreuen Moslems, die keinen Raum für Kontext lassen und den Koran wörtlich auslegen, als auch aus der christlichen Ecke.«
Heute nimmt Kesmen die Kritik lockerer als früher. Damals hat er aus Rücksicht das Shirt »JESUS IS A MUSLIM« (Jesus ist ein Gottergebener) in »JESUS & MOHAMMED – BROTHERS IN FAITH« (Brüder im Glauben) geändert. Keine Einwände gab es bisher gegen seine »Q-Bla Bags«, jene Umhängetaschen, deren Klappen aus einem Stück originalem und abnehmbarem Gebetsteppich bestehen. »Unser Gebetsteppich to go!« lacht Kesmen und ergänzt: »Der Teppich selbst ist für das Beten gar nicht so wichtig, da kann man auch ein Badetuch für nehmen – wichtig ist, dass der Boden sauber ist.« Die erste Kollektion der Unikate ist bald ausverkauft; Zeit für Kesmen und sein siebenköpfiges Team, für Nachschub zu sorgen und eine neue Tauschaktion auf Facebook zu starten – für zwei Gebetsteppiche gibt es eine »styleislam«-Halskette. »So ein Teppich ist ein beliebtes Souvenir, das die Pilger aus Mekka mitbringen. Da kommt schon einiges zusammen in einer Familie, und dank unserer Aktion kann man mal wieder den Schrank aufräumen!«
Vertrieben wird das Sortiment online, in NRW gibt es einen Shop in Wuppertal; ein weiterer ist in der Dortmunder Nordstadt geplant. Auch in Istanbul ist seine Kollektion erhältlich, und im saudi-arabischen Medina, der »Stadt des Propheten«, hat der Fußball-Nationaltorwart Mohammad Khojah einen »styleislam«-Franchise-Shop eröffnet. Zwei weitere, in Riad und Jeddah, sind in Planung. Aber auch im muslimisch geprägten Saudi-Arabien weiß man nicht so recht, wie man mit den jungen Wilden aus Witten umgehen soll, die scheinbar so lässig mit den Symbolen des Islam hantieren. Umgekehrt ist es für »styleislam« schwierig, sich dort zu etablieren, so blieb Ware verdächtig lange im Zoll hängen, und die Polizei stand schon mal im Laden in Medina.
Trotz der internationalen Expansion ist »styleislam« auf dem (Gebets-)Teppich geblieben. Das Büro findet sich in einer Nebenstraße der Wittener Innenstadt in einem unspektakulären Mehrfamilienhaus. Eine umfunktionierte, helle Wohnung; eingerichtet mit einer Mischung aus schwedischem Möbelhaus und den geschwungenen Kunststoffstühlen von Werner Panton. In Kesmens Büro steht ein Original-Pappaufsteller für die berühmten Kojak-Lollys aus seinem Geburtsjahr 1975, seine Mitarbeiter sitzen an einem großen Tisch vor ihren PC’s – allesamt junge muslimische Frauen, die, ebenso wie Kesmens Frau Yeliz, Kopftuch tragen. Auch so eine Sache, die den Kesmens immer wieder kritisch vorgehalten wird. Dabei fördern sie diese Frauen gezielt, da diese hierzulande als Kopftuchträgerinnen nur schwer an einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz kommen.
Melih Kesmen hat am eigenen Leib erfahren, was es heißt, als vermeidlicher »Ausländer« in Deutschland aufzuwachsen, und sich immer selbst seinen Weg erkämpft. Seine Eltern haben die typische Gastarbeiter-Vergangenheit, Kesmen selbst ist vor »styleislam« Rapper in der Formation Sayfa gewesen und sprayte Auftrags-Graffiti. Irgendwann ist dann der Punkt erreicht, an dem er sich gegen die Musik und für ein Studium an der FH Dortmund im Fach »Visuelle Kommunikation« entscheidet. Für die Medien ist er mittlerweile ein gefragter Ansprechpartner in Sachen Integration und »moderner wie cooler« Islam. Die New York Times, CNN und Aljazeera machten ihn zum Thema, und das ARD-Morgenmagazin war für eine Live-Schalte vor Ort. Natürlich hat Kesmen auch kein Patentrezept für ein gesittetes Zusammenleben, aber einen Vorschlag: »Wir sollten Gemeinsamkeiten finden. Dann sind schon mal 95 Prozent abgedeckt. Die restlichen fünf Prozent halten wir dann auch noch aus.«
www.styleislam.de