Das verdiente Respekt: Wie diese »jungen und unerfahrenen Wesen sich anschickten, das eigene Vermögen zu gebrauchen, um die intimsten Gefühle ihrer Mitbürger zu durchkreuzen, die schon den Bau eines Museums als Verschwendung ansahen.« Es ist der berühmte Jugendstil-Architekt und -Designer Henry van der Velde, der sich so bewundernd über das Sammlerpaar aus Hagen äußerte. Karl Ernst Osthaus und seine Gattin Gertrud kauften um 1900 mutig und scheinbar ohne Vernunft en gros die Kunst der französischen Avantgarde ein – Maler wie Renoir, Monet, Gauguin. Ihr Projekt: Ein Kunsthaus der Moderne. Im Museum Folkwang ist es bis heute lebendig.
Dabei sind die Aufreger von einst natürlich längst zu Publikumslieblingen geworden und machen sich gut in jedem Ausstellungstitel. »Renoir, Monet, Gauguin« heißt nun auch die Jubiläumsschau zum 100. Geburtstag des Museum Folkwang in Essen. Mit immer wieder gern gesehenen Gästen: Auguste Renoirs Geliebte Lise etwa, die mit ihrem Sonnenschirm und gekleidet wie eine modische Pariserin im Grünen steht. Osthaus war 27 Jahre alt, als er das Pleinair-Porträt für seine Sammlung erwarb. Oder Arman Roulin. Vincent van Gogh ließ den Sohn des Arler Postmeisters 1888 mit Hut und hellgelber Jacke posieren (unser Coverbild). Bereits 1902 hatte Osthaus das Bildnis erworben – kein deutscher Museumsmann hatte bis dahin ein Werk des revolutionären Niederländers gekauft.
Zum Geburtstag bekommen diese alten Bekannten im Museum Folkwang demnächst Besuch von in Europa selten gesehenen Größen. Das National Museum of Western Art in Tokio schickt impressionistische und postimpressionistische Hauptwerke der Sammlung des bedeutenden Schifffahrtsunternehmers Kojiro Matsukata. Der Japaner hatte, wie so viele seiner Landsleute, früh Feuer gefangen für die künstlerischen Neuerungen aus Frankreich. Und genug Vermögen für ausgiebiges Kunstshopping in Pariser Galerien. Zwar liegt ein Ozean zwischen Osthaus und Matsukata, doch entdeckt Essen einige Berührungspunkte.
So hatten beide von Anfang ihrer Kunstsammelei an das Ziel, ein Museum zu gründen und damit der Gesellschaft einen Dienst zu erweisen. Ganz ausdrücklich formulierte dies der junge Osthaus: »Dass mir die Möglichkeit und Begabung zuteilwurde, einen Umschwung im künstlerischen Leben und Schaffen herbeizuführen, macht es mir zur heiligen Pflicht, mit völliger Hintansetzung meiner selbst dem Vaterlande zu dienen.« Sein Museum dachte er als Ort für alle. Auch für Arbeiter, die hier, so sein Traum, zu anderen Menschen heranreifen sollten.
Eine weitere, besonders von heutiger Warte aus, wichtige Gemeinsamkeit ist die grenzüberschreitende Herangehensweise. Matsukata sammelte neben den Impressionisten auch Kunst aus seiner Heimat und wollte beides nebeneinander präsentieren. Noch breiter aufgestellt war Osthaus, der als Sammler eher enzyklopädisch dachte, dabei im Laufe seines kurzen Lebens beweglich genug für immer neue Schwerpunkte blieb.
Seine Sammlerkarriere hatte er mit Muscheln, Käfern, bunten Schmetterlingen und Fossilien begonnen, bevor er dann zum Kunsthandwerk umschwenkte und kurz sogar mit dem Gedanken gespielt haben soll, ein islamisches Museum im Revier zu gründen. Unter Anleitung von Henry van de Velde erst war Osthaus dann zur malenden Avantgarde nach Frankreich gelangt und hatte später dann noch den deutschen Expressionisten für sich entdeckt.
Ohne je den internationalen Kontext auszublenden. So stellte Osthaus etwa in seinem Museum in Hagen die japanische Kunst klar als Voraussetzung für die französische Moderne heraus. Ganz im Sinne der beiden Erfinder präsentieren sich die Franzosen in der Jubiläumsschau jetzt Seite an Seite mit japanischen Werken aus der Osthaus-Kollektion. Hinzu kommen raumgreifende Arbeiten zweier zeitgenössischer japanischer Künstler*innen, die das Spektrum in die Gegenwart erweitern.
Genug Stoff für ein würdiges Geburtstagfest. Dass es jetzt in Essen steigt und nicht schon viel früher in Hagen, wo Osthaus sein Museum 1902 gegründet hat, ist wohl zuerst den Nachkommen des Sammlers zuzuschreiben, die offenbar weniger übrig hatten für Hagen und für die Kunst. Ein Jahr nur nach Osthaus’ Tod hatten sie 1922 den größten Teil seiner Schätze für 15 Millionen Mark nach Essen verkauft, wo sie zusammen mit der städtischen Sammlung im Museum Folkwang aufgingen.
Das »schönste Museum der Welt«
Das »schönste Museum der Welt«, ein Lob, das man gerne hört in Essen und bis heute zitiert. Zumal es aus bester Quelle stammt – von Paul Sachs, dem Mitbegründer des Museum of Modern Art, der allerdings in Essen noch den vollen Genuss hatte. Denn er besuchte und bejubelte das Haus, bevor 1937 die nationalsozialistische »Säuberungs«-Kommission kam und rund 1400 Kunststücke in Beschlag nahm, darunter Werke von Kirchner, Kokoschka, Marc, Matisse. Zwar konnte nach 1945 einiges zurückgekauft werden, doch der einstige Reichtum ist unwiederbringlich verloren.
Dafür bietet das Museum inzwischen eine Reihe neuer Attraktionen. Die erste sieht man schon im Vorüberfahren. Eine Folge wohlproportionierter Quader, kühl und klar. Zum Kulturhauptstadtjahr hatte die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung in die Tasche gegriffen und 55 Millionen Euro für einen Neubau spendiert. Der britische Architekt David Chipperfield machte das Beste daraus. Und bereits im Januar 2010 konnte seine glasklare Kreation Eröffnung feiern, sicher ein Markstein in der Museumsgeschichte.
An den vergleichsweise kleinen Altbau von 1960 fügte der Architekt drei schlichte, rechteckige Ausstellungstrakte, die wie Boxen auf einer Ebene nebeneinander liegen. Drinnen erleichtern Innenhöfe und Fenster überall die Orientierung. Sie sorgen für schöne Durchblicke und für reichlich Tageslicht, das auch durch die Deckenkonstruktion einfällt und die Kunst je nach Wetter, Tages- und Jahreszeit immer anders wirken lässt. Ohne Frage, ein großer Wurf.
Expressionismus und Color Field Painting
Nach dem Auftritt der Impressionisten aus Essen und Tokio (6. Februar bis 15. Mai) werden hier im Jubeljahr 2022 noch einige Gäste mehr begrüßt. Im Frühling eröffnet die Ausstellung »We Want You!« und verfolgt die Geschichte des Plakats von den wilden Anfänge über die Erfindung der Litfaßsäule und die Einführung der Fernsehens bis in die digitale Gegenwart (6. April bis 28. August 2022). Später im Sommer schneidet die Ausstellung »Expressionisten am Folkwang. Entdeckt – Verfemt – Gefeiert« (20. August 2022 bis 8. Januar 2023) ein weiteres wesentliches Kapitel in der Museums-Geschichte an. Gründungsdirektor Osthaus, aber auch sein Nachfolger Ernst Gosebruch pflegten enge Kontakte zu den wichtigsten Expressionist*innen und stellten sehr früh Werke etwa von Ernst Ludwig Kirchner, Franz Marc, Paula Modersohn-Becker oder Emil Nolde aus.
Gegen Ende des Jahres holt sich das Museum Folkwang dann die farbgewaltigen Werke der US-Künstlerin Helen Frankenthaler ins Haus, die vor allem als Vorreiterin am Übergang vom Abstrakten Expressionismus zum Color Field Painting bekannt ist. Zwischendurch geht es auch einmal raus aus Chipperfields schönstem Museum. »Folkwang und die Stadt« heißt es dann (21. Mai bis 7. August). Ganz im Sinne der Folkwang-Idee einer engen Verschränkung von Kunst, Lebensraum und Gesellschaft.